Vatikanstadt - Sonntag, 21. Mai 2023, 15:30 Uhr.
Handelt es sich bei dem neuen Grundgesetz, das Papst Franziskus letzte Woche erlassen hat, lediglich um eine Modernisierung der Zivilverfassung der Vatikanstadt oder um etwas viel Größeres - vielleicht sogar um eine kopernikanische Revolution in der Art und Weise, wie der Stadtstaat funktioniert und sich selbst versteht?
Papst Franziskus sagte, er habe das neue Gesetz erlassen, "um auf die Bedürfnisse unserer Zeit zu reagieren". Und Professor Vincenzo Buonomo, ein Ratsmitglied des Vatikanstaates und Rektor der Lateranuniversität, betonte diese Woche, dass diese Reform, die erste seit 23 Jahren, lediglich darauf abzielt, einige Aspekte des Staates zu betonen und aufzuwerten und ihm gleichzeitig einen neuen "missionarischen Schub" zu geben, wie er sagte.
Doch in mancher Hinsicht nähert sich Franziskus mit der Verkündung vom 13. Mai dem Modell eines modernen, säkularen Staates.
Zwar lässt das neue Gesetz keinen Zweifel daran, dass die zivile Regierung eine absolute Monarchie bleibt, in der der Papst alle "legislativen, exekutiven und richterlichen Befugnisse" besitzt.
Aber das neue Gesetz gibt den zivilen Körperschaften der Vatikanstadt eine zentralere Rolle, auch in den internationalen Beziehungen, und es macht den Stadtstaat nun ausdrücklich zum Garanten der Souveränität des Heiligen Stuhls.
Weitere bemerkenswerte Änderungen sind die Zulassung von Laien in der Päpstlichen Kommission für den Staat Vatikanstadt, die Umstrukturierung der Staatsräte, die die Kommission beraten, in ein "Kollegium" und die Modernisierung und Verschärfung der Steueraufsicht.
Außerdem wird die Rolle des Staatssekretärs zurückgedrängt, während die Befugnisse des Papstes zentralisiert werden, wie es auch bei anderen Reformen während des Pontifikats von Franziskus der Fall war.
Gewährleistung der Unabhängigkeit
Die neue Verfassung von Franziskus ist das dritte Grundgesetz seit 1929, dem Jahr, in dem der Staat Vatikanstadt mit den Lateranverträgen gegründet wurde.
Der Vertrag beendete die sogenannte "Römische Frage". Nachdem Rom und der Kirchenstaat 1871 an das Königreich Italien angegliedert worden waren, stellte sich das Problem, wie die Unabhängigkeit des Heiligen Stuhls, der sich zu diesem Zeitpunkt auf italienischem Gebiet befand, gewährleistet werden konnte.
Es war nicht nur eine italienische Frage, denn die materielle und moralische Unabhängigkeit des Papstes und der Organe, durch die er seinen Dienst an der Weltkirche ausübt, liegt im Interesse aller Katholiken und aller Staaten.
Seit der Entstehung der modernen Staaten hat der Heilige Stuhl verstanden, dass die einzige Garantie für die Unabhängigkeit darin besteht, seinen eigenen Staat zu verwalten. Und so bestand die Lösung der römischen Frage in der Schaffung eines Territoriums, das so klein war, dass es fast symbolisch wirkte, aber über alle Bestandteile eines Staates verfügte: Territorium, Bevölkerung, Souveränität und Rechtssystem.
Heute ist die Zivilverwaltung für die Sicherheit, die öffentliche Ordnung, den Zivilschutz, den Gesundheitsschutz, die Gesundheitsfürsorge, die allgemeine Hygiene, die Umwelt und die Ökologie, die wirtschaftlichen Aktivitäten, die Post-, Philatelie- und Zolldienste, die Anschluss- und Netzwerkinfrastrukturen, die Bautätigkeiten, die technischen Systeme, die Sanitäranlagen und die Stromversorgung zuständig.
Außerdem ist sie für die Erhaltung, Aufwertung und Nutzung der Vatikanischen Museen sowie für die "Aufsicht über die Vermögenswerte des gesamten künstlerischen, historischen, archäologischen und ethnographischen Erbes" zuständig.
Nach 1929 gab es im Laufe der Zeit verschiedene Anpassungen an der Staatsverfassung, aber erst unter Johannes Paul II. wurde am 26. November 2000 ein neues Grundgesetz verkündet.
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1929 war vorgesehen, dass die gesetzgebende Gewalt direkt vom Papst ausgeübt werden sollte, mit der Möglichkeit, "die gesetzgebende Gewalt für bestimmte Angelegenheiten oder einzelne Gegenstände an den Gouverneur des Staates zu delegieren".
Das Gesetz aus dem Jahr 2000 legte stattdessen fest, dass die Päpstliche Kommission die gesetzgebende Gewalt direkt ausübt, außer in den Fällen, in denen der Pontifex sie sich selbst vorbehält. Der Staat blieb eine absolute Monarchie, aber Johannes Paul II. übergab die Leitung der Macht und der Verwaltung und machte damit deutlich, dass der Papst zwar König ist, aber nicht wie ein König handelt.
'Funktionen', nicht 'Befugnisse'
Das Staatssekretariat wurde im Gesetz von 2000 viermal erwähnt und fungierte in allen Fällen als Vermittler, um dem Papst Gesetzesentwürfe oder den Staatshaushalt vorzulegen.
Mit dem neuen Grundgesetz von Papst Franziskus rückt der Papst jedoch wieder in den Mittelpunkt des Geschehens.
Das Staatssekretariat wird nur noch einmal erwähnt - in Artikel 2, der unterstreicht, dass "die Vertretung des Staates Vatikanstadt in den Beziehungen zu den Staaten und zu anderen Völkerrechtssubjekten, in den diplomatischen Beziehungen und beim Abschluss von Verträgen dem Papst vorbehalten ist, der sie durch das Staatssekretariat ausübt."
Dieser Artikel bleibt gegenüber dem vorherigen Gesetz praktisch unverändert, mit der Ausnahme, dass er eine entscheidendere Rolle der Zivilverwaltung festlegt, die "im Namen und im Auftrag des Staates an den internationalen Institutionen teilnimmt, deren Mitglied der Heilige Stuhl ist" und die "mit den Organen und ausländischen Einrichtungen Beziehungen unterhält und Handlungen vornimmt, die notwendig sind, um die Versorgung, die Verbindungen, die Einrichtungen und die öffentlichen Dienste zu gewährleisten." Auf diese Weise nimmt der Staat eine kritischere Rolle ein.
Aber die Zentralisierung der Autorität des Papstes wird in der neuen Verfassung dadurch hervorgehoben, dass die Macht dem Papst vorbehalten ist, während anderen Stellen nur Funktionen zugewiesen werden. Aus diesem Grund spricht das neue Gesetz auch nicht von den "Befugnissen" des Staatssekretariats, der Verwaltung und der Päpstlichen Kommission. Stattdessen haben die verschiedenen Organe legislative, exekutive und judikative Funktionen.
Das neue Gesetz bestätigt auch die gesetzgebende Funktion der Päpstlichen Kommission, die bisher aus einem Kardinalpräsidenten und anderen vom Papst ernannten Kardinälen bestand. Doch nun gibt es eine Neuerung: Auch "andere Mitglieder" können in der Kommission benannt werden, darunter Laien und Frauen.
Eine weitere Änderung ist die Forderung nach einer leistungsfähigen Finanzverwaltung.
Nach dem neuen Gesetz muss ein von der Kommission genehmigter Dreijahres-Finanzplan "direkt dem Papst zur Genehmigung vorgelegt werden", ohne den Umweg über die vatikanischen Wirtschaftsgremien oder das Staatssekretariat zu nehmen, wie es das alte Gesetz vorsah.
Außerdem soll der Haushalt der Verwaltung des Staates Vatikanstadt "der Kontrolle und Prüfung durch ein aus drei Mitgliedern bestehendes Gremium unterworfen werden, das von der Päpstlichen Kommission für drei Jahre ernannt wird und ihr Bericht erstattet."
Wie sich diese neue Verfassung auf den Heiligen Stuhl auswirken wird, ist noch unklar.
Der Staat Vatikanstadt bleibt letztlich die Domäne des Papstes. Dennoch deutet das neue Gesetz darauf hin, dass der Stadtstaat nicht mehr nur als Stütze des Heiligen Stuhls betrachtet wird, sondern als ein Gebilde, das den säkularen und modernen Staaten näher steht, wie es in der Vergangenheit nie der Fall war. Es könnte eine notwendige und willkommene Aktualisierung der Staatsstruktur sein, aber könnte es auch die Institution des Heiligen Stuhls untergraben?
Übersetzt und redigiert aus dem englischen Original.