Rom, 15 Februar, 2022 / 11:30 AM
Ein Berater von Benedikt XVI. in der Erarbeitung der Antwort des emeritierten Papstes auf das Münchner Missbrauchsgutachten hat das 1.893 Seiten umfassende Dokument der Kanzlei Westpfahl Spilker Wastl als "Anklageschrift" bezeichnet.
Prof. Dr. Dr. Stefan Mückl, ein Priester des Opus Dei, der nach einer akademischen Karriere an juristischen Fakultäten in Deutschland nunmehr Kirchenrecht in Rom lehrt, war durch Erzbischof Georg Gänswein, den Privatsekretär von Papst Benedikt, im Oktober 2021 gebeten worden, Akteneinsicht der Papst emeritus Benedikt betreffenden Fälle zu nehmen.
Diese Anklageschrift immunisiere sich selbst, indem sie behaupte: "Wir sagen ja nur unsere Meinung und haben dafür bestimmte Indizien." Mückl erklärte im Gespräch mit K-TV am Montag, diese Indizien seien "so schwach, dass kein Gericht auf dieser Grundlage eine Entscheidung treffen würde oder auch nur ein Verfahren eröffnen würde".
Ein Gutachten im eigentlichen Sinn, so Mückl, wolle beantworten: "Was sind die Fakten? Was wussten die Beteiligten? Und: Haben sie gegen konkrete Normen verstoßen? Von all dem findet sich in diesem 'Gutachten' vergleichsweise wenig."
Der Professor für Kirchenrecht an der Päpstlichen Universität Santa Croce in Rom erzählte von den Hintergründen seiner Arbeit für Benedikt XVI. Er habe sich "in einem Zeitraum von gut zwei Wochen" durch 8.000 Seiten Aktenmaterial arbeiten müssen – ausschließlich am Bildschirm. "Ich konnte nichts ausdrucken, nichts speichern, noch nicht einmal kopieren", sagte Mückl.
"Ich hatte den Zugang [zu den Akten] bekommen am 9. November [2021]", so der Priester weiter. "Die letzten Fragen der Kanzlei […] sind eingegangen am 11. November. Das heißt ich konnte letzten Endes erst ab dem 11. November richtig zielorientiert arbeiten, weil ich dann wusste: Was möchte diese Kanzlei genau wissen."
Fehler bei der redaktionellen Bearbeitung
In der endgültigen von Mückl und seinen Mitarbeitern erstellten Antwort von Papst Benedikt an die Kanzlei war es zu einem Fehler gekommen. Dabei wurde behauptet, er habe an einer Ordinariatssitzung vom 15. Januar 1980, bei der es um einen Priester X und seinen Umzug in die Erzdiözese München und Freising gegangen war, "nicht teilgenommen" – was dem Sitzungsprotokoll widerspricht.
Mückl erklärte gegenüber K-TV, wie es zu diesem Fehler gekommen war. Er habe aufgrund der eigesehenen Akten "eine kondensierte Zusammenfassung erstellt von ungefähr 20 Seiten und hatte dort vermerkt: Jene Sitzung fand statt in der Anwesenheit des Erzbischofs und in der Abwesenheit des Generalvikars. Und das ist dann innerhalb der späteren Arbeitsschritte vertauscht worden."
Bei der Vorstellung des Missbrauchsgutachtens am 20. Januar 2022 habe einer der Rechtsanwälte "diese Ungenauigkeit, diesen sachlichen Fehler geradezu zelebriert". Dabei sei Mückl "das Blut in den Adern gefroren". Er habe sofort seine Unterlagen überprüft und dabei festgestellt, wie es zu dem Fehler gekommen war.
Letztlich sei es aber wenig relevant, ob Papst Benedikt in seiner Zeit als Erzbischof von München und Freising an jener Sitzung teilgenommen hatte, denn es wurde "überhaupt nicht darüber gesprochen, dass dieser Priester X eine problematische Vergangenheit gehabt hatte. Es wurde auch nicht darüber entschieden, ob er in eine Pfarrei gehen soll. Der einzige Gegenstand auf dieser Sitzung am 15. Januar 1980 war gewesen: Wird er in München die Möglichkeit haben, eine Therapie zu absolvieren und zu diesem Zweck in einem Pfarrhaus unterzukommen? Nur darum ging es bei dieser Sitzung – nicht um ein pastoralen Einsatz."
Reaktion der Medien
Noch während der Pressekonferenz am 20. Januar hätten "die deutschen Leitmedien" die ersten "medialen Verurteilungen" in die Welt gesetzt, sagte Mückl. Dabei sei untergegangen, dass gegen Ende eine Journalistin die Kanzlei nach Beweisen dafür gefragt habe, ob der ehemalige Kardinal Ratzinger wusste, dass ein Missbrauchstäter in die Diözese komme. Die Antwort der Gutachter war, man habe keine Beweise, aber gehe mit überwiegender Wahrscheinlichkeit davon aus.
Das sei eine ein zirkuläre Argumentation, kritisierte der Kirchenrechtler Mückl. "Es wurde kein Argument vorgetragen. Es wurde kein Indiz vorgetragen. Und leider haben die Medien – viele Medien – in dem Druck, schnell eine Schlagzeile zu präsentieren, ihre Sorgfaltspflichten nicht übermäßig ernst genommen."
Der emeritierte Papst hatte bereits am 24. Januar 2022 durch Erzbischof Gänswein die Aussage zu seiner vermeintlichen Abwesenheit bei der Ordinariatssitzung am 15. Januar 1980 korrigiert. Am 8. Februar 2022 äußerte sich Benedikt XVI. ausführlicher in einem persönlichen Schreiben. Auch Mückl und seine Mitarbeiter meldeten sich erstmals zu Wort.
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