Libanon: "Die Menschen zählen darauf, dass wir ihnen zur Seite stehen"

Freiwillige räumen Trümmer in einer Kirche in Beirut.
Freiwillige räumen Trümmer in einer Kirche in Beirut.
Maronitische Kirche, Beirut
Reinhard Backes
Reinhard Backes
Kirche in Not
Zwei Frauen mit Lebensmittelpaketen von "Kirche in Not"
Zwei Frauen mit Lebensmittelpaketen von "Kirche in Not"
Kirche in Not

Am 4. August erschütterte eine gewaltige Explosion im Hafen von Beirut die gesamte Stadt. Dabei kamen laut Regierungsangaben mindestens 190 Menschen ums Leben, mehr als 6500 Menschen wurden verletzt. Viele Häuser, Wohnungen und Gebäude Häuser wurden zerstört. Besonders betroffen ist das Stadtviertel, in dem viele Christen leben, denn es liegt nur wenige Kilometer vom Explosionsort entfernt. Das weltweite katholische Hilfswerks "Kirche in Not" hatte in den vergangenen Wochen bereits Lebensmittelpakete für besonders betroffene Familien in Beirut ermöglicht.

Eine Delegation des Hilfswerks hat sich nun einen Überblick über die Situation vor Ort gemacht. Ziel des Besuches war auch, die besonders dringende Hilfe zu organisieren. Nach der Rückkehr sprachen wir mit Reinhard Backes, Projektreferent.

Herr Backes, wie ist die Lage im Libanon?

Die Menschen im Libanon – vor allem die Christen, denn ihr Viertel wurde von der Explosion am schlimmsten getroffen – leiden sehr. Dafür gibt es verschiedene Gründe: Erstens: Die Landeswährung verliert aufgrund der Finanzkrise, die im vergangenen Jahr begonnen hat, täglich an Wert. Zweitens sind die Schäden verheerend und so auch die Folgen für hunderttausende Menschen, die ihr Zuhause verloren haben. Drittens: Die politische Krise, eine Mischung aus Korruption, Despotismus, Ignoranz, Inkompetenz und dem äußeren Einfluss ausländischer Mächte, lähmt die Menschen und das Land. 

Was war der Zweck Ihres Besuchs?

Ziel war es, uns einen Überblick über die Situation verschaffen und zu klären, wie "Kirche in Not" in den nächsten Monaten Unterstützung leisten kann. Wir haben 23 Orte besucht – Kirchen, Nonnen- und Mönchsklöster und andere Kirchengebäude –, die durch die Explosion schwer beschädigt worden sind. Und wir haben Gespräche mit sieben Erzbischöfen und Bischöfen verschiedener Riten und Konfessionen wie auch mit dem Nuntius in Beirut, Erzbischof Joseph Spiteri, geführt. 

Welcher Moment der Reise hat sie am tiefsten beeindruckt?

Die Begegnung mit jungen Katholiken, die entschlossen sind, nicht aufzugeben! Sie alle haben bei der Explosion Freunde verloren und kennen Menschen, denen nichts mehr geblieben ist. Es war wirklich beeindruckend zu sehen, wie so viele Menschen, vor allem Jugendliche, vorbildlich und bereitwillig denjenigen helfen, die am schlimmsten von der Explosion betroffen sind. Sehr bewegend war auch der Besuch bei armen Familien – Libanesen und syrischen Flüchtlingen – in Beirut und Zahlé.

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Welche Begegnung hat Sie besonders beeindruckt? 

Das Treffen mit Georges, Vater von vier Kindern, der den Libanon verlassen und nach Dubai fliegen musste, weil er nicht mehr in der Lage ist, im Libanon seine Familie finanziell zu unterstützen. Das war herzzerreißend.

"Viele Christen wollen das Land verlassen" 

Was war die Botschaft unserer Partner?

Die libanesischen Christen sind zwar großzügig, aber das hier ist zu viel, als dass sie es allein bewältigen könnten. Das Land erlebt schon seit Jahren einen gravierenden wirtschaftlichen Niedergang, schon vor der Explosion haben die Menschen ums Überleben gekämpft. Sie zählen darauf, dass wir ihnen helfen – sowohl spirituell als auch finanziell.

Warum sollte "Kirche in Not" den Libanon unterstützen?

Der Libanon ist das letzte Land im Nahen Osten mit einem beträchtlichen Anteil an Christen. Er ist auch zu einem Zufluchtsort für Christen aus anderen Nahost-Ländern wie Syrien und dem Irak geworden. Die libanesischen Christen genießen hohen Respekt in der Gesellschaft; christliche Schulen werden von Menschen aller Glaubensrichtungen sehr geschätzt. Sie bilden eine Brücke zwischen den verschiedenen Gruppen im Land.

Dennoch sprechen aufgrund der Verschlechterung der politischen und finanziellen Situation in den vergangenen Jahren viele Christen davon, das Land zu verlassen – wenn auch schweren Herzens. Es ist die Pflicht von "Kirche in Not", ihnen neue Hoffnung zu geben, eine Perspektive, damit sie in diesem schönen Land bleiben. Die Kirche, die ja ein zentrales Element in ihrem Leben darstellt, muss mithilfe unserer Bemühungen gestärkt werden.

"Die Kirche ist ein zentrales Element der Christen im Libanon" 

Welche nächsten Schritte plant "Kirche in Not"?

Wir bereiten ein Hilfspaket in Höhe von zwei Millionen Euro vor. Ziel ist es zunächst, die Reparatur der Gebäude voranzutreiben, die noch vor Wintereinbruch geschützt werden müssen. Dabei geht es vor allem um die Erneuerung von Dächern, Türen und Fenstern in Klöstern, Kirchen und einigen Sälen oder kirchlichen Verwaltungsgebäuden. Ein Ingenieur, der bereits bei unseren Bauprojekten im Irak eine große Hilfe war, hat mich nach Beirut begleitet und konnte vor Ort mit den Architekten und Ingenieuren sprechen. Das war sehr nützlich und extrem wichtig. 

Wer sind die Partner vor Ort?

Unsere Partner werden Bischöfe, Priester und Schwestern sein, deren religiöse Gebäude durch die Explosion beschädigt worden sind. Die Maronitische Kirche ist die größte im Bezirk, aber viele Gebäude der anderen Riten (zum Beispiel des griechisch-katholischen und des lateinischen Ritus) und der orthodoxen Kirche sind ebenfalls beschädigt worden; auch sie werden unsere Hilfe benötigen.

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