Vatikanstadt - Freitag, 17. Mai 2024, 12:00 Uhr.
Das vatikanische Dikasterium für die Glaubenslehre hat am Freitagmittag umfangreiche „Normen für das Verfahren zur Beurteilung mutmaßlicher übernatürlicher Phänomene“ veröffentlicht. Es gehe dabei darum, „die Diözesanbischöfe und die Bischofskonferenzen bei der Unterscheidung in Bezug auf Phänomene, die angeblich übernatürlichen Ursprungs sind, zu unterstützen“, betont das Dokument.
Anders als bisher schließen die Verfahren nun gewöhnlich nicht mehr mit einer Feststellung der Übernatürlichkeit des Phänomens ab, sondern mit einem bloßen „Nihil obstat“, dass also nichts im Zusammenhang mit der mutmaßlichen Erscheinung oder Vision dem Glauben widerspricht.
Neben den Normen im eigentlichen Sinn umfasst das Dokument auch eine längere zusammenfassende „Präsentation“ von Kardinal Víctor Manuel Fernández, dem Präfekten des Glaubens-Dikasteriums.
„Es gibt so viel Leben und Schönheit, die der Herr jenseits unserer gedanklichen Schemata und Verfahrensweisen sät“, so der Kardinal mit Blick auf Erscheinungen und Visionen. Die Normen seien also „nicht unbedingt als Kontrolle gedacht und noch weniger als Versuch, den Geist auszulöschen. In den positivsten Fällen von Ereignissen mutmaßlichen übernatürlichen Ursprungs wird nämlich ‚der Diözesanbischof ermutigt, den pastoralen Wert dieses spirituellen Angebots zu schätzen und auch dessen Verbreitung zu fördern‘.“
Nichtsdestotrotz konstatierte der Kardinal, „dass in einigen Fällen von Ereignissen, die mutmaßlichen übernatürlichen Ursprungs sind, sehr ernste Probleme zum Schaden der Gläubigen auftreten, und in diesen Fällen muss die Kirche mit all ihrer pastoralen Fürsorge handeln. Ich beziehe mich zum Beispiel auf den Gebrauch solcher Phänomene zur Erlangung von ‚Profit, Macht, Ruhm, sozialer Berühmtheit, persönlichen Interessen‘, was sogar so weit gehen kann, dass die Möglichkeit besteht, schwerwiegende unmoralische Handlungen zu begehen oder sogar ‚als Mittel oder Vorwand, um Menschen zu beherrschen oder Missbrauch zu begehen‘.“
Fernández warnte auch, dass es „zu Irrtümern in der Glaubenslehre, zu einer unangemessenen Verkürzung der Botschaft des Evangeliums, zur Verbreitung eines sektiererischen Geistes usw. kommen kann. Schließlich besteht auch die Möglichkeit, dass die Gläubigen in den Bann eines einer göttlichen Initiative zugeschrieben Ereignisses geraten, das aber lediglich Frucht der Phantasie, des Strebens nach etwas Neuem, der Mythomanie oder der Neigung zur Verfälschung ist.“
Die bisherigen Normen seien „nicht mehr ausreichend und angemessen“ gewesen, „um die Arbeit sowohl der Bischöfe als auch des Dikasteriums zu leiten, und dies wird heute noch problematischer, da es schwierig ist, dass ein Phänomen auf eine Stadt oder eine Diözese begrenzt bleibt“, erläuterte Fernández den Hintergrund des neuen Dokuments.
Neues Verfahren
Zur Beurteilung mutmaßlicher übernatürlicher Phänomene legt das Glaubens-Dikasterium nun „ein anderes, aber auch ein reichhaltigeres Verfahren als in der Vergangenheit“ vor, wie Fernández schreibt. Konkret sprach er von „sechs möglichen prudenziellen Schlussfolgerungen“: „Diese möglichen Schlussfolgerungen beinhalten normalerweise keine Erklärung über die Übernatürlichkeit des zu beurteilenden Phänomens, d. h. die Möglichkeit, mit moralischer Gewissheit zu bejahen, dass dies auf eine Entscheidung Gottes zurückgeht, der es direkt gewollt hat. Stattdessen bedeutet die Gewährung eines Nihil obstat lediglich, wie Papst Benedikt XVI. bereits erläuterte, dass es Gläubigen in Bezug auf dieses Phänomen ‚gestattet [ist], ih[m] in kluger Weise ihre Zustimmung zu schenken‘.“
„Da es sich nicht um eine Erklärung über die Übernatürlichkeit der Tatsachen handelt, wird noch deutlicher, wie auch Papst Benedikt XVI. sagte, dass es sich nur um eine Hilfe handelt, ‚von der man nicht Gebrauch machen muß‘“, erläuterte der Kardinal. „Auf der anderen Seite lässt diese Intervention natürlich die Möglichkeit offen, dass unter Berücksichtigung der (nachfolgenden) Entwicklung der (Devotion), in Zukunft eine andere Intervention notwendig sein könnte.“
„Das in den neuen Normen vorgesehene Verfahren mit dem Vorschlag von sechs möglichen prudenziellen Entscheidungen ermöglicht es, innerhalb einer zumutbareren Zeit zu einer Entscheidung zu gelangen, die dem Bischof hilft, die Situation in Bezug auf Ereignisse mutmaßlich übernatürlichen Ursprungs zu steuern, bevor sie sehr problematische Ausmaße annehmen, ohne dass die notwendige kirchliche Unterscheidung getroffen wird“, zeigte sich Fernández überzeugt.
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„In jedem Fall erlaubt ein Nihil obstat den Seelsorgern, ohne Zweifel oder Zögern zu handeln, um an der Seite des Volkes Gottes zu sein und die Gaben des Heiligen Geistes zu empfangen, die inmitten von diesen Ereignissen auftreten können“, betonte er. „Der Ausdruck ‚inmitten von‘, der in den neuen Normen verwendet wird, hilft zu verstehen, dass man, auch wenn man keine Erklärung über die Übernatürlichkeit des Ereignisses selbst abgibt, dennoch die Zeichen eines übernatürlichen Wirkens des Heiligen Geistes im Kontext des Geschehens klar anerkennt.“
Sechs mögliche Schlussfolgerungen
Wie aus den Normen selbst hervorgeht, nicht aus der einleitenden „Präsentation“ von Fernández, handelt es sich bei den erwähnten „sechs möglichen prudenziellen Entscheidungen“ neben dem „Nihil obstat“ um die Begriffe „Prae oculis habeatur“, „Curatur“, „Sub mandato“, „Prohibetur et obstruatur“ sowie „Declaratio de non supernaturalitate“.
Das Dokument erläutert all diese Begriffe. „Declaratio de non supernaturalitate“ bedeute etwa, „dass das Phänomen als nicht übernatürlich betrachtet wird“. Eine solche Entscheidung müsse sich „auf konkrete und nachgewiesene Fakten und Beweise stützen. Zum Beispiel, wenn ein angeblicher Seher behauptet, gelogen zu haben, oder wenn glaubwürdige Zeugen Elemente für die Beurteilung beibringen, die es erlauben, die Verfälschung des Phänomens, eine fehlerhafte Absicht oder Mythomanie aufzudecken.“
„Prohibetur et obstruatur“ bedeute: „Obwohl es berechtigte Anliegen und einige positive Elemente gibt, erscheinen die kritischen Aspekte und Risiken als gravierend. Um weitere Verwirrung oder gar einen Skandal zu vermeiden, der den Glauben der Einfachen in Mitleidenschaft ziehen könnte, bittet das Dikasterium daher den Diözesanbischof, öffentlich zu erklären, dass das Festhalten an diesem Phänomen nicht zulässig ist, und gleichzeitig eine Katechese anzubieten, die helfen kann, die Gründe für diese Entscheidung zu verstehen und die legitimen geistlichen Anliegen dieses Teils des Volkes Gottes neu auszurichten.“
Für „Sub mandato“ gelte: „Die festgestellten kritischen Punkte beziehen sich nicht auf das Phänomen selbst, das reich an positiven Elementen ist, sondern auf eine Person, eine Familie oder eine Gruppe von Menschen, die missbräuchlich davon Gebrauch machen.“
Das Verdikt „Curatur“ stelle „mehrere oder bedeutende kritische Elemente“ fest, „aber gleichzeitig ist das Phänomen bereits weit verbreitet und es sind damit verbundene und nachweisbare geistliche Früchte vorhanden. Von einem Verbot, das das Volk Gottes verwirren könnte, wird in diesem Zusammenhang abgeraten.“
Zu „Prae oculis habeatur“ heißt es in den Normen: „Obwohl wichtige positive Zeichen anerkannt werden, werden auch einige Elemente der Verwirrung oder mögliche Risiken wahrgenommen, die eine sorgfältige Unterscheidung und Dialog mit den Empfängern einer bestimmten geistlichen Erfahrung seitens des Diözesanbischofs erfordern.“
Zuständigkeiten
Fernández ging in seiner „Präsentation“ auch auf die klareren Zuständigkeiten ein: „Einerseits bleibt es dabei, dass die Unterscheidung die Aufgabe des Diözesanbischofs ist. Andererseits, in Anbetracht der Tatsache, dass diese Phänomene heute mehr denn je viele Menschen betreffen, die anderen Diözesen angehören, und sich schnell in verschiedenen Regionen und Ländern ausbreiten, legen die neuen Normen fest, dass das Dikasterium konsultiert werden und immer eingreifen muss, um die endgültige Zustimmung zu den Entscheidungen des Bischofs zu geben, bevor dieser eine Entscheidung über ein Ereignis mutmaßlichen übernatürlichen Ursprungs veröffentlicht.“
Das Dikasterium für die Glaubenslehre behalte sich „in jedem Fall“ das Recht vor, auch aus eigenem Antrieb einzugreifen oder erneut zu intervenieren, wenn es die Situation verlangt.