Berlin, 17 September, 2020 / 11:55 AM
Die Anzahl der Abtreibungen in Deutschland ist noch einmal gestiegen. Wie das Statistische Bundesamt am Montag mitteilte, wurden im 2. Quartal 2020 deutschlandweit rund 25.100 Abtreibungen gemeldet, das sind insgesamt 2,8 Prozent mehr Fälle als noch im 2. Quartal 2019.
Das Bundesamt schränkte jedoch ein, dass in diesem Ergebnis "im geringen Umfang nachträglich gemeldete Daten aus dem 1. Quartal 2020 enthalten" seien, "da aufgrund der Corona-Pandemie nicht alle auskunftspflichtigen Arztpraxen und Krankenhäuser ihre Daten fristgerecht gemeldet hatten". Unter Berücksichtigung dieses Effektes liege die Zunahme der Zahl der Schwangerschaftsabbrüche im 2. Quartal 2020 gegenüber dem 2. Quartal 2019 etwa 0,5 Prozentpunkte niedriger.
Lebensrechtsorganisationen weisen jedoch daraufhin, dass die Dunkelziffer bei Abtreibungen regelmäßig höher liegt.
Die Statistik des Bundesamtes erfasst auch das Alter der betroffenen Frauen. Demnach waren 70 Prozent der Frauen, die eine Abtreibung durchführen ließen, zwischen 18 und 34 Jahren alt, 19 Prozent waren zwischen 35 und 39 Jahren. 8 Prozent der Frauen waren 40 Jahre und älter, 3 Prozent waren jünger als 18 Jahre. Rund 41 Prozent der Frauen hatten vor diesem Eingriff noch kein Kind zur Welt gebracht.
Als Begründung für die Abtreibung wurde lediglich in 4 Prozent der Fälle "eine medizinische Indikation oder ein Sexualdelikt" angegeben, so das Statistische Bundesamt.
Auch über die Methodik gibt die Statistik Auskunft: Mehr als die Hälfte der Abtreibungen (54 Prozent) wurden mit der Absaugmethode (Vakuumaspiration), ein Drittel (33 Prozent) wurde medikamentös durchgeführt, vor allem mit dem Mittel "Mifegyne" (30 Prozent). 97 Prozent der Eingriffe erfolgten ambulant, davon knapp 82 Prozent in Arztpraxen beziehungsweise OP-Zentren und knapp 16 Prozent ambulant in Krankenhäusern.
Kritik von Lebensrechtlern
Die Pro-Life-Initiative "Aktion Lebensrecht für Alle" (ALfA) bezeichnete in einer Stellungnahme die offizielle Abtreibungsstatistik als "entlarvend". Besonders erschütternd sei dabei der Anteil der chemischen Abtreibung, bei dem die Frau selbst abtreibt. ALfA-Vorsitzende Cornelia Kaminiski sagt:
"Bei diesem Verfahren muss die Frau zu Hause ein Präparat einnehmen, das starke, sehr schmerzhafte Blutungen auslöst und zu nicht unerheblichen Komplikationen bis hin zum Tod führen kann. Vor wenigen Wochen starben zwei Engländerinnen nach Einnahme der Abtreibungspille. Zudem belegt die Statistik auf eindrucksvolle Weise, dass das Beratungsmodell, bei dem schwangere Frauen eine 'ergebnisoffene' Beratung durchlaufen, wenig dazu beiträgt, das ungeborene Leben effektiv zu schützen."
Wer angesichts der Zahlen immer noch davon spreche, die Gesetzeslage in Deutschland sei "zu wenig liberal und nicht frauenfreundlich genug", handle in Wahrheit "frauenfeindlich", so Kaminski, denn: "Frauen leiden an Abtreibungen, nehmen hohe gesundheitliche Risiken bis hin zum Tod durch Abtreibungspräparate in Kauf und Kinder sterben dabei".
Stattdessen ist nach Ansicht der Lebensrechtsorganisation die Gesellschaft aufgefordert, dieses Leid durch bessere Beratung und mehr Unterstützung einzudämmen.
Streitpunkt Beratungsschein
Nach Angaben des Statistischen Bundesamtes wurden 96 Prozent der gemeldeten Schwangerschaftsabbrüche nach der sogenannten Beratungsregelung vorgenommen. Vor einer Abtreibung, die nach deutschem Strafrecht noch immer als Straftat behandelt wird, jedoch strafffrei bleibt, muss die betreffende Frau eine Schwangerschaftsberatung absolviert haben. Am Ende dieser Beratung wird ihr ein Schein ausgestellt, der sie zur Abtreibung "berechtigt".
Diese Regelung hat besonders innerhalb der Katholischen Kirche in Deutschland Ende der 1990-er Jahre für einen schweren innerkirchlichen Konflikt gesorgt. Papst Johannes Paul II. hatte 1998 in einen Brief an die deutsche Bischofskonferenz (DBK) darum gebeten, dass in kirchlichen Beratungsstellen keine Beratungsscheine mehr ausgestellt werden sollen, da eine solche Beratung zwar zum Schutz des ungeborenen Menschen führen könnte, aber eben auch die Gefahr bestehe, dass sich die Kirche durch die Ermöglichung einer Abtreibung mithilfe dieses Scheins ihrem Zeugnis für das Leben unglaubwürdig mache.
Daraufhin wurde 1999 aus den Reihen der Mitglieder des Zentralkomitee der deutschen Katholiken (ZdK) gegen den Widerstand der Bischöfe der bis heute umstrittene Verein "Donum Vitae" gegründet. Nach eigenen Angaben setzt sich der Verein "für den Schutz des menschlichen Lebens, namentlich den Schutz des Lebens ungeborener Kinder" ein und ist - der eigenen Auffassung nach - konfessionell katholisch.
Eine kirchenamtliche Anerkennung hat dieser Verein jedoch nicht, da "Donum Vitae" eben jene Beratungsscheine an schwangere Frauen ausstellt, die nötig sind, um eine Abtreibung vornehmen zu können.
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Neben dem Fuldaer Bischof Johannes Dyba und dem Ende Juni diesen Jahres verstorbenen Bischof Anton Schlembach hatte sich auch der damalige Kölner Erzbischof Kardinal Joachim Meisner für den unbedingten Schutz des ungeborenen Lebens eingesetzt. In einem Interview mit dem katholischen Fernsehsender EWTN.TV erinnert sich sein damaliger Sekretär, der heutige Kölner Weihbischof Dominikus Schwaderlapp:
"Er [Meisner] war einer der wenigen, die gesagt haben: 'Wir können das doch nicht machen. Wir können doch nicht einen Schein ausstellen, wo drauf steht, der ist gegen die Abtreibung, aber er begünstigt eine Abtreibung, ist sogar notwendig für eine Abtreibung'."
Kontroverse um CDU-Politikerin Maria Flachsbarth
In diesem Zusammenhang hat erst im Juni das Engagement der CDU-Politikerin Maria Flachsbarth für die umstrittene Organisation "SheDecides" für eine Kontroverse gesorgt (CNA Deutsch hat berichtet). Die Bundestagsabgeordnete ist zudem Präsidentin des Katholischen Deutschen Frauenbundes (KDFB).
"SheDecides" pflegt enge Verbindungen zur Abtreibungsorganisation "International Planned Parenthood Federation" (IPPF) und setzt sich jedoch nicht nur gegen Zwangsheirat und Genitalverstümmelung ein, sondern hat auch einen besonderen Fokus auf ein "Recht auf Abtreibung". Auf der Homepage der Initiative heißt es dazu:
"We see a world where every girl and woman can exercise her right to privacy, gender identity, choosing partners, pleasure, marriage, children – and integrated services covering contraception, pregnancy, abortion, infertility, STIs, HIV, cancers and violence.
Wir sehen eine Welt, in der jedes Mädchen und jede Frau ihr Recht auf Privatsphäre, geschlechtliche Identität, Partnerwahl, Vergnügen, Ehe, Kinder ausüben kann - ebenso integrierte Dienstleistungen, die die Bereiche Empfängnisverhütung, Schwangerschaft, Abtreibung, Unfruchtbarkeit, Geschlechtskrankheiten, HIV, Krebs und Gewalt abdecken."
Flachsbarth bestätige auf Anfrage von CNA Deutsch Ende Juni über eine Sprecherin ihr Engagement bei "SheDecides". Die Sprecherin des Bundesministeriums für wirtschaftliche Zusammenarbeit und Entwicklung, für das Flachsbarth als Parlamentarische Staatsekretärin arbeitet, verwies dabei auf folgendes Zitat der CDU-Politikerin:
"Ich habe mich als Mitglied des Deutschen Bundestages, als Parlamentarische Staatssekretärin und auch im Ehrenamt als Präsidentin des KDFB immer für den Schutz des Lebens, insbesondere in den besonders sensiblen Phasen ganz am Anfang und ganz am Ende eingesetzt. Eine Abtreibung ist nie ein Mittel der Familienplanung. Sie kann im Einzelfall ein letzter schrecklicher Ausweg sein."
Unterstützung erhielt die Präsidentin des katholischen Frauenbundes vom Präsidenten des ZdK, Thomas Sternberg. Er sei sich "völlig einig" mit Flachsbarth, so Sternberg in einer Stellungnahme gegenüber CNA Deutsch. "Immer hat sich das ZdK vehement für den Lebensschutz eingesetzt", teilte der ZdK-Repräsentant mit.
Gleichzeitig bezeichnete jedoch auch er eine Abtreibung als möglichen "letzten Ausweg". Sternberg wörtlich:
"Wir wissen zugleich, dass eine Abtreibung leider nicht in jedem Schwangerschaftskonfliktfall verhindert werden kann – davon spricht Maria Flachsbarth, wenn sie sagt, eine Abtreibung könne für eine Frau im Einzelfall 'ein letzter schrecklicher Ausweg' sein. Es ist aber für uns völlig klar, dass Abtreibungen keines der Mittel zur Familienplanung sind."
Der CDU-Politiker verteidigte in seiner Antwort auch erneut die Beratungsregelung. Sie sei ein "Schutz" und ein "politischer Kompromiss", den das ZdK unterstütze. Sternberg sagte gegenüber CNA Deutsch, dass sowohl er als auch seine Vorgänger im Amt des ZdK-Präsidenten "auch bei einem starken gesellschaftlichen und politischen Gegenwind" diese Regelung unterstützt hätten, "weil wir Abtreibungen verhindern wollen und vielfach verhindern können".
"Marsch für das Leben" in Berlin am Wochenende angekündigt
Für den kommenden Samstag, dem 19. September, haben Lebensschützer aus ganz Deutschland zum "Marsch für das Leben" in Berlin aufgerufen. Aufgrund der Coronavirus-Pandemie findet die Kundgebung in diesem Jahr unter Einschränkungen statt.
Auch viele Bischöfe hatten bereits ihre Unterstützung für den diesjährigen "Marsch für das Leben" zugesagt (CNA Deutsch hat berichtet).
Der katholische Fernsehsender EWTN.TV überträgt die Veranstaltung live.
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