19 Juli, 2019 / 8:00 AM
Papst Franziskus hat der katholischen Kirche in Deutschland am 29. Juni 2019, dem Fest der heiligen Petrus und Paulus, einen Brief geschrieben. Anlass ist der Beschluss der deutschen Bischöfe auf der Vollversammlung in Lingen im März 2019, auf einem "synodalen Weg" zusammen mit dem Zentralkomitee der deutschen Katholiken die Konsequenzen aus der Missbrauchsstudie ziehen zu wollen. Die Machtstrukturen in der Kirche, der Zölibat und die Sexualmoral der katholischen Kirche sollen auf der Tagesordnung stehen. Es soll nicht nur diskutiert, sondern mit "verbindlichen Ergebnissen" der Kirche "vorangeschritten" werden. Verschiedene Bischöfe, darunter der Vorsitzende der Deutschen Bischofskonferenz Reinhard Kardinal Marx und sein Stellvertreter Bischof Franz-Josef Bode, haben den päpstlichen Brief als Ermutigung des synodalen Weges interpretiert und damit das Framing für die meisten anderen Bistümer vorgegeben.
Dass die deutschen Katholiken und insbesondere die Bischöfe Probleme mit der Interpretation päpstlicher Schreiben haben, die sich ausschließlich an die katholische Kirche in Deutschland richten, ist seit dem Konflikt um den Beratungsschein in der Schwangerenberatung bekannt. Damals brauchten die Bischöfe mehr als vier Jahre, um die von Papst Johannes Paul II. schon im September 1995 und dann in drei weiteren Briefen geäußerte Bitte zu erfüllen, in kirchlichen Beratungsstellen keinen Schein mehr auszustellen, der eine Abtreibung erlaubt.
Im Vergleich mit den Briefen von Johannes Paul II. sehen manche kirchlichen Redakteure im Brief von Papst Franziskus geradezu einen Vertrauensbeweis für die Kirche in Deutschland. Sie bringen den Vergleich auf den Nenner "Vertrauen statt Verbote".
Das wird jedoch weder Papst Franziskus noch Papst Johannes Paul II. gerecht.
Johannes Paul II. hat in drei Briefen zwischen September 1995 und Juni 1999 nie ein Verbot ausgesprochen, sondern die Bischöfe immer wieder gebeten, die kirchliche Beteiligung an der Schwangerschaftskonfliktberatung so zu regeln, dass der Beratungsschein nicht zum Schlüssel für eine straflose Abtreibung wird. Eine päpstliche Bitte jedoch, so kommentierte Bischof Karl Lehmann selbst am 25. Januar 1998 den Brief von Johannes Paul II. zur deutschen Schwangerschaftskonfliktberatung vom 11. Januar 1998, "ist zwar kein Befehl, aber wenn sie eindringlich vom Papst in seiner obersten Verantwortung an die Adresse von Bischöfen gesprochen wird, hat sie gerade in der bescheideneren Form eine unübersehbare Verbindlichkeit". Das zu erkennen, sei "eine Frage ekklesialer Sensibilität".
Diese Erkenntnis hat Bischof Lehmann und die Mehrheit der deutschen Bischöfe allerdings nicht daran gehindert, sich noch nahezu zwei weitere Jahre Zeit zu lassen, um der Bitte nachzukommen. Erst als im Herbst 1999 klar wurde, dass die staatlichen Stellen den von ihm vorgeschlagenen Aufdruck auf dem Schein, er berechtige nicht zu einer straflosen Abtreibung, ignorieren und den Schein weiterhin als Zugangsvoraussetzung für eine Abtreibung akzeptieren würden, hat Johannes Paul II. die deutschen Bischöfe angewiesen, den Beratungsschein nicht länger auszustellen.
Der zwölfseitige Brief von Papst Franziskus, adressiert "an das pilgernde Volk Gottes in Deutschland", also an Bischöfe und Laien gleichermaßen, enthält gewiss manche Freundlichkeiten bezüglich der materiellen und missionarischen Großherzigkeit der deutschen Katholiken und der weltweit anerkannten Leistungen deutscher Theologen und Theologinnen. Aber man muss den Brief nicht zwischen den Zeilen lesen, um zu dem Ergebnis zu kommen, dass er alles andere als ein Vertrauensbeweis oder gar eine Ermutigung für den synodalen Weg ist.
Nicht nur, dass die Themen, die auf dem "synodalen Weg" diskutiert werden sollen, im Brief an keiner Stelle erwähnt werden, nicht nur, dass festgehalten wird, dass noch geklärt werden müsse, was der "synodale Weg" überhaupt ist, Papst Franziskus mahnt die deutschen Katholiken wie schon die Bischöfe bei ihrem Ad Limina-Besuch im Vatikan im Oktober 2015, die Lösung der kirchlichen Probleme nicht in der "Reform von Strukturen, Organisationen und Verwaltung" zu suchen und die "kirchliche DNA" nicht aus dem Auge zu verlieren. Diese kirchliche DNA besteht nach Papst Franziskus in der "Zentralität der Evangelisierung" und dem "sensus ecclesiae", das heißt der Einheit der Weltkirche.
Papst Franziskus sieht die Kirche in Deutschland in der Gefahr, diese kirchliche DNA preiszugeben. Mehrmals unterstreicht er, dass ein "synodaler Weg" nur ein Weg sein könne, der "gemeinsam mit der ganzen Kirche beschritten" werde. Wer nur "auf die eigenen Kräfte, die eigenen Methoden und die eigene Intelligenz" vertraue, vermehre die Übel, die er überwinden wollte.
Der Papst warnt die Katholiken in Deutschland, ein Buch von Joseph Ratzinger aus dem Jahr 1976 zitierend, vor der Versuchung des "Gnostizismus", das heißt der Arroganz, als "erleuchtete Gruppe" der Kirche voranschreiten zu wollen und so den Leib der Kirche zu "zerstückeln".
Eine Teilkirche, die sich von der Weltkirche trennt, so Papst Franziskus, würde "sich schwächen, verderben und sterben".
Ob diese Warnung auch für die Amazonas-Synode im Oktober gilt, die über den Zölibat und die Weihe verheirateter Männer diskutieren soll, bleibt eine spannende Frage. Der Brief ist nicht nur keine Ermutigung, den synodalen Weg zu beschreiten, er ist vielmehr ein Appell, der "subtilen Versuchung" zu widerstehen, den Glauben der kleinen Leute zu missachten, sich als eine Elite zu betrachten und den Primat der Evangelisierung zu vergessen. Er will die katholische Kirche in Deutschland davor bewahren, in die Sackgasse einer nationalen Kirche zu laufen. Er ist ein Alarmruf, die Einheit der Kirche zu bewahren und das Evangelium zu verkünden, sei es gelegen oder ungelegen.
Manfred Spieker ist Professor für Christliche Sozialwissenschaften. Er lehrte bis 2008 an der Universität Osnabrück.
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