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Kardinal Woelki warnt davor, "eine neue Kirche zu erfinden" (Bericht, Wortlaut und Video)

Kardinal Rainer Maria Woelki im EWTN-Interview mit Martin Rothweiler

Eine klare Absage an Versuche "jetzt selber eine neue Kirche zu erfinden" und "Heiligen Geist spielen zu wollen" hat Kardinal Rainer Maria Woelki erteilt. In einem am 13. Februar geführten Interview mit dem katholischen Fernsehsender EWTN.TV warnt der Erzbischof von Köln davor, angesichts der Kirchenkrise eine Abkehr von der Lehre und Tradition zu propagieren.

Die Lösung sei nicht etwa die Abschaffung des Zölibats, die Weihe von Frauen zu Priestern oder eine neue Sexualmoral, so Woelki im Gespräch mit Martin Rothweiler, Programmdirektor von EWTN.TV.

"Es ist der Glaube der Kirche, der weiterhin Maßstab bleibt, so wie er uns eben auch von Johannes Paul II. in seinem Katechismus vorgelegt worden ist."

Die Kirche sei keine "Manövriermasse, die uns in die Hände gegeben ist", betont der Erzbischof. Aufgabe der Bischöfe sei vielmehr, den Glauben zu bewahren und verkünden.

"Es muss uns wieder bewusst sein, dass wir als Christen durchaus so etwas wie eine alternative Kultur zu bilden haben, die sich ausrichten muss alleine an den Maßstäben des Evangeliums und am Willen Jesu Christi."

Kardinal Woelki äußert sich auch zum Werbe-Verbot für Abtreibung, zur Sterbehilfe – und er erzählt, was ihm persönlich Hoffnung macht.

CNA Deutsch dokumentiert den vollen Wortlaut des Interviews.

MARTIN ROTHWEILER: Herr Kardinal, die Kirche befindet sich in stürmischen Zeiten. Was ist für die Kirche in Deutschland die besondere Herausforderung heutzutage?

Kardinal Woelki: Ich denke, dass eine der ganz großen Herausforderungen darin besteht, die Gottesfrage insgesamt lebendig zu halten in unserer Gesellschaft. Es zeigt sich, dass immer mehr Menschen davon überzeugt sind, ihr Leben auch gut ohne Gott leben zu können. Und hier hat die Kirche eine ganz wichtige Aufgabe, deutlich zu machen, dass Gott ist und dass Gott im Grunde genommen der Urgrund von allem ist. Die Gottesfrage: das scheint mir eine der ganz großen Herausforderungen zu sein.

Welche Themen bewegen denn die Katholiken in Deutschland ganz besonders?

Kardinal Woelki: Ja, das ist sicherlich die Frage nach dem Missbrauch, der uns ähnlich wie in den Vereinigten Staaten hier sehr massiv getroffen hat. Es ist ein massiver Vertrauensverlust sowohl innerhalb der Kirche wie auch außerhalb der Kirche feststellbar. Es ist die Frage, wie dieser Vertrauensverlust aufgearbeitet werden kann, und vor allen Dingen auch, wie das mit dem Missbrauch Verbundene aufgearbeitet werden kann. Das ist, glaube ich, eine weitere der ganz großen Herausforderungen, denen wir uns zu stellen haben.

Wir erleben ja derzeit in Deutschland die Diskussion um den Paragrafen 219 a., der die Werbung für Abtreibung verbietet. Wie schätzen Sie die Haltung der Menschen in Deutschland ein zu Themen wie Abtreibung und Euthanasie? Das sind ja Lebensschutz-Themen, die der Kirche und auch dem Heiligen Vater ganz besonders am Herzen liegen.

Kardinal Woelki: Ich glaube, dass wir leider feststellen müssen, dass gesamtgesellschaftlich die Frage des Lebensschutzes mehr und mehr an Bedeutung verloren hat. Und es ist zu befürchten, dass in den nächsten Jahren erneut die Frage nach Abtreibung und der Selbstverständlichkeit, die damit oft verbunden ist, wieder neu in den Mittelpunkt rücken wird. Gott sei Dank konnte jetzt noch einmal - auch mit der Diskussion um den Paragrafen 219 - das abgewendet werden. Es ist weiterhin so, dass Abtreibung natürlich ein Straftatbestand ist. Und es ist verrückt zu sagen, wir können für einen Straftatbestand werben. Deshalb bin ich wirklich dankbar, dass jetzt noch einmal ein Kompromiss gefunden werden konnte. Es ist jetzt möglich, dass Listen mit Ärzten und Kliniken, wo eine Abtreibung möglich ist, bei den Bundesärztekammern einsehbar sind, aber dass insgesamt weiterhin das Verbot für Abtreibung (zu werben) existiert.

Es ist selbstverständlich, dass wir als Katholiken dem niemals zustimmen können. Das Leben ist von Anfang an unter den Schutz Gottes gestellt. Und es ist geschützt vom Anfang bis zum Ende, bis zum letzten Atemzug. Gott sei Dank ist deshalb auch in Deutschland mit Blick auf die Euthanasie der freiwillig erbetenen Gang in den (assistierten) Freitod nicht möglich - so wie das jetzt in den Niederlanden und in Belgien und auch in der Schweiz verstärkt möglich ist. Wir haben da Gott sei Dank in Deutschland noch Regelungen, die das so nicht zulassen.

Wir erleben in Deutschland - und nicht nur in Deutschland – große Diskussionen innerhalb der Kirche über Reformen. Man spricht von Irritationen, auch was die Glaubenslehre angeht. Wie sehen Sie die Lage der Kirche?

(Die Geschichte geht unten weiter)

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Kardinal Woelki: Ja, in der Tat ist das in Deutschland gegenwärtig sehr schwierig. Und es scheint ein Richtungsstreit zu existieren, der sicherlich auch mit durch den Missbrauchsskandal ausgelöst ist. Es gibt Stimmen, die jetzt denken, dass es an der Zeit ist, alles das, was bisher war, über Bord zu werfen. Es sind die alten Zeiten, die jetzt nicht mehr existieren sollen. Ich halte das für ein sehr gefährliches Wort. Wir stehen in einer großen Tradition. Die Kirche steht gerade auch für das Überzeitliche. Und es ist nicht unsere Aufgabe, jetzt selber eine neue Kirche zu erfinden. Die Kirche ist keine Manövriermasse, die uns in die Hände gegeben ist. Sondern gerade als Bischöfe ist es unsere Aufgabe, das Glaubensgut der Kirche, so wie es uns von den Aposteln her überkommen ist, zu bewahren und es in die Zeit hinein zu sagen und neu zu verkünden und es auch für die nach uns folgenden Generationen zu bewahren und es für sie so zu sagen, dass auch sie Christus als ihrem Heil begegnen können.

Im Übrigen muss man einfach feststellen, dass die Kirche nie durch ein Weniger erneuert worden ist, sondern immer nur durch ein Mehr. Der Apostel Paulus sagt sehr deutlich nicht "wir Christen auch", sondern "wir Christen dagegen".

Es muss uns wieder bewusst sein, dass wir als Christen durchaus so etwas wie eine alternative Kultur zu bilden haben, die sich ausrichten muss alleine an den Maßstäben des Evangeliums und am Willen Jesu Christi. Und das ist eben nicht ein Weniger, sondern immer ein Mehr. Und es ist nicht damit getan, den Zölibat abzuschaffen. Es ist nicht damit getan, jetzt zu fordern, dass Frauen zu den Ämtern zugelassen werden. Und es ist auch nicht damit getan, zu sagen, wir müssen eine neue Sexualmoral haben. Nein, das Evangelium ist und bleibt weiterhin der Maßstab. Es ist der Glaube der Kirche, der weiterhin Maßstab bleibt, so wie er uns eben auch von Johannes Paul II. in seinem Katechismus vorgelegt worden ist. Und die Herausforderung besteht eben darin, jetzt diesen überzeitlichen Glauben so zu bezeugen und zu verkünden, dass er für die Menschen, die heute leben, verstehbar und nachvollziehbar wird. Das ist eine Herausforderung, der müssen wir uns stellen. Und es kann nicht sein, dass wir einfach davor zurückweichen.

Was gibt Ihnen denn Hoffnung für die Kirche in Deutschland?

Kardinal Woelki: Hoffnung gibt mir natürlich zunächst einmal, dass Christus ist und bleibt und er weiterhin der Herr der Kirche ist und dass uns sein Heiliger Geist zugesagt und zugesprochen ist. Und ich bin davon überzeugt, dass er uns auch durch diese Zeiten führen wird. Wir müssen uns natürlich öffnen für ihn, dass Gottes Geist auch wirken und führen kann. Und wir müssen jetzt nicht selber anfangen, den Heiligen Geist spielen zu wollen. Die Kirche, als Bischöfe stehen wir unter dem Wort Gottes und haben wie die Menschen und die Bischöfe vor uns, dieses Wort Gottes eben zu bezeugen und zu verkünden. Also Christus ist und Christus bleibt und er ist gegenwärtig. Er ist Herr der Kirche. So wie er seine Kirche auch in der Vergangenheit durch schwierige Zeiten hindurchgeführt hat, so wird er uns auch gegenwärtig durch diese Zeiten führen.

Und meine große Hoffnung besteht eigentlich darin, dass ich gerade immer wieder jungen Menschen begegne, die sich vom Glauben der Kirche haben entzünden lassen. Und es sind die jungen Menschen, die eben dieses Mehr des Christlichen suchen, die eine Heimat haben in der Kirche, die eine Heimat haben in der Eucharistie, die von der Eucharistie und von der Anbetung her leben und die davon leben, dass sie sich von Christus in ihrem Leben berührt wissen. Das ist etwas, was mir Mut macht, weil diese jungen Menschen - so erlebe ich sie - authentisch und überzeugt leben. Und die machen mir einfach Hoffnung in ihrer Zeugenschaft.

Welchen Beitrag kann ein Medium wie EWTN.TV zur Zukunft der Kirche leisten?

Kardinal Woelki: Ich denke, dass EWTN ein ganz wichtiger Sender ist, insofern es zunächst einmal natürlich darum gehen muss, den Glauben der Kirche etwa auch medial zu bezeugen und zu verkünden. Es ist tatsächlich eine Zeit der Verwirrung. Hier ein Medium zu haben, wo der Glaube authentisch bezeugt, verkündet und dargelegt wird, dient vielen Christen als Hilfe, als Orientierung. Es besteht natürlich auch die Möglichkeit, sich dort um einen solchen Sender sozusagen zu sammeln und auch eine Gebetsgemeinschaft zu bilden. EWTN überträgt viele Gottesdienste und Gebetszeiten. Ich finde, dass das auch in einer Zeit wie dieser von Bedeutung ist.

Ganz herzlichen Dank, Herr Kardinal.

Kardinal Woelki: Ja, gerne.

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