Ein "klerikalistischer und gottloser Staat": Warum Jacob Rees-Mogg aus der EU will

Jacob Rees-Mogg vor Westminster im Oktober 2018
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Die Brexit-Frage, genauer, wie und unter welchen Bedingungen das Vereinigte Königreich aus der Europäischen Union ausscheiden wird: Sie beherrscht die britische Politik seit dem Referendum des Jahres 2016, bei dem die britischen Wähler entschieden, dass ihr Land aus der EU austreten soll.

Seit dieser Volksabstimmung hat die Debatte über den Brexit eine kulturelle und politische Kluft in Großbritannien geschaffen: Viele argumentieren, dass Großbritannien mit seinem Austritt aus der EU nicht nur eine politische Struktur ablehnt, sondern sich auch von seinem langjährigen Engagement für internationale Zusammenarbeit verabschiedet.

Die Kirche hat keine offizielle Position zu Brexit, aber viele Bischöfe haben ihre persönliche Meinung zu diesem Thema geäußert, vor allem zugunsten der EU.

Erzbischof Paul Gallagher, selber Engländer – und gleichzeitig als Sekretär des Heiligen Stuhls für die Beziehungen zu anderen Staaten so etwas wie der Außenminister des Vatikans – gab noch am ehesten so etwas wie eine offizielle Haltung Roms zum besten, als er kurz vor der Brexit-Abstimmung sagte, dass der britische Austritt "nicht etwas ist, was ein stärkeres Europa bedeuten würde".

Wie bei den meisten politischen Fragen steht es allen Katholiken frei, sich guten Gewissens eine eigene Meinung zu bilden, und in Großbritannien sind Katholiken auf beiden Seiten der Debatte zu finden.

Jacob Rees-Mogg, Abgeordneter des britischen Parlaments für den Wahlkreis Nordost-Somerset, ist einer der profiliertesten katholischen Politiker in ganz Großbritannien. Er ist auch eine der führenden Stimmen für den Brexit. Mit CNA sprach er darüber, warum und wie Katholiken für EU-Ausstieg sein können – und warum es ihn nicht überrascht, dass viele in der Kirche offenbar die Europäische Union bevorzugen. 

Die christlichen Wurzeln wurden gekappt

"Ich denke, dass es eine große Restzuneigung für die EU gibt angesichts ihrer Ursprünge", so Rees-Mogg gegenüber CNA: "Als Projekt wurde sie erstmals von Christdemokraten aus den Gründungsmitgliedstaaten vorgeschlagen, mit dem Anspruch eines christlichen und demokratischen Ethos."

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Doch diese Wurzeln einer demokratischen wie christlichen Vision Europas wurden gekappt, so Rees-Mogg.

"Denken Sie daran, dass es in der vorgeschlagenen EU-Verfassung (die von den französischen und niederländischen Wählern abgelehnt wurde und zum Vertrag von Lissabon wurde) trotz der starken Einwände mehrerer Päpste keinen Hinweis auf Gott oder das christliche Erbe Europas gab. Was auch immer ihre Ursprünge waren: Die EU ist heute ein zutiefst weltlicher Staat."

Der Abgeordnete betont, dass es auch in der Praxis jede Menge Beispiele dafür gibt, wie der liberale Säkularismus in der Regierungsführung der EU Vorrang hat.

Liberaler Säkularismus ist nicht neutral

Im Jahr 2004 wurde Rocco Buttiglione von der italienischen Regierung als Mitglied der Europäischen Kommission ernannt, dem Organ, das EU-Rechtsvorschriften vorschlägt und die laufenden Geschäfte der Union leitet. Seine Nominierung wurde zurückgezogen, nachdem andere EU-Politiker gegen seine katholischen Ansichten zu Ehe, Familie und Homosexualität Einspruch erhoben und sie als unvereinbar mit einer leitenden Position in der Union bezeichnet hatten.

Rees-Mogg wies gegenüber der CNA darauf hin, dass die EU auch die Ausweitung der Abtreibung in Afrika entschieden unterstützt und dieses Vorgehen als "kleinen, aber indikativen" Teil der Arbeit und der Werte der Union bezeichnet habe.

Anstelle von einer christlichen oder gar säkularen - aber neutralen - Organisation zu sprechen, schlägt Rees-Mogg vor, die EU als "apostatischen [gottlosen] Staat einzuordnen: Etwas, das die Kirche historisch als schlechteste Staatsform bezeichnet hat".

"Schlimmer als das House of Lords"

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Als politische Struktur soll die EU als demokratisches Organ fungieren, in dem die Teilnehmerländer ihre kollektive Souveränität zum Wohle aller bündeln.

In letzter Zeit hat Papst Franziskus häufig über einen "Klerikalismus" in der Kirche gesprochen, in dem Autorität zum Wohle der Machthaber und ohne Bezugnahme auf das Volk, dem sie dienen sollen, ausgeübt, ja sogar missbraucht wird, und darüber auch keine Rechenschaft abgelegt wird.

Laut Rees-Mogg ist innerhalb der EU eine ähnliche Dynamik am Werk: Die EU funktioniert in der Praxis als "klerikalistischer Staat", insofern die Souveränität des Volkes an eine Elite verloren geht – auf Kosten der sozialen Gerechtigkeit.

"Wenn Sie sich anschauen, wie die europäischen Staats- und Regierungschefs in der EU an die Macht kommen, werden sie von einander ernannt und sind einander gegenüber rechenschaftspflichtig, nicht vom Volk. Die Europäische Kommission ist das Endziel für so viele Politiker, die von den Wählern in ihren eigenen Ländern, ja sogar ihren eigenen Parteien, abgelehnt werden. Sie bilden eine Elite, die sich um sich selbst kümmert."

"Allein aus dem Vereinigten Königreich sehen wir eine Litanei von Politikern wie Chris Patten und Neil Kinnock, die Wahlen verloren haben und dennoch mehr Macht ausüben als gewählte Politiker in Großbritannien ausüben. In dieser Hinsicht ist es schlimmer als das House of Lords."

(Im House of Lords, dem Oberhaus des britischen Parlaments, sitzen traditionell "weltliche und geistliche Herren" - Lords - die historisch aus dem Adel und Bischöfen der anglikanischen Kirche bestellt sind). 

Eines der Prinzipien der katholischen Soziallehre ist die Subsidiarität: Ein Organisationsprinzip, demzufolge Entscheidungen auf der niedrigstmöglichen Ebene getroffen werden, um so eine größere Verantwortlichkeit und Reaktionsfähigkeit auf die Bedürfnisse der Gemeinschaft zu ermöglichen.

Die Subsidiarität ist auch ein Grundsatz, der eigentlich in vielen Gründungsverträgen der EU verankert ist.

Aber, so warnte Rees-Mogg gegenüber CNA: Diese Verweise der EU auf die Subsidiarität an sich sind noch lange keine Garantie für Transparenz und die Einhaltung der Rechenschaftspflicht.

"Die Subsidiarität ist ein Prinzip, mit dem ich sehr vorsichtig umgehe. Wir dürfen nicht vergessen, dass sie doch von der vielleicht zentralistischsten Organisation der Welt stammt. Es ist der Nationalstaat, der letztlich durch Wahlen dem Volk unterworfen ist, und es ist der Nationalstaat, der dem Volk in angemessener Weise dient und seine Interessen verteidigt."

Da die britische Regierung nach einer für die EU und das britische Parlament akzeptablen Post-Brexit-Lösung sucht, bleibt der internationale Handel ein ernsthafter Knackpunkt; der freie Warenverkehr über die irische Grenze ist eine von mehreren Schlüsselüberlegungen.

Blockaden statt Mindeststandards

Viele in Großbritannien wünschten sich ein gemeinsames Abkommen über die Mindeststandards für Waren, um sicherzustellen, dass der freie Handel fortgesetzt werden kann. Aus der Sicht von Rees-Mogg zielen die EU-Vorschriften jedoch oft darauf ab, ein Handelshemmnis zu schaffen, statt einer Einhaltung gemeinsamer Normen. Die EU erlässt Regulierungsstandards für eine Vielzahl von Waren, darunter das berühmte Beispiel von der Krümmung für Bananen.

"Da geht es nicht um die Aufrechterhaltung gemeinsamer Normen. Diese Vorschriften sind ein gezielter Versuch, Importe zu blockieren, auch aus einigen der ärmsten Länder, und sie dienen der Europäischen Union als Organisation, nicht den Menschen." 

Da Premierministerin Theresa May derzeit weiter versucht, in letzter Minute ein Abkommen abzuschließen, das alle Seiten zufrieden stellt, bleibt abzuwarten, welche endgültige Form ein Brexit annehmen wird.

In der Zwischenzeit, sagte Rees-Mogg gegenüber CNA, werde er weiterhin für ein Großbritannien arbeiten, das frei von dem ist, was er als eine elitäre Institution sieht - der EU. 

"In einer Demokratie ist die erste Pflicht einer Regierung, die Freiheit ihres Volkes zu schützen, und die erste Freiheit des Volkes ist es, ihre Vertreter zur Verantwortung zu ziehen."

Übersetzt und redigiert aus dem englischen Original.

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