23. April 2025
Der Augsburger Kirchenhistoriker und Priester Jörg Ernesti ist ein ausgewiesener Kenner der modernen Papstgeschichte. CNA Deutsch sprach mit ihm über den Tod von Papst Franziskus, die Sedisvakanz und das bevorstehende Konklave zur Wahl eines neuen Papstes.
Sie haben sich als Kirchenhistoriker intensiv mit den Päpsten der Moderne beschäftigt. Wie ordnen Sie Papst Franziskus in dieses Gesamtgefüge ein?
Als Autor profitiert man natürlich am meisten von einem Gang durch die Geschichte, und in der Papstgeschichte besonders vom Vergleich verschiedener Amtsinhaber. An Franziskus hat mich von Anfang an fasziniert, dass er nicht nur ein Reformer ist (so wird er ja in der Presse überwiegend wahrgenommen), sondern auch ein Mann mit einem entwickelten Bewusstsein für die Tradition und einen großen Respekt für sie. Große Revolutionen kann ich in seinem Pontifikat nicht erkennen, wohl aber behutsame Anstöße, die entscheidend etwas in Bewegung gebracht haben.
Was hat Sie persönlich an Papst Franziskus beeindruckt? Was fanden Sie womöglich verwirrend oder gar befremdlich?
Mich persönlich hat beeindruckt, mit welcher Sicherheit er sein Amt von Anfang an ausgeübt hat. Das konnte im Grunde genommen nur ein Mann tun, der lange Jahre Führungserfahrung gesammelt hat, als Provinzial, als Hochschulrektor und als Erzbischof. Der verstorbene Papst hat auch eine hervorragende Menschenkenntnis gehabt. Er hat sehr gute Männer und Frauen als Mitarbeiter ausgewählt. Nach meinem Eindruck ist die Kurie heute sehr viel besser aufgestellt als manchmal zu früheren Zeiten.
Etwas befremdet hat mich von Anfang an (und das ist wirklich meine persönliche Meinung), dass die Schlichtheit seiner Lebensformen und seines Auftretens als etwas ganz Neues wahrgenommen wurde. Auch die Päpste der letzten 150 Jahre haben persönlich sehr bescheiden und einfach gelebt. Im Licht seiner demonstrativen Einfachheit sind seine Vorgänger nicht eben gut weggekommen (wenn ich das einmal salopp sagen darf).
Ihr jüngstes Buch beschäftigt sich mit Geschichte, Verfassung und Politik des Vatikans. Könnten Sie unseren Lesern erläutern, wie das Zusammenspiel von Papst als (irdisches) Oberhaupt der Kirche und Papst als Staatsoberhaupt funktioniert?
Der Papst hat – mit kürzeren Unterbrechungen – seit dem Jahr 754 einen eigenen Staat. Er ist also nicht nur geistliches Oberhaupt der katholischen Kirche, sondern auch in Personalunion weltliches Oberhaupt eines Staates. Dieser Staat wurde 1929 als kleinster Staat der Welt neu begründet. Dass der Papst als Inhaber des „Heiligen Stuhls“ staatliche Souveränität besitzt, ist aus heutiger Sicht wichtig, da er so eine Stimme in der Weltpolitik hat. 180 Staaten unterhalten diplomatische Beziehungen zu ihm, er ist Beobachter oder Mitglied in den großen Weltorganisationen. Und auf diese Weise können sich die Päpste für Frieden, Gerechtigkeit und Religionsfreiheit überall auf der Welt einsetzen.
Was geschieht im Vatikan während der Sedisvakanz? Kommt die Verwaltung – kirchlich und staatlich – zum Erliegen?
Früher war es so, dass die Leiter der Dikasterien, der römischen Zentralbehörden, beim Tod eines Papstes im Amt blieben. Heute muss ein neuer Papst sie im Amt bestätigen. Aber die Verwaltung kommt nicht zum Erliegen. Eine zentrale Rolle hat in der Sedisvakanz der Kardinalkämmerer, aktuell Kevin Farrell. Er organisiert das Konklave und führt bis zur Neuwahl die Amtsgeschäfte. Gesetze erlassen darf er nicht. Paul VI. und Johannes Paul II. haben seine Aufgaben detailliert beschrieben und auch dargelegt, wie bestimmte Kardinäle mit ihm zusammenwirken müssen.
Nun steht in nicht allzu ferner Zeit ein Konklave an. Natürlich schließen wir keine Wetten ab, wer der nächste Papst wird. Stattdessen die Frage: Wie schwierig könnte es werden, sich auf einen Papst zu einigen, wenn die Kardinäle im Pontifikat von Papst Franziskus kaum Gelegenheit hatten, sich zu begegnen und einander kennenzulernen?
In früheren Zeiten war es oft so, dass Kardinäle erst ankamen, als das Konklave schon begonnen hatte – manchmal war es sogar schon vorbei. Das ist heute nicht der Fall. Mit dem Flugzeug können die Kardinäle selbst aus den entferntesten Weltgegenden in den nächsten Tagen in Rom eintreffen. Und dann haben sie ja noch sehr viel Zeit, sich bei den sogenannten Generalkongregationen besser kennen zu lernen.
Welche Erwartungen muss der neue Papst Ihrer Ansicht nach in der Welt von heute erfüllen, zumindest in gewissem Maße?
Die katholische Kirche ist in den zwölf Jahren unter Papst Franziskus stark gewachsen, um über 150 Millionen Mitglieder. Der Zuwachs kommt vor allem in Afrika und Asien zustande. Der Niedergang des europäischen Christentums hat sich auch unter dem verstorbenen Papst fortgesetzt, trotz seiner Ausstrahlung und seines Prestiges. Ich persönlich würde mir von einem neuen Papst erwarten, dass er zu diesem Problem etwas beizutragen hat. Ich weiß natürlich, dass es keine Patentrezepte geben kann.
Hinweis: Interviews wie dieses spiegeln die Ansichten der jeweiligen Gesprächspartner wider, nicht notwendigerweise jene der Redaktion von CNA Deutsch.