"Die Umwidmung der Hagia Sophia widerspricht nicht der Erklärung von Abu Dhabi"

Ein Gespräch mit Pater Claudio Monge, der seit 17 Jahren in Istanbul lebt

Innenansicht der Hagia Sophia
Mark Ahsmann / Wikimedia (CC BY-SA 3.0)

Die Reaktionen waren geprägt von Unverständnis, Trauer und Kritik: Als einen schweren Schlag für die Religionsfreiheit, eine massive Beschädigung interreligiösen Beziehungen und Jahre der Annäherung zwischen Islam und Christentum sehen viele Beobachter die Entscheidung des türkischen Präsidenten, die Hagia Sophia wieder als Moschee zu nutzen. 

Kirchenvertreter in aller Welt begingen dazu am 24. Juli einen Tag der Trauer, wie der CNA Deutsch Podcast berichtete.

Eine radikal andere Sicht vertritt der Dominikanerpater Claudio Monge. Der Religionswissenschaftler und Theologe arbeitet seit 17 Jahren in Istanbul im Bereich interreligiöse und ökumenische Beziehungen. Unsere italienische Schwesteragentur ACI Stampa sprach mit dem Ordensmann über seine Einschätzung.

Warum hat aus Ihrer Sicht der türkische Präsident Erdogan beschlossen, die Hagia Sophia wieder zu einer islamischen Kultstätte zu machen?

"Der hauptsächliche Schlüssel für die Interpretation zu den Ereignissen um die Hagia Sophia ist weit mehr politisch-strategisch als religiös. Vor dem Hintergrund, den Westen herauszufordern, geht es um die Notwendigkeit eine Wählerbasis, die schrumpft, wieder zu festigen; auch indem man die Aufmerksamkeit von weit Entscheidenderem ablenkt, wie der bereits schwierigen wirtschaftlichen Lage, die durch die Pandemie noch dramatischer wurde."

Kann man von einem Ende des Laizismus des Staates sprechen?

"In der Tat gab es, vor allem im Westen, viele Kommentare, die von einer Verunstaltung des historischen Laizismus der modernen Türkei sprechen, die von Atatürk, dem ´Vater der Türken´, gewollt wurde. Aber der Laizismus von Mustafa Kemal war nie eine strikte Trennung von Staat und ´Moschee´, und weniger noch hatte er je den Schutz von religiösen und kulturellen Unterschieden, die miteinander im Dialog waren, bedeutet. In Wahrheit ist er ein Machtinstrument des Nationalismus. Das Ziel des Begründers der modernen Türkei war es vielmehr, die ´Islamizität´zu legitimieren. 800 Jahre Osmanisches Reich kann man nicht wie durch Zauberhand wegwischen, als Bedingung für die Zugehörigkeit zum ´Türkismus´, mit totaler politischer Kontrolle des Religiösen; das genaue Gegenteil von dem, was in einem islamischen Staat geschieht. Sicher, wenn die Politik ins Religiöse eindringt, um es besser zu kontrollieren, dann nutzen die Religiösen die Gelegenheit, um heimtückisch ins Politische einzudringen. Aber das geschieht auch im Westen. Laizismus und Religion einander entgegenzusetzen, das ist ein perspektivischer Fehler. Man muss auch vermeiden, Säkularismus und Laizismus zu verwechseln. Die Säkularisierung ist eine soziale Entwicklung der Emanzipation in Bezug auf das Religiöse, die unbestreitbar auch in der Türkei präsent ist, und die durch die Umwidmung der Hagia Sophia in eine Moschee nicht aufhören wird."

Papst Franziskus hat seinen Schmerz zum Ausdruck gebracht: Was bedeutet das für den interreligiösen Dialog?

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"Ich glaube, dass Papst Franziskus mit seinem Satz zur Hagia Sophia vor allem dem Patriarchen Bartholomäus und der orthodoxen Kirche, die besonders mit dieser Kultstätte verbunden ist - die seit gut 560 Jahren nicht mehr als solche genutzt wurde - seine brüderliche und persönliche Nähe ausdrücken wollte. Der interreligiöse Dialog kann seinerseits nicht durch die instrumentelle Verwendung religiöser Symbole entkräftet werden und diese Wiederumwandlung der Hagia Sophia widerspricht der Erklärung von Abu Dhabi nicht, im Gegenteil: sie bestätigt - wie dieses Dokument erinnert - die Tatsache, dass es keinen Dialog ohne Brüderlichkeit gibt und keine Brüderlichkeit ohne Erziehung und ohne gegenseitiges Kennen der jeweiligen Geschichte."

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