Theologie-Professor: Deutsche Theologie hat keine weltweite Ausstrahlung mehr

Professor Ulrich Lehner
University of Notre Dame

Die Theologie in Deutschland steckt – trotz Ausnahmen – in einer Krise. Zu diesem Schluss kommt ein deutscher Theologie-Professor, der mittlerweile im Ausland lehrt. Ulrich Lehner hat Philosophie, Theologie und Geschichte in Regensburg, München und Notre Dame studiert und ist heute Inhaber des William K. Warren Lehrstuhls für Theologie an der Universität von Notre Dame im US-Bundesstaat Indiana. Gegenüber CNA Deutsch kritisiert der Professor und Buchautor ("Gott ist unbequem", Herder 2019) nicht nur einen "qualitativen Rückschritt der deutschen Theologie", obgleich es wichtige Ausnahmen gebe, sondern auch die Arbeitsweise mancher Kollegen.

"Ich habe viele Berufungen in Deutschland verfolgt und kann nur sagen: Akademisches Mittelmaß wird immer Mittelmaß berufen", so Lehner. Eine "Handvoll Professoren" platziere seiner Ansicht nach ihre Schüler in den entsprechenden Posten, "gleich welche Schwächen sie haben". Dabei falle auf, dass "vor allem diejenigen, die kirchentreu sind, nie zum Zuge kommen, weil man sie vorher aussortiert".

Deutsche Theologie in der Krise

Als Beispiel nennt der Wissenschaftler eine verheiratete Theologin, deren Berufung auf den Lehrstuhl man verhindert habe, weil sie als Mutter von drei Kindern und praktizierende Katholikin, die nach Möglichkeit täglich die Heilige Messe besucht, den Glauben zu ernst nehmen würde - "zu ernst für eine Professorin", wie Lehner sagt. Fälle, in denen Kollegen abgelehnt würden, ohne dabei wissenschaftlichen Kriterien zu berücksichtigen, gebe es häufig, oft "mit Wissen und Deckung der Universitätsleitung", so Lehner. Der Professor wörtlich:

"Wenn die Leute draußen wüssten, wie man wissenschaftliche Kriterien erfindet und wie man externe Gutachter - natürlich aus derselben Schule - so auswählt, dass sie sie die bereits im voraus getroffene Entscheidung bestätigen, müsste die akademische Theologie eigentlich längst einpacken."

In einem Beitrag für das Internetportal "katholisch.de" wurde am Montag der Sozialethiker Bernhard Emunds von der Jesuiten-Hochschule Sankt Georgen in Frankfurt am Main zitiert, demzufolge die Theologie im deutschsprachigen Raum "weltweit eine hohe wissenschaftliche Reputation und Bedeutung" habe. Diese Einschätzung teilt Ulrich Lehner nicht:

"Die deutsche Theologie ist nicht mehr das, was sie vor 25 Jahren war. Anders als damals hat sie heute keine weltweite Ausstrahlung mehr."

Als Beleg dafür führt Lehner an, dass es kaum noch Übersetzungen von deutschsprachigen theologischen Arbeiten ins Englische, Französische oder Spanische gebe. Umgekehrt werde die weltweite Forschung in Deutschland "erstaunlich wenig wahrgenommen". Dadurch sei man von der internationalen Forschung weitgehend abgeschnitten, so der Wissenschaftler.

Mehr in Deutschland - Österreich - Schweiz

"Während man etwa in den Promotionsstudien in den USA noch Deutsch lernen muss, hatte ich schon vor 20 Jahren in Deutschland bemerkt, dass Doktoranden keine längeren englischen Texte lesen konnten", berichtet Lehner weiter. Stattdessen würden überwiegend deutschsprachige Veröffentlichungen zitiert. 

"Theologenmangel" in Deutschland

Aktuell bereiten sich laut dem Portal "katholisch.de" etwa 200 Priesteramtskandidaten in Deutschland auf die Weihe vor – das sind so wenig wie nie zuvor.

Von allen Theologie-Studenten (2018/19 waren es 18.251) machen jene, die das Vollstudium der Theologie wählen, eine geringen Anteil aus (2018 waren es gerade einmal 2.549), so der Bericht. Bei den Übrigen sei die theologische Ausbildung lediglich Teil eines Lehramtsstudiums.

Unabhängig der verhältnismäßig geringen Anzahl an "Volltheologen" gibt es in Deutschland immer noch viele Orte, an denen Theologie gelehrt wird. Insgesamt 19 Katholisch-Theologische Fakultäten und Hochschulen, mehr als 30 Institute und Lehrstühle für Katholische Theologie/Religion, verschiedene Forschungs- und Studieneinrichtungen, drei Hochschulen mit dem Fachhochschulstudiengang "Religionspädagogik und kirchliche Bildungsarbeit" sowie die Kirchliche Arbeitsstelle für Fernstudien "Theologie im Fernkurs" zählt das Sekretariat der deutschen Bischofskonferenz auf.

Allerdings: Der "Output" bleibt gering. Wie das Statistische Bundesamt mitteilt, wurden 2019 gerade einmal acht Personen in katholischer Theologie habilitiert. "Bei der Auslastung mancher, besonders kleiner Fakultäten - nicht aller - müsste man eigentlich bahnbrechende Forschungsergebnisse erwarten", merkt Ulrich Lehner gegenüber CNA Deutsch an.

Auch die Anzahl der Veröffentlichungen bewege sich auf einem niedrigen Niveau, sodass er sich "ernsthaft" frage, "was die Kollegen den ganzen Tag über machen, wenn sie schon kaum Studenten haben", so Lehner wörtlich. Der Theologie-Professor fordert deshalb ein Umdenken:

"Die inzwischen leider festzustellende wissenschaftliche Mittelmäßigkeit deutscher Theologie - mit Ausnahmen - rechtfertigt ebensowenig die Anzahl der Fakultäten wie die geringe Anzahl von Diplomstudenten. Sie aufrecht zu erhalten, gleicht einer Verharrung auf anno dazumal erkämpften Privilegien."

Auch der emeritierte Papst Benedikt XVI. hatte Entwicklungen innerhalb der Theologie beklagt. In seinem Anfang April auf Deutsch veröffentlichten Aufsatz "Die Kirche und der Skandal des sexuellen Missbrauchs" schreibt der frühere Pontifex, der vor seiner Bischofsweihe lange als Theologie-Professor tätig war:

"In der Tat wird auch in der Theologie oft Gott als Selbstverständlichkeit vorausgesetzt, aber konkret handelt man nicht von ihm. Das Thema Gott scheint so unwirklich, so weit von den Dingen entfernt, die uns beschäftigen. Und doch wird alles anders, wenn man Gott nicht voraussetzt, sondern vorsetzt. Ihn nicht irgendwie im Hintergrund beläßt, sondern ihn als Mittelpunkt unseres Denkens, Redens und Handelns anerkennt."

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