"Statt Salz der Erde ist die Botschaft Zuckerguss geworden"

Wenn "Hohoho" statt "Hallelujah" durch die Lüfte hallt: Monsignore Florian Kolfhaus darüber, warum der heilige Nikolaus den Weihnachtsmann ohrfeigen würde

Das Altarbild in der römischen Kirche Santa Maria Maddalena zeigt die Muttergottes, die dem heiligen Nikolaus das Pallium zurückgibt.
VATICAN Magazin/Paul Badde (Ausschnitt)

In unmittelbarer Nähe des römischen Pantheons findet sich die Kirche Santa Maria Maddalena. Die meisten Touristen eilen an ihr vorbei und drängen sich in die an der Ecke gelegene Eisdiele, die mit über hundert Sorten selbstgemachten "gelato" die Gaumenlust ihrer Besucher weckt.

Der gute Nikolaus, der Nüsse und Lebkuchen aus seinem Sack verteilt, hat in unserer Wohlstandsgesellschaft zahlreiche Konkurrenten. Sein Altar in einer der schönsten Barockkirchen Roms bleibt meistens unbeachtet, zumal das Bild des heiligen Bischofs ihn nicht als netten Menschenfreund zeigt, wie wir ihn aus den hübschen Bilderbüchern unserer kleinen Nichten und Neffen kennen.

Der dickliche, rotbäckige Mann mit weißen Rauschebart, der im Dezember von Haus zu Haus geht, um böse Buben zu einem anständigen Leben zu ermahnen und, sagen sie ihm stotternd ein Gedicht auf, brave Burschen und Mädchen mit Schokolade belohnt, ist in Santa Maria Maddalena als hagerer, kämpferischer Bischof der streitenden Kirche dargestellt.

Schon zu seiner Zeit – obwohl die Christen des vierten Jahrhunderts noch nicht wussten, wie gut es tut, beim Vaterunser im festen Händedruck der Banknachbarn Gemeinschaft und Solidarität zu spüren – waren Störenfriede einer harmonischen, dialogbereiten Gemeinde unbeliebt.

Nikolaus aber war in Wahrheit genau das: ein dickköpfiger, aggressiver Querulant!

Wegen eines kleinen Buchstabens verlor er die Beherrschung

Auf dem Konzil von Nicäa, das der Kaiser Konstantin einberufen hatte, um endlich wieder Ruhe im Reich zu schaffen, die durch die Diskussion über die Gottheit Christi gefährdet war, sollte der Priester Arius seine Ansichten erklären.

Er war der augenscheinlich so vernünftigen Meinung, dass Jesus, der sich selbst Menschensohn nannte, nicht gleichen göttlichen Wesens mit dem Vater sei. Er war eine herausragende Gestalt, ein begnadeter Prophet, ja vielleicht ein gottähnliches Geschöpf – aber doch nicht ewig und allmächtig, erhaben und anbetungswürdig wie Gott selbst, der ihn in die Welt gesandt hatte. Die klugen Worte eines Mannes, der wohl schon damals sagte, dass die Rede von einem in der Jungfrau Mensch gewordenen Gott eher dem polytheistischen Mythos angehöre als der vernunftgemäßen christlichen Religion, fanden die Aufmerksamkeit der Konzilsteilnehmer.

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Wer von ihnen wollte denn dem Zeitgeist und der damals modernen Philosophie widersprechen, die endlich erkannte, dass Gott von dieser Welt verschieden, unendlich erhaben, transzendent und mit allem Geschaffenen unvergleichbar sei?

Der Glaube an einen dem Vater wesensgleichen Sohn sei – wolle man nicht vom wissenschaftlichen Charakter der Theologie in die fromme, meist allzu naive Bildwelt der Predigten früherer Generationen zurückfallen – so nicht mehr haltbar. Während Arius seinen geneigten Zuhörern erklärte, dass Christus nicht gottgleich sei, dampfte die Mitra des vor Zorn geröteten Bischofs aus Myra. Seine auf Ausgleich bedachten Mitbrüder versuchten, ihn zu beruhigen, ging es in dem ganzen Streit doch nur um einen einzigen Buchstaben: Ob nun Jesus dem Vater "homoiousios" (wesensähnlich) oder "homoousios" (wesensgleich) sei. Wegen eines Jota – wer wolle denn päpstlicher als der Papst sein? – dürfe man nicht die Einheit der Kirche riskieren; wegen einer kleinen theologischen Spitzfindigkeit solle man doch bitte – und das wolle ja schließlich auch der Kaiser – den Frieden nicht aufs Spiel setzen.

Eine heilige Watschen für den Häretiker

Religion dürfe nicht zur Spaltung der Gesellschaft führen! Sollte denn wirklich ein winziges Häkchen in den katholischen Dogmatik-Büchern ein Schisma der Christenheit provozieren? Alle gut gemeinten Versuche, den mittlerweile vor Zorn schäumenden Nikolaus zu beruhigen, gingen fehl. Wütend verließ er – entgegen allen Konferenzregeln – seinen gepolsterten Platz, schritt energisch auf den immer noch eloquent redenden Arius zu und ohrfeigte ihn.

Schweigendes Entsetzen im ganzen Saal, bis plötzlich aus aller Munde Rufe der Empörung über das unbotmäßige Verhalten eines reformunwilligen Bischofs laut wurden. Unter dem Beifall der Mehrheit nahm der Vorsitzende Nikolaus das Pallium ab und erklärte, dass ein solch aggressives Verhalten wie das seine eines Nachfolgers der Apostel unwürdig sei und dem Geist des Konzils zuwiderlaufe. Der gescholtene Bischof von Myra hatte den Saal zu verlassen, während Arius von den hohen Herren der Versammlung nachdrücklich gebeten wurde, wegen der Beleidigung eines kleinasiatischen Oberhirten doch nicht seinen wegweisenden Vortrag abzubrechen. Am Abend in den Tavernen Nicäas, in denen die Bischöfe den Tag bei rotem Wein noch einmal Revue passieren ließen, schüttelten die Synodenteilnehmer den Kopf über die Engstirnigkeit eines Mannes, der wegen des Streits über einzigen Buchstaben die Fassung verlieren und damit die kollegiale Einmütigkeit des Konzils gefährden konnte.

Was wohl der Papst in Rom dazu sagen wird? "He will not be amused." In der gleichen Nacht aber – so erzählt die Legende – habe die Mutter Gottes Nikolaus, der ungeachtet der vergangenen Auseinandersetzungen den Schlaf des Gerechten schlief, geweckt, um ihm sein Pallium mit den Worten wiederzugeben: "Bene fecisti!" – "Nikolaus, das hast Du gut gemacht!" Als am nächsten Morgen der Bischof mit seinen priesterlichen Insignien in der Konzilsaula erschien, ging zuerst ein leises Raunen und dann erstauntes Rufen durch den Raum. Der Himmel hatte gesprochen. Und fast ebenso einmütig wie am Tag zuvor, als man Nikolaus des Saales verwiesen hatte, wurde nun Arius als Irrlehrer verurteilt, um fortan im Glaubensbekenntnis feierlich zu bekennen, dass der Sohn "wahrer Gott vom wahren Gott sei, gezeugt, nicht geschaffen, eines Wesens mit dem Vater". Es war der heilige Zorn des braven Mannes, der die orthodoxe Lehre triumphieren ließ – wenigstens für kurze Zeit. Ein heiliger Hieronymus erkannte die Dramatik der Stunde, wenn er später sagen sollte: "Ingemuit totus orbis et arianum se esse miratus est", es stöhnte der ganze Erdkreis und wunderte sich, dass er arianisch geworden war.

Wenn "Hohoho" statt Halleluja durch die Lüfte hallt

Das Altarbild in Santa Maria Maddalena zeigt den Bischof von Myra, der aus der Hand Mariens sein Pallium empfängt. Es erinnert an den wahren Nikolaus, der die Kirche nicht so sehr durch Mildtätigkeit – auch wenn diese ihn später berühmt und beliebt gemacht hat –, sondern durch eine schallende Ohrfeige gerettet hat. Kein Wunder, dass dieser Mann heute beinahe in Vergessenheit geraten ist und kaum jemand vor seinem Bild betet.

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An seiner Stelle zieht der Weihnachtsmann von Haus zu Haus und feiert kurz vor dem Geburtstag des Mensch gewordenen Gottessohnes den Triumph des Arianismus. Der heilige Nikolaus musste – nicht zuletzt dank der geschickten Werbestrategie von Coca-Cola – dem pausbäckigen alten Mann im roten Flanellanzug weichen, der lächelnd Geschenke austeilt. Wir zelebrieren das "Fest der Liebe" und meinen damit platte Nettigkeit und harmlose Friedfertigkeit. Wir werden nicht müde, die Menschlichkeit Jesu zu betonen und vergessen seine Göttlichkeit.

Wir hören die Ansprachen von Kanzlerin und Bundespräsident, die uns – nicht anders als die meisten Predigten vieler Pfarrer und Pastoren – daran erinnern, dass Harmonie, Solidarität, Friede, Eintracht und – noch einmal! – Menschlichkeit die höchsten Werte sind. Streit über einen Buchstaben – so typisch für religiöse Fanatiker und Fundamentalisten – dürfe nicht das gemeinsame Bekenntnis zu dem, was uns alle eint, trüben.

Weihnachtsmann, Symbol säkularer Wohlfühlreligion

Die Worte des heiligen Athanasius, der sich entschieden den arianisch, das heißt den damals modern gesinnten Bischöfen entgegenstellte, um die orthodoxe Lehre zu verteidigen, könnten für viele Christen unserer Zeit geschrieben sein: "Ihr wollt Kinder des Lichts sein, aber ihr möchtet die Kindschaft der Welt nicht gern aufgeben. Ihr solltet an die Buße glauben, ihr aber glaubt an das Glück der neuen Zeit. Ihr solltet von Gnade sprechen, aber ihr sprecht lieber vom menschlichen Fortschritt. Ihr solltet Gott verkünden, aber ihr predigt lieber den Menschen und die Menschheit. Ihr heißt euch nach Christus, aber ihr solltet euch lieber nach Pilatus nennen. Ihr seid der große Verderb, denn ihr sitzt in der Mitte. In der Mitte wollt ihr sitzen zwischen Licht und Welt. Ihr seid Meister des Kompromisses und geht mit der Welt mit. Ich sage euch: geht lieber in die Welt fort und verlasst den Meister, dessen Reich nicht von dieser Welt ist."

Symbol der säkularen Wohlfühlreligion, die mitten im kalten Winter die Herzen zu erwärmen versucht, ist der feiste Weihnachtsmann. Zum "Fest der Liebe" zückt auch er gerne mal das während der vergangenen Monate gut gefüllte Portemonnaie und spendet für die armen Kinder in fernen Ländern. Fleißig verteilt er Süßigkeiten. Ein Christ, dessen Zähne wegen all der Leckereien des dicken roten Mannes ausfallen, kann sie ihm und seinen Verehrern nicht mehr zeigen.

Statt Salz der Erde ist die Botschaft von Weihnachten Zuckerguss geworden. Der Mensch feiert den Menschen! Santa Claus schlägt den Takt und grölt ein wonniges "Hohohoho!" als universal verständliche Friedensbotschaft dazu. Wen wundert‘s, dass eine römische Eisdiele mehr Besucher zählt als der Altar mit dem beeindruckenden Gemälde des heiligen Nikolaus? Nur zu gerne würde er wohl auch heute aus dem Rahmen fallen, um den Weihnachtsmann zu ohrfeigen.

Veröffentlicht mit freundlicher Genehmigung von Vatican Magazin. Erstpublikation in einer früheren Fassung am 6. Dezember 2016. 

https://www.instagram.com/p/BNq6LDGhv55/

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Hinweis: Kommentare spiegeln die Meinung des Verfassers wider, nicht unbedingt die der Redaktion von CNA Deutsch. 

Msgr. Florian Kolfhaus hat folgende Bücher veröffentlicht: "Ganz Dein, Maria" (2. Auflage, Dominus Verlag, Augsburg), "Via Dolorosa" (2. Auflage, Dominus Verlag, Augsburg), "Der Rosenkranz – Theologie auf Knien" (1. Auflage, Dominus Verlag Augsburg). Es sind Bücher für die Praxis eines christlichen Gebets- und Glaubenslebens. Im Media Maria Verlag ist unlängst das Buch erschienen "Stärker als der Tod – Warum Maria nicht gestorben ist".