Am 22. Oktober 1980 setzt Johannes Paul II. seine Betrachtungen zur Leibfreundlichkeit (veröffentlicht in L’Osservatore Romano 80/44) fort. Noch immer deutet er die Überlegungen zur Lüsternheit und weist dem Ehebruch im Herzen eine herausragend wichtige Bedeutung für die Theologie des Leibes zu. Der menschliche Körper werde weder verdammt noch angeklagt, nur eine „Verurteilung des menschlichen Herzens“ lasse sich vielleicht annehmen.

Johannes Paul II. erwägt aber, ob es nicht eher um eine kritische Prüfung gehe. Er legt dar: „Wenn wir die tiefe Bedeutung von Matthäus 5,27–28 zu ergründen suchen, müssen wir allerdings feststellen, dass das hier eingeschlossene Urteil über das ‚Begehren‘ als Akt der fleischlichen Begierde nicht eine Verneinung, sondern eine Bejahung des Leibes enthält: zusammen mit dem Geist bestimmt er nämlich die seinsmäßige Subjektivität des Menschen und hat an seiner Würde als Person teil. Das Urteil über die fleischliche Begierde hat also eine grundlegend andere Bedeutung als jene, welche die manichäische Ontologie des Leibes voraussetzt und die notwendigerweise aus ihr erwächst.“

Der Mensch sei in seinem leibhaftigen Mann- oder Frausein dazu berufen, zu einer „Kundgabe des Geistes“ zu werden: „Er wird dies auch durch die eheliche Verbindung von Mann und Frau, wenn sie ‚ein Fleisch‘ werden.“ Diese Einheit besitze den Charakter eines „sakramentalen Zeichens“. Wenn Christus mahnt, dass es gelte, „gegenüber der leiblichen Begierde wachsam zu sein, drückt er auch hier die gleiche Wahrheit über die ontologische Dimension des Körpers aus und bestätigt seine sittliche Bedeutung, wie es dem Ganzen seiner Lehre entspricht“.

Die menschliche Geschlechtlichkeit trägt ihren Wert in sich. Sie darf auch nicht geleugnet oder manipuliert werden: „Nach den Worten Christi in der Bergpredigt hingegen ist das christliche Ethos von einem Wandel im Bewusstsein und in den Haltungen der menschlichen Person, des Mannes wie der Frau, gekennzeichnet, der den Wert des Leibes und der Geschlechtlichkeit kundtut und verwirklicht, wie sie nach dem ursprünglichen Plan des Schöpfers in den Dienst der Personengemeinschaft gestellt sind, welche den tiefsten Grund der menschlichen Sittlichkeit und Kultur bildet.“

Die scheinbare „Anklage“ gegen das menschliche Herz deutet Johannes Paul II. nunmehr als „Appell“: „Die Anklage des moralischen Übels, welches das der ungezügelten fleischlichen Begierde entsprungene Verlangen in sich birgt, ist gleichzeitig ein Appell zur Überwindung dieses Übels. Auch wenn der Sieg über das Böse in der Loslösung von ihm bestehen muss (daher die strengen Worte im Zusammenhang von Mt 5,27–28), handelt es sich doch nur um die Abkehr vom bösen Akt (in unserem Fall vom inneren Akt der Begierde) und nicht um die Übertragung des negativen Charakters dieses Aktes auf sein Objekt.“

Es geht also nicht darum anzuklagen, sondern an das Gute zu appellieren, im Sinne des Ethos der Bergpredigt: „Denn das Übel der Begierde, das heißt des Aktes, von welchem Christus in Mt 5,27–28 spricht, macht deutlich, dass das Objekt, auf das er sich richtet, für das menschliche Subjekt einen ‚nicht hinreichend gewürdigten Wert‘ darstellt. Wenn in unserem Text der Bergpredigt (Mt 5,27–28) das menschliche Herz der Begierde ‚angeklagt‘ (bzw. vor ihr gewarnt) wird, ist darin gleichzeitig der Aufruf enthalten, den vollen Sinn dessen zu entdecken, was in dem Akt der Begierde für ihn einen ‚nicht hinreichend gewürdigten Wert‘ darstellt. Die Worte Christi sind bekanntlich: ‚Wer eine Frau auch nur lüstern ansieht, hat in seinem Herzen schon Ehebruch mit ihr begangen.‘ Den ‚im Herzen begangenen Ehebruch‘ kann und muss man als Minderung oder als Verarmung eines echten Wertes verstehen, als vorsätzliche Aberkennung des unverkürzten Wertes der Fraulichkeit.“

Der Herr fordere aber zu einer neuen Entdeckung und Bestärkung des besonderen Wertes und der besonderen Würde der Fraulichkeit auf. Das menschliche Herz muss sich darum auch besinnen und die Würde der Frau im Ganzen achten. Nur wer die Würde als Person anerkennt und achtet, der kann wirklich lieben: „Der Appell zur Beherrschung der fleischlichen Begierde stammt eben aus der Bekräftigung der personalen Würde des Leibes und des Geschlechts und dient ausschließlich dieser Würde.“ Gerade darin liegt, wie Johannes Paul II. überzeugend veranschaulicht, auch die Leibfreundlichkeit, von der das Evangelium Jesu Christi und die Lehre der Kirche sprechen.

Hinweis: Meinungsbeiträge wie dieser spiegeln die Ansichten der jeweiligen Gast-Autoren wider, nicht notwendigerweise jene der Redaktion von CNA Deutsch.

Erhalten Sie Top-Nachrichten von CNA Deutsch direkt via WhatsApp und Telegram.

Schluss mit der Suche nach katholischen Nachrichten – Hier kommen sie zu Ihnen.