Kardinal Koch: „Glaubensweitergabe ist eine Schicksalsfrage“

Kardinal Kurt Koch
Peter Christoph Düren

Viele Menschen leiden unter einer tiefen Glaubenskrise. Mission, Neuevangelisierung und Glaubensweitergabe bilden gleichsam den roten Faden, der sich durch das Leben und Wirken von Joseph Ratzinger bzw. Papst Benedikt XVI. zieht. Darauf hat Kardinal Kurt Koch in seinem Referat bei der 31. Theologischen Sommerakademie des Initiativkreises katholischer Laien und Priester in der Diözese Augsburg hingewiesen.

Bereits in den 1950er Jahren habe Ratzinger festgestellt, dass Europa zur „Geburtsstätte eines neuen Heidentums“ geworden sei, und so habe er von einer „Kirche der Heiden, die sich noch Christen nennen, aber in Wahrheit zu Heiden wurden“, gesprochen.

Wie der Glaube an die kommenden Generationen weitergegeben werden kann, sei zur Schicksalsfrage für die Kirche geworden. „Die heutige Krise des Glaubens und der Glaubensweitergabe muss beim Namen genannt und analysiert werden“, so Koch in Augsburg.

Diese Krise sei in einem weitgehenden Verblassen des biblisch-christlichen Bildes Gottes als eines in der Geschichte gegenwärtigen und handelnden Gottes begründet. „Dieses grundlegende Problem lässt sich am ehesten in der Kurzformel festmachen: Religion ja – ein persönlicher Gott nein.“

„Infekt der heutigen Krise des Christentums“

Die Ursache, so der Kardinal, sei nicht leicht zu diagnostizieren, weil sie in einer hauptsächlich religionsfreundlichen Atmosphäre stattfinde. Tatsache sei, dass sich immer weniger Menschen einen Gott noch vorstellen können, der in der Welt gegenwärtig ist, der in ihr handelt und sich um den einzelnen Menschen sorgt. Ein solcher Deismus habe sich praktisch im allgemeinen Bewusstsein durchgesetzt. Koch sprach von einem „innersten Infekt der heutigen Krise des Christentums“.

Ein deistisch verstandener Gott tauge weder zum Fürchten noch zum Lieben. „Es fehlt die elementare Leidenschaft an Gott; und darin liegt die tiefste Glaubensnot in der heutigen Welt, die durch eine dumpfe Taubheit gegenüber Gott charakterisiert ist. Das Leben nicht weniger Menschen und manchmal selbst von Christen ist von einer weitgehenden Gottvergessenheit geprägt, und zwar bis dahin, dass sie sogar vergessen haben, dass sie Gott vergessen haben.“

Neuevangelisierung

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Als Reaktion darauf habe Papst Benedikt XVI. die missionarische Überzeugung unter der Leitperspektive der Neuevangelisierung in die Mitte des kirchlichen Lebens gestellt. Die Neuevangelisierung unterscheide sich dabei vor allem in einem wesentlichen Punkt von der missio ad gentes, also der Erst-Evangelisierung. Die Neuevangelisierung sei an jene Menschen gerichtet, die in „Gebieten alter christlicher Tradition“ leben, „wo das Licht des Glaubens schwach geworden ist, und die sich von Gott entfernt haben, ihn nicht mehr als für das Leben wichtig ansehen“.

Papst Benedikt XVI. habe deshalb drei Initiativen auf den Weg gebracht: Die Gründung eines eigenen Päpstlichen Rates zur Förderung der Neuevangelisierung im Jahre 2010, die Ausrufung eines Jahres des Glaubens zum 50. Jahrestag der Eröffnung des Zweiten Vatikanischen Konzils und die Generalversammlung der Bischofssynode zum Thema „Die neue Evangelisierung und die Weitergabe des christlichen Glaubens“. Im Mittelpunkt seines Wirkens als Präfekt der Kongregation für die Glaubenslehre habe bereits die Erarbeitung und Veröffentlichung des „Katechismus der Katholischen Kirche“ gestanden.

Aus der Analyse der Krise des Glaubens und der Glaubensweitergabe folge von selbst die Glaubenstherapie, nämlich das Aufwerfen der Frage nach Gott und nach dem Christusbekenntnis. Es sei allererste Priorität, Gott gegenwärtig zu machen und den Menschen den Zugang zu Gott zu öffnen. In neuer Weise müsse wahrgenommen werden können, dass das Christentum in seinem innersten Kern Glaube an Gott und das Leben einer persönlichen Beziehung mit ihm sei und dass alles andere daraus folge.

Die Zentralität Gottes in allem Denken und Tun des Christen und der Kirche müsse ganz neu erscheinen, betonte Koch. Man lasse sich zwar berühren von menschlichen Dimensionen an Jesus; es bereite aber weithin Mühe, im Menschen Jesus das Antlitz des Sohnes Gottes wahrzunehmen.

Deshalb bestehe die Glaubensweitergabe vor allem darin, Gott zu den Menschen zu tragen und sie in eine persönliche Gottesbeziehung hinein zu begleiten, und zwar in der Überzeugung, dass derjenige dem Menschen nicht genug gibt, der ihm nicht Gott gibt, auch wenn er ihm ansonsten vieles darreicht. „Denn Gott wird nur dort wirklich verkündet, wo der Mensch in eine Beziehung mit ihm eingeführt wird, und dies bedeutet vor allem, dass er das Beten lernt.“

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Jesus Christus als Antwort auf den Deismus

Der Kardinal stellte klar: „Denn Christen glauben nicht einfach an irgendeinen Gott im Sinne eines höchsten Wesens jenseits der Welt. Sie bekennen sich vielmehr zu einem Gott, der mit uns Menschen in Beziehung stehen und für uns da sein will, der deshalb nicht stumm ist, sondern spricht, der zu seinem Volk Israel gesprochen hat und sich in endgültiger Weise in seinem Sohn Jesus von Nazareth mitgeteilt und sein wahres Gesicht gezeigt hat.“

In der Person Jesus Christus finde Papst Benedikt XVI. denn auch die überzeugendste Antwort auf den Deismus, berichtete der Kurienkardinal bei der Veranstaltung in Augsburg. „Nur in und durch Jesus Christus wird Gott uns wirklich konkret. Mit der Überzeugung, dass uns in der Menschwerdung des göttlichen Logos die Wahrheit, die Gott selbst ist, als Person begegnet, steht oder fällt der christliche Glaube.“

Die wichtigste Aufgabe, vor der die Neuevangelisierung heute stehe, liege deshalb in der Erneuerung der Christologie, die den Mut aufbringen müsse, „Christus in seiner ganzen Größe zu sehen, wie ihn die vier Evangelien in ihrer spannungsvollen Einheit zeigen“. In diesem Herzensanliegen sei es auch begründet, „dass Papst Benedikt XVI. der aufreibenden Anstrengung seines petrinischen Dienstes Zeit und Kraft abgerungen hat, um sein Buch über Jesus von Nazareth zu schreiben, mit dem er den Leser dazu bewegen will, sein Herz zu öffnen für die Entscheidung, Jesus Christus ganz zu folgen“.

Koch erklärte: „Die Zentralität der Gottesfrage und die Christozentrik sind die elementaren Inhalte, um deren Verkündigung es bei der heute notwendigen Neuevangelisierung gehen muss. Die Glaubensweitergabe kann dabei nicht einfach als ein vereinzelter Vollzug in der Kirche betrachtet werden, sondern muss in den wesentlichen kirchlichen Grundfunktionen der Martyria, Leiturgia, Diakonia und Koinonia verwirklicht werden.“

Ratzinger habe sich ein Leben lang darum gesorgt, dass das Evangelium nicht einfach wie ein Wort aus der Vergangenheit betrachtet und verkündet werde, sondern als ein lebendiges Wort, das in die Gegenwart hinein spricht. „Gott hat gesprochen, Gott ist da. Diese Tatsache als solche ist Heil: Gott kennt uns, Gott liebt uns, er ist in die Geschichte eingetreten.“

Liturgie als Ort der Glaubensweitergabe

Die Liturgie sei der primäre und privilegierte Ort der Glaubensweitergabe, weil sie nicht nur im Reden von Gott, sondern in allererster Linie im Reden zu Gott geschieht. „Es ist das selbstlose Stehen der Glaubenden vor Gott und das Schauen auf ihn, die das Licht Gottes in der liturgischen Feier auch den Außenstehenden spürbar werden lassen.“ Die Liturgie verliere umgekehrt dort ihre Ausstrahlungskraft, wo sie unvermittelt missionarisch sein wolle und diesen Zweck mit katechetisch belehrenden Elementen unterstreiche.

„Vor diesem Hintergrund verstehen wir auch, dass die Kirche die heilige Theresia von Lisieux zur Patronin der Mission erwählt hat.“ Auf den ersten Blick erscheine dies wenig verständlich, denn diese Heilige hat nie ein Missionsland betreten und hat nicht unmittelbar missionarische Aktivitäten ausgeübt. „Sie hat aber missionarisch gewirkt, indem sie im eucharistischen Herz der Kirche die ganze Welt vor Gott getragen und für sie gebetet hat. In dieser Weise hat sie gelebt, wie sich glaubwürdige Mission vollzieht.“

Die Neuevangelisierung und die Glaubensweitergabe seien „nicht einfach eine Form des Redens, sondern eine Form des Lebens“. Ohne Kirche könne es keinen Glauben und deshalb auch keine Glaubensweitergabe geben. „Die Kirche als ganze steht deshalb nur dann im Dienst der Glaubensweitergabe, wenn sie nicht nur das Wort Gottes verkündet, sondern selbst ein Lebensort Gottes ist, so dass die Menschen erfahren können, dass es die Kirche um Gottes willen gibt.“ Die Kirche sei kein Zweck in sich selbst, sondern dazu da, „damit Gott gesehen wird“.

Der christliche Gottesgedanke habe für Ratzinger stets zwei Seiten: Gott ist Liebe und Vernunft, Caritas und Logos. „Die christliche Botschaft der Liebe muss deshalb auch intellektuell durchdacht und verantwortet werden, um die Menschen berühren zu können. Das lebenslange Suchen nach einer glaubwürdigen Synthese von Glaube und Vernunft stand bei Joseph Ratzinger von daher ebenfalls im Dienst der Glaubensvermittlung“, betonte Koch.

Gott als Liebe und Vernunft könne den Menschen aber nur nahe gebracht werden, wenn die Glaubensweitergabe ein durch und durch freiheitlicher Vorgang sei, der sich an die Freiheit anderer Menschen adressiert, ohne ihnen etwas aufdrängen zu wollen.

Missionarische Dynamik lebe nur, wenn sie aus Freude am Evangelium entstehe und davon Zeugnis gebe, und zwar aufgrund des echten Wunsches, das unschätzbare Geschenk, das Gott uns selbst gemacht hat, mit anderen Menschen zu teilen. „Die Freude am Evangelium zu verkünden ist deshalb die wichtigste Sendung der heutigen Christenheit“, hob Koch in Augsburg hervor.