Bonn - Freitag, 17. Dezember 2021, 11:35 Uhr.
Es soll um sexuellen Missbrauch durch einen deutschen Bischof sowie Täterschutz durch eine Versetzung und Finanzierung gesuchter deutscher Priester nach Lateinamerika gehen: Wie die deutsche Bischofskonferenz und Adveniat diese Woche mitteilten, soll eine unabhängige Untersuchung aufklären, was an den von Experten gemeldeten Vorwürfen gegen den langjährigen Adveniatchef und in Ecuador dienenden Bischof Emil Stehle wahr ist – und welches Ausmaß von sexueller Gewalt, Vertuschung und Strafvereitelung möglicherweise verübt wurde.
Die unabhängige Untersuchung sei von der Bischofskonferenz in Abstimmung mit Adveniat, dem Lateinamerika-Hilfswerk der katholischen Kirche in Deutschland, vereinbart worden und "wird in Kürze in Auftrag gegeben", versicherte Pater Martin Maier, der seit dem 1. September 2021 Adveniat-Hauptgeschäftsführer ist.
Der langjährige Adveniat-Geschäftsführer und spätere Bischof Emil Stehle (1926-2017) soll nicht nur selber sexuellen Missbrauch verübt haben, sondern andere Täter gedeckt haben, so der Verdacht. Dabei soll mindestens ein verdächtig gewordener Geistlicher, den die Staatsanwaltschaft suchte, nach Lateinamerika verschwunden und weiter aus Deutschland finanziert worden sein.
Diese und weitere Vorwürfe gehen vor allem auf die Expertengruppe zur Aufarbeitung sexuellen Missbrauchs zur Zeit des ebenfalls schwer beschuldigten Bischofs Heinrich-Maria Janssen im Bistum Hildesheim zurück. Dessen Obfrau, die ehemalige Justizministerin Antje Niewisch-Lennartz, meldete die Vorwürfe an Bischof Georg Bätzing in einem Offenen Brief und forderte eine "sofortige und systematische Aufklärung" von ihm. Bätzing ist derzeit Vorsitzender der deutschen Bischofskonferenz.
Bischof Emil Stehle in einer Aufnahme des Jahres 1977. Quelle: Maxn2 / Wikimedia (CC BY-SA 3.0)
Vorwürfe sexueller Gewalt gegen Stehle
Ein Angehöriger und schließlich die Betroffene selbst hätten sich bei ihr gemeldet, schreibt Niewisch-Lennartz, "und vorgetragen, durch Bischof Stehle sexuell missbraucht worden zu sein".
Die Expertin betont: "Aufgrund meiner Erfahrungen im Rahmen der Tätigkeit für die Expertengruppe aber auch aufgrund meiner langjährigen richterlichen Expertise habe ich keinen Anhaltspunkt dafür, an dem Wahrheitsgehalt des Vortrags zu zweifeln".
Das Hilfswerk bestätigte dazu in einer Stellungnahme Pater Maiers am Mittwoch dieser Woche, man habe zudem Hinweise erhalten "die darüber hinaus auf eine Täterschaft Stehles in Fällen sexuellen Missbrauchs hindeuten".
Unklar ist zur Stunde nicht nur die Frage, ob und wieviele Minderjährige Stehle möglicherweise in Deutschland oder Lateinamerika missbraucht hat, sondern auch, wie er seine Stellung bei Adveniat genutzt haben könnte, um andere zu decken.
Dies aufzuklären ist das eine, mahnt die ehemalige Justizministerin: "Insbesondere bedarf es unseres Erachtens einer Aufklärung, ob regelmäßig Priester, die in ihren Heimatsdiözesen oder in Deutschland insgesamt nicht mehr tragbar waren, in Südamerika eingesetzt wurden und ob bei weiteren anhängigen Strafverfahren Verdeckungshandlungen zu Gunsten des sexuellen Missbrauchs beschuldigter Priester feststellbar sind."
Vorwurf der Vertuschung und Strafvereitelung
Nach Angaben von Adveniat hat Stehle als Geschäftsführer die Vereitelung der Strafverfolgung von "Priester B." betrieben, der vor der deutschen Polizei nach Paraguay geflohen war: Gegen "Priester B." hatte die Staatsanwaltschaft Braunschweig 1963 wegen des Verdachts des wiederholten sexuellen Missbrauchs an schutzbefohlenen Minderjährigen Haftbefehl erlassen.
"Die Beteiligung Stehles an der Vertuschung und Identitätsfälschung trug dazu bei, dass der Täter nicht zur Rechenschaft gezogen werden konnte", stellte Adveniat mit großem Bedauern nun fest.
Stehle soll zudem dafür gesorgt haben, dass der mutmaßliche Täter über das Konto eines Strohmannes eine monatliche Zuwendung der deutschen Bischofskonferenz bekommen habe.
Vermutlich war "Priester B." auch kein Einzelfall, stellt Niewisch-Lennartz in ihrem Brief an Bätzing fest: Stehles Vorgehen "legt nach Wahrnehmung der Expertengruppe eindeutig den Schluss nahe, dass es sich bei dem hier gewählten Verfahren, den beschuldigten Priester der Strafverfolgung zu entziehen, nicht um einen exzeptionellen Einzelfall handelt".
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Adveniat versichert, man will alles aufklären helfen. Der Untersuchungsbericht soll voraussichtlich im ersten Halbjahr 2022 fertiggestellt sein, teilte das Hilfswerk mit. Die Ergebnisse gehen dann an die jeweils für die Fidei Donum-Priester zuständigen deutschen Diözesen, weil diese nach der "Ordnung für den Umgang mit sexuellem Missbrauch Minderjähriger und schutz- oder hilfebedürftiger Erwachsener durch Kleriker und sonstige Beschäftigte im kirchlichen Dienst" für die Aufarbeitung verantwortlich seien, so Maier.
Darüber hinaus wird der Bericht an die in Lateinamerika zuständigen Diözesen weitergeleitet, so der Adveniat-Geschäftsführer.
Es gehe darum, dass die Personalakten der deutschen Diözesanpriester, die in Lateinamerika und der Karibik eingesetzt sind und nach dem Namen einer Enzyklika auch "Fidei Donum-Priester" genannt werden, nicht von Adveniat oder der Koordinierungsstelle "Fidei Donum" geführt werdem, sondern den jeweiligen Diözesen.
Dennoch müssten auch die Akten der von der deutschen Bischofskonferenz seit 1976 bei Adveniat angesiedelten "Koordinierungsstelle Fidei Donum" geprüft werden, und zwar "extern, unabhängig, fachlich und systematisch auf Anzeichen für sexuellen Missbrauch durch Fidei Donum-Priester oder dessen Vertuschung", so Adveniat am 15. Dezember.
Das Hilfswerk betont, dass man heute für "eine Null-Toleranz-Strategie gegenüber dem Verbrechen des sexuellen Missbrauchs in Deutschland und Lateinamerika" eintrete.
Zur Person
Emil Lorenz Stehle wurde 1951 zum Priester der Erzdiözese Freiburg geweiht und wurde ab 1957 "Auslandsseelsorger" in Lateinamerika, darunter Kolumbien und Panama.
1969 wurde Stehle zunächst Berater, dann 1972 stellvertretender Geschäftsführer der "Bischöflichen Aktion Adveniat".
Der Geistliche war von 1983 bis 1988 gleichzeitig Geschäftsführer von Adveniat und Bischof in Ecuador. Zudem beriefen die deutschen Bischöfe Emil Stehle 1972 zum ersten Leiter der nun ebenfalls schwer belasteten "Koordinierungsstelle Fidei Donum" für die in Lateinamerika tätigen deutschen Weltpriester. Dieses Amt bekleidete er bis 1984.
Stehle war bis 2002 Bischof in Ecuador, hatte dann aber seinen Ruhesitz in Konstanz. Er war bis 2006 weiterhin als Firmbischof, Priester und Referent sowie als Zelebrant in tätig. Er starb am 16. Mai 2017.
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