Heße wendet sich an Vatikan wegen Vertuschungsvorwurf: "Will nicht eigener Richter sein"

Unklar ist, ob Rom – ähnlich wie bereits in mehreren Fällen in den USA – nun mit einer oder mehreren Verfahren gemäß Vos Estis Lux Mundi auf diesen Schritt reagieren wird.

Erzbischof Stefan Heße
© Raimond Spekking / CC BY-SA 4.0 (via Wikimedia Commons)

Erzbischof Stefan Heße von Hamburg hat sich heute offiziell mit einem Schreiben an die Bischofskongregation in Rom gewandt. Darin informiert er diese über die aktuelle Situation und die öffentliche Debatte um die Aufarbeitung von Fällen sexuellen Missbrauchs im Erzbistum Köln, mit denen auch er als damaliger Leiter der Hauptabteilung Seelsorge-Personal und Generalvikar befasst war.

Das teilte das Erzbistum am Freitagnachmittag mit.

Heße kündige in dem Brief zudem an, dass er - sobald die Ergebnisse der jetzt in Köln laufenden Untersuchung vorliegen - diese an die Bischofskongregation senden werde: "Auf meine Bitte hin soll Rom prüfen, ob die dann vorliegenden Untersuchungsergebnisse Auswirkungen auf mein Amt als Erzbischof in Hamburg haben", so der Erzbischof. Köln hat die Vorlage der Untersuchung für März 2021 angekündigt.

Unklar ist, ob der Vatikan – ähnlich wie bereits in mehreren Fällen in den USA – nun mit einer oder mehreren Verfahren gemäß Vos Estis Lux Mundi auf diesen Schritt reagieren wird.

"Ich habe mich heute schriftlich an den Präfekten der Bischofskongregation, Kardinal Marc Quellet, gewandt und ihm die Situation geschildert. Ich habe ihm gegenüber erklärt, dass ich mich stets nach bestem Wissen und Gewissen an der Aufarbeitung von Fällen sexuellen Missbrauchs im Erzbistum Köln und nie an der Vertuschung solcher Fälle beteiligt habe", so Heße laut Erzbistum Hamburg.

"Die seit Monaten öffentlich geführte Debatte über meine Zeit in Köln belastet nicht nur mich persönlich", so der Erzbischof. Auch die Gläubigen würden belastet.

"Aus Sorge um das Erzbistum Hamburg sehe ich es daher als meine Pflicht an, die römischen Stellen sowohl über die aktuelle Situation als auch über die im März vorliegenden Untersuchungsergebnisse aus Köln zu unterrichten. Für mich ist es selbstverständlich, dass ich nicht Richter in eigener Sache sein kann, sondern die Instanz um Prüfung bitte, die mich in mein Amt als Erzbischof eingesetzt hat", erklärte Heße. 

Am Abend zuvor hatte der Erzbischof als Assistent des "Zentralkomitees der deutschen Katholiken" (ZdK) in einer digitalen Konferenz eine Erklärung abgegeben. Er gab dort seinem Bedauern Ausdruck, dass seine Aufgabe durch die öffentliche Debatte über die Aufarbeitung von Fällen sexuellen Missbrauchs im Erzbistum Köln belastet sei. Er kündigte daher am Donnerstagabend an, sein Amt als Geistlicher Assistent vorläufig ruhen zu lassen, bis die Sachverhalte durch eine derzeit in Köln laufende Untersuchung endgültig geklärt seien. 

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Die Einführung einer Meldepflicht für Missbrauch in allen Bistümern der Kirche bis zum Jahr 2020 sowie eine klare juristische Einordnung sexueller Gewalt gegen Seminaristen oder Ordensfrauen durch Kardinäle, Bischöfe und andere Amtsträger: Das sind nur zwei der Vorschriften in Vos estis Lux Mundi, einem im Mai 2019 vorgestellten Motu Proprio zum Umgang mit sexueller Gewalt und Missbrauch in der Kirche.

Das Regelwerk geht auch gegen einen weiteren schweren Missbrauch von Autorität vor, der im Zuge der Kirchenkrise als weltweites Problem publik wurde: Die systematische Vertuschung sexueller Gewalt.

Papst Franziskus hat die Laufzeit der Regeln von Vos estis erst einmal auf drei Jahre beschränkt, um diese gegebenfalls zu korrigieren oder nachzubessern. Sie traten mit Wirkung zum 1. Juni 2019 in Kraft.

"Ihr seid das Licht der Welt", wie das Schreiben in deutscher Übersetzung heißt, sei ein Ergebnis des Krisengipfels im Februar, teilte der Vatikan am 9. Mai 2019 mit.

Im Mittelpunkt des Motu Proprio steht der Schutz Minderjähriger sowie aller Schutzbedürftiger. Dazu gehören auch Personen, die direkt der Autorität eines kirchlichen Vorgesetzten unterstellt sind, etwa Seminaristen und junge Priester.

"Die Verbrechen sexuellen Missbrauchs beleidigen unseren Herrn, verursachen physische, psychische und spirituelle Schäden bei den Opfern und verletzten die Gemeinschaft der Gläubigen", heißt es im Vorwort des Schreibens. 

Um sexuelles Fehlverhalten zu beenden sei "eine ständige und tiefe Umkehr der Herzen" erforderlich, die jedoch auch "durch konkrete und wirksame Handlungen bezeugt sind", fährt das Schreiben fort (Volltext siehe unten anbei).

Der Anwendungsbereich des Motu Proprio bezieht sich sowohl auf Straftaten gegen das Sechste Gebot - zu denen sexuelle Gewalt und Missbrauch in allen Formen gehört, bis hin zum Besitz oder der Verbreitung kinderpornografischer Bilder - sowie der Verdeckung und Vertuschung solcher Verbrechen.

Jeder Geistlicher ist in Zukunft verpflichtet, schwerwiegende Verdachtsfälle oder Vorwürfe sexueller Gewalt umgehend zu melden. Dabei muss der Schutz der meldenden Person gewährleistet sein.

Betroffenen und ihren Familien wird neben dem Schutz der Privatsphäre umfangreiche Hilfe, Unterstützung und Annahme zugesagt. 

Was das Verfahren betrifft, wird bei Vorwürfen gegen einen Bischof in Zukunft der Erzbischof der Metropolie ermitteln - in Abstimmung mit dem Vatikan. 

Gleichzeitig ändert sich weder das bereits im Kirchenrecht festgeschriebene Strafmaß für solche Verbrechen - noch die Unschuldsvermutung für Verdächtige. Diese sind bei formell eingeleiteten Verfahren auch zwingend zu informieren.

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