Präzedenzfall für Europa: Verfahren um Gottesdienstverbote als Frage der Menschenrechte

Der ehemalige EU-Sonderbeauftragte für Religions- und Glaubensfreiheit, Ján Figel und Adina Portaru, Senior Counsel bei ADF International.
ADF International

Sind pauschale Gottesdienstverbote mit dem Menschenrecht auf Religionsfreiheit vereinbar? In den Jahren 2020 und 2021 wurden religiöse Versammlungen in weiten Teilen Europas durch die Covid-Beschränkungen verboten.

Die juristische Aufarbeitung hat bereits begonnen: Der ehemalige EU-Sonderbeauftragte für Religions- und Glaubensfreiheit, Ján Figel, klagt seit zwei Jahren vor dem Europäischen Gerichtshof für Menschenrechte (EGMR) gegen die 2021 beschlossenen Einschränkungen und Verbote von Gottesdiensten in der Slowakei. Nun geht der Fall weiter: Figel, der von der Menschenrechtsorganisation ADF International und dem slowakischen Anwalt Martin Timcsak vertreten wird, wird Ende der Woche  auf eine Stellungnahme der slowakischen Regierung reagieren und dem Gericht seine rechtlichen Argumente darlegen.

Der Fall könnte wegweisend für 46 europäische Länder sein, darunter Deutschland und Österreich.

Erstes EGMR-Urteil zu Gottesdienstverboten?

„Die Religionsfreiheit verdient als Menschenrecht höchsten Schutz. Gottesdienste und religiöse Versammlungen zu verbieten, ist zutiefst illiberal und undemokratisch. Verbote von Gottesdiensten sind unverhältnismäßig. Die Argumente, die wir dem Gericht vorgelegt haben, machen deutlich, dass pauschale Gottesdienstverbote eine Verletzung des internationalen Rechts auf Religionsfreiheit darstellen“, so Dr. Ján Figel.

Der Fall könnte zum ersten Urteil des Europäischen Gerichtshofs für Menschenrechte über Gottesdienstverbote während der Corona führen. Der Präzedenzfall hätte dann Auswirkungen auf 46 europäische Staaten mit 676 Millionen Einwohnern.

„In Krisenzeiten müssen Grundrechte geschützt und dürfen nicht aufgeweicht werden“

Im Jahr 2021 hat die Slowakei ihre Einschränkungen für die Corona verlängert und Gottesdienste verboten. Ján Figel und die zuständige Anwältin von ADF International, Adina Portaru, sehen in dem Verbot einen drastischen Verstoß gegen die Verfassung und das Völkerrecht.

„Das Völkerrecht schützt die Religionsfreiheit als ein Recht, das für alle gilt - für Menschen mit und ohne Glauben. Grundlegende Freiheiten gelten für alle. In Krisenzeiten müssen Grundrechte geschützt und dürfen nicht aufgeweicht werden. Wir unterstützen Dr. Ján Figels Verteidigung der Religionsfreiheit“, sagte Dr. Adina Portaru, Senior Counsel bei ADF International.

"Messe im Internet" rechtfertigt keine Gottesdienstverbote

In dem Ende der Woche eingereichten Schriftsatz wird Figel darlegen, dass die Religionsfreiheit ausdrücklich auch die gemeinschaftliche Religionsausübung schützt.

Die slowakische Regierung hatte zuvor argumentiert, Religion könne rein individuell gelebt werden. Die Europäische Menschenrechtskonvention (EMRK) schützt jedoch in Artikel 9 eindeutig die Freiheit, seine Religion oder Weltanschauung einzeln oder in Gemeinschaft mit anderen durch Gottesdienst auszuüben.

Ist dieses Recht durch das “Streaming” der Heiligen Messe gewährleistet? Die slowakische Regierung verwies zur nachträglichen Rechtfertigung des Gottesdienstverbots auch auf digitale Gottesdienste.

Europaweit kommen Gerichte jedoch zu einem anderen Schluss: Das höchste schottische Zivilgericht urteilte, dass digitale Angebote „am besten als Alternative zum Gottesdienst und nicht als Gottesdienst selbst betrachtet werden sollten“.

Einschränkungen waren nicht "verhältnismäßig, angemessen und notwendig"

Die Regelungen gegen Gottesdienste seien weder verhältnismäßig, angemessen noch notwendig gewesen. Figel wies bereits bei Einreichung der Klage darauf hin, dass keines der Kriterien für eine rechtmäßige Einschränkung der Grundrechte erfüllt sei.

„Niemand sollte daran gehindert werden, friedlich nach seinen Überzeugungen zu leben. Es war offensichtlich, dass Gottesdienste auch während der Pandemie sicher abgehalten werden konnten. Pauschale Verbote ignorieren die zentrale Rolle der Religion im Leben gläubiger Menschen. Für Gläubige kann der Gottesdienst - die geistige Nahrung - so wichtig sein wie Essen und Trinken.

Deshalb steht die Religionsfreiheit im europäischen Recht und in unserer Verfassung unter besonderem Schutz. Ich erwarte, dass der EGMR dies ganzheitlich und unter besonderer Berücksichtigung der Bedeutung der Menschenrechte in einer demokratischen Gesellschaft betrachtet“, sagte Dr. Ján Figel vor der Präsentation der Argumente.

EU-Kommissar und EU-Sonderbeauftragter für Religionsfreiheit  

Ján Figeľ bekleidete von 2004 bis 2009 verschiedene Ämter als EU-Kommissar. 2016 ernannte ihn der Kommissionspräsident zum Sonderbeauftragten für Religions- und Weltanschauungsfreiheit außerhalb der EU.

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„Als Sonderbeauftragter war mir klar, dass die EU nicht glaubwürdig für Religionsfreiheit eintreten kann, wenn die Mitgliedsstaaten im eigenen Land Grundrechte verletzen.
Grundrechte im eigenen Land verletzen“, fügte Figeľ hinzu.

Als EU-Sonderbeauftragter für Menschenrechte spielte Figel eine entscheidende Rolle dabei, Asia Bibi, einer zu Unrecht wegen Blasphemie zum Tode verurteilten Katholikin, nach ihrem Freispruch zur Ausreise aus Pakistan zu verhelfen.

Auf seinen Vorschlag hin wurde der Heilige Johannes Paul II. zum Ehrenbürger der slowakischen Städte Prešov und Bratislava ernannt.

Figels Klage gegen die massiven Restriktionen während der Coronavirus-Phase wurde von verschiedenen Vertretern aus Kunst, Wissenschaft und Politik mit unterschiedlichem Glaubenshintergrund unterstützt. Auch die slowakische Bischofskonferenz begrüßte die Initiative.

ADF International setzte sich in mehreren Fällen von Gottesdienstverboten für die Religionsfreiheit ein. In Uganda unterstützte ADF International eine Koalition von Christen und Muslimen, die gegen ein diskriminierendes Verbot religiöser Versammlungen vorging. Auch in Irland, Schottland und der Schweiz hat sich ADF International erfolgreich für die Öffnung von Kirchen eingesetzt.

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