Eine Neuheit innerhalb des katholischen Diskursprozesses ist, dass einige Bischöfe sich heute für eine Revision oder Erweiterung der kirchlichen Morallehre und für eine regionale Aufhebung oder Relativierung des Zölibats aussprechen.

Der Hildesheimer Bischof sagte, der Zölibat "könnte mehr Strahlkraft entwickeln, wenn man ihn für bestimmte Personenkreise freistellen würde". Gäbe es dann Priester erster und zweiter Klasse?

Abgesehen davon, dass der Begriff "Strahlkraft" stabil unklar ist, würde doch niemand ernsthaft in analoger Weise behaupten wollen, dass die staatliche Anerkennung von Lebenspartnerschaften ohne Trauschein die Schönheit der Ehe von Mann und Frau öffentlich bewusster gemacht hätte.

Ebenso wenig hat – wie Benedikt XVI. in seinem scharf attackierten Beitrag vom 11. April 2019 sehr deutlich zeigte – die sogenannte sexuelle Revolution und die Plakatierung pornografischer Darstellungen einen positiven, menschenfreundlichen Weg gelingender Partnerschaft in der Welt von heute gebahnt und das Verständnis für die unantastbare Würde der Person vermehrt:

"Die Sache beginnt mit der vom Staat verordneten und getragenen Einführung der Kinder und der Jugend in das Wesen der Sexualität. In Deutschland hat die Gesundheitsministerin Frau Strobel einen Film machen lassen, in dem zum Zweck der Aufklärung alles, was bisher nicht öffentlich gezeigt werden durfte, einschließlich des Geschlechtsverkehrs, nun vorgeführt wurde. Was zunächst nur für die Aufklärung junger Menschen gedacht war, ist danach wie selbstverständlich als allgemeine Möglichkeit angenommen worden. Ähnliche Wirkungen erzielte der von der österreichischen Regierung herausgegebene 'Sexkoffer'. Sex- und Pornofilme wurden nun zu einer Realität bis dahin, daß sie nun auch in den Bahnhofskinos vorgeführt wurden. Ich erinnere mich noch, wie ich eines Tages in die Stadt Regensburg gehend vor einem großen Kino Menschenmassen stehen und warten sah, wie wir sie vorher nur in Kriegszeiten erlebt hatten, wenn irgendeine Sonderzuteilung zu erhoffen war. Im Gedächtnis ist mir auch geblieben, wie ich am Karfreitag 1970 in die Stadt kam und dort alle Plakatsäulen mit einem Werbeplakat verklebt waren, das zwei völlig nackte Personen im Großformat in enger Umarmung vorstellte. … Zu der Physiognomie der 68er Revolution gehörte, daß nun auch Pädophilie als erlaubt und als angemessen diagnostiziert wurde. Wenigstens für die jungen Menschen in der Kirche, aber nicht nur für sie, war dies in vieler Hinsicht eine sehr schwierige Zeit. Ich habe mich immer gefragt, wie junge Menschen in dieser Situation auf das Priestertum zugehen und es mit all seinen Konsequenzen annehmen konnten. Der weitgehende Zusammenbruch des Priesternachwuchses in jenen Jahren und die übergroße Zahl von Laisierungen waren eine Konsequenz all dieser Vorgänge."

Ein Beispiel für die von Benedikt genannte positive Haltung zu Formen der Pädophilie sind die skandalösen Missbrauchsfälle an der Odenwaldschule – das Wochenmagazin "Die ZEIT" hat 2019 darüber ausführlich berichtet –, die nun zweifelsfrei nichts mit der kirchlichen Morallehre, dem Zölibat oder Machtstrukturen wie Machtmissbrauch in der katholischen Kirche zu tun haben können.

Gleichwohl sagte die Bundesfamilienministerin Dr. Franziska Giffey neulich in einem Interview: "Das Zölibat ist in meinen Augen ein Risikofaktor für sexuellen Missbrauch. Auch autoritäre, klerikale Strukturen begünstigen sexuellen Missbrauch, der immer auch ein Missbrauch von Macht ist." In diesen Fragen hat doch unser emeritierter Papst Benedikt den eindeutig klareren Blick.

Unverständnis löst auch aus, wenn die begründete Kritik von Eltern an der sogenannten sexuellen Früherziehung in Kindertagesstätten und Schulen mit dem rechtspopulistischen "Anti-Genderismus" verglichen sowie argumentativ verknüpft wird (vgl. Franca Spies: Gender als Reizthema in christlichen und rechtspopulistischen Kreisen, in: Karlheinz Ruhsdorfer (Hg.): Zwischen Progression und Regression, Herder Verlag 2019, 286–288).

Viele Elternpaare empören sich und fordern nichts anderes als der heilige Johannes Paul II. in dem unbedingt lesens- und beherzigenswerten Apostolischen Schreiben "Familiaris consortio":

"Die Familie ist die erste und grundlegende Schule sozialen Verhaltens. … Die Erziehung zur Liebe als Hingabe seiner selbst ist auch die unerlässliche Voraussetzung für die Eltern in ihrer Aufgabe, den Kindern eine klare und taktvolle Geschlechtserziehung zu vermitteln."

Der Papst schreibt weiter, dass der "erzieherische Dienst der Eltern entschieden auf eine Kultur der Geschlechtlichkeit hinzielen muss, die wahrhaft und vollmenschlich ist; die Geschlechtlichkeit ist ja ein Reichtum der ganzen Person - Leib, Gemüt und Seele - und zeigt ihre tiefste Bedeutung darin, dass sie die Person zur Hingabe ihrer selbst in der Liebe führt." Welche verheerenden Folgen indessen mit der sexuellen Früherziehung verbunden sind, darüber hat die renommierte "Frankfurter Allgemeine Zeitung", die nicht im Verdacht steht, eine konservative katholische Moraltheologie verteidigen oder fortschreiben zu wollen, schon 2014 berichtet – der Artikel von Antje Schmelcher hierzu ist kostenfrei einsehbar.

In den Gesprächen auf dem "Synodalen Weg" könnte 2020 eine kritische Auseinandersetzung mit zeitgenössischen Erziehungstheorien und Moralauffassungen stattfinden. Das wäre ein Beitrag zur Evangelisierung. Eine verlässliche Orientierung bietet das Lehramt der Kirche. Die Texte sind auch nicht schwer verständlich oder in irgendeiner Art populistisch, sondern wichtige Zeugnisse theologischer Aufklärung. Ob die päpstlichen Lehrschreiben 2020 endlich berücksichtigt werden? Wer möchte, kann das sogar selbst beobachten – fügen Sie unter "Lesezeichen" an Ihrem Browser doch einfach die Links der Webseiten "Vatikan" und "Synodaler Weg"  hinzu und schauen sich dort gelegentlich ein wenig um. Sie können vielleicht selbst prüfen, ob die Vorschläge aus Deutschland zu verschiedenen Themen sich mit den Vorgaben des Lehramts der Kirche decken.

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