Vatikanstadt, 16 Oktober, 2015 / 2:54 PM
Spätestens mit Bekanntwerden des Plädoyers von Kardinal Reinhard Marx für eine Reihe dramatischer Reformen ist die Familiensynode dort angekommen, worauf sie mehreren Beobachtern zufolge seit über zwei Jahren hinsteuert, und mit ihr die katholische Weltkirche: Ein angeblicher Show-Down über den Vorschlag von Kardinal Walter Kasper nach einer Zulassung geschiedener Wiederverheirateter zum Sakrament der Kommunion. So zumindest die Interpretation einiger Vatikanisten und Beobachter.
Einige, wie der Jesuit Thomas Reese, halten die Synode scheinbar schon für zum Scheitern verurteilt. Einige wundern sich, dass so wenig von normalen Familien die Rede ist, und wie denen zu helfen wäre; oder von Sünde.
Wer genauer hinschaut, argumentieren andere, merkt schnell: Hier geht es um viel mehr; nichts Geringeres als den Anspruch auf die Deutungshoheit über die Lehre und Praxis der Kirche. Steht die also auf dem Spiel?
Was erst einmal klar scheint: Trotz aller Nebelkerzen-Werferei, trotz diverser Scheingefechte und trotz verunglückter Ablenkungsmanöver – der Kampf dreht sich nur vordergründig um die Frage, ob die klitze-kleine Minderheit der Geschiedenen in der ebenfalls kleinen Minderheit praktizierender Katholiken, die wiederum zu ausgerechnet der noch viel kleineren Minderheit gehören, die es zu den Sakramenten drängt, ohne keusch zu leben, zur Kommunion gehen darf. Bestenfalls ist deren Anliegen, so wichtig es natürlich ist, pars pro toto zu verstehen.
Worum geht es eigentlich?
Synodenväter wie Journalisten beschreiben gerne ein Ringen von zwei Seiten um die Deutungshoheit in Doktrin und Disziplin, vom “konservativen Lager” und vom “progressiven Lager”. Dies hat nicht nur Kardinal Marx kritisiert, ein meist "progressiv" eingeordneter, sondern auch sogenannte "konservative" Synodenväter. Der Grund ist klar: Diese Etiketten sind nur bedingt hilfreich. Auch sogenannte “Konservative” betonen etwa, dass die Seelsorge progressiv sein muss; und sogenannte “Progressive” zitieren gerne Lehrdokumente und Kirchenväter, um für Änderungen zu plädieren.
Zudem können nicht alle Protagonisten auf einer Seite in das gleiche "Lager" gesteckt werden; zu groß sind da die Unterschiede. Und zu groß sind auch einige Gemeinsamkeiten, quer durch die Reihen.
Vielleicht eine bessere Unterscheidung, sagen manche Beobachter, ist die zwischen orthodoxen und heterodoxen Sichtweisen, statt Lagern. Wie alle Unterscheidungen ist sie zum Teil grob oder verkürzend, aber nützlich und wichtig – und allemal besser als “konservativ” und “progressiv”, so die Einschätzung.
Hilfreich an diesem – in keiner Weise wertend zu verstehenden – Begriffspaar: Es verweist auf die Kernfrage der Auseinandersetzung, ob der Zugang zu den Sakramenten eine Frage der Doktrin oder Disziplin ist.
Zwei hochkarätig besetzte Sichtweisen: Die "orthodoxe" und "heterodoxe" Perspektive
Eine orthodoxe Sichtweise teilen alle, die eine Abschaffung des Naturrechts, oder zumindest eine Abschaffung des Anspruchs der Kirche auf ewig gültige, objektive Wahrheiten für falsch halten.
Die orthodoxe Sichtweise kennt keine Trennung von Doktrin und Disziplin. Wenn zum Beispiel Menschen sich scheiden lassen und zivil eine zweite Ehe eingehen, dann brechen sie aus dieser Sicht das 6. Gebot, und können daher nicht zur Kommunion – wie alle Menschen, die etwa nicht keusch leben. Um die Menschen kümmern müssen sich die Seelsorger natürlich trotzdem; vielleicht sogar umso mehr. Wichtige Protagonisten dieser Perspektive sind viele der nordamerikanischen, afrikanischen, polnischen Bischöfe, allen voran hochkarätige Köpfe wie Kardinal Robert Sarah, Kardinal Wilfrid Napier, Kardinal Gerhard Ludwig Müller, Kardinal George Pell, Kardinal Timothy Dolan, Erzbischof Stanislaw Gadecki und viele weitere mehr. Auch Kardinal Raymond Burke ist ein wortstarker Vertreter, auch wenn er nicht bei der Synode dabei ist.
Die heterodoxe Sichtweise wiederum hält das Naturrecht für überholt, oder zumindest den darauf basierten Anspruch der katholischen Kirche auf unabänderliche, ewig-gültige objektive Wahrheiten. Mit Blick auf geschiedene Wiederverheiratete etwa, die unbedingt zur Kommunion gehen wollen, ohne keusch zu leben, muss deren Lebenswirklichkeit seelsorglich ebenfalls in Betracht gezogen werden, ebenso wie die Lehre oder Tradition der Kirche.
Aus heterodoxer Sichtweise gibt es eine Trennung von Doktrin und Disziplin, oder zumindest von theoretischer Lehre und pastoraler Praxis. Auf der einen Seite gibt es aus heterodoxer Sicht die Realität der Lehre der Kirche, und auf der anderen Seite die Realität der “Lebenswelt” der Menschen, derer man sich in der Seelsorge zuwendet. Aus dieser Sicht kann eine zweite Ehe oder aktiv eine homosexuelle Beziehung selbstverständlich auch wertvoll sein, selbst wenn sie objektiv sündhaft sein mag. Deshalb können wiederium solche Menschen durchaus unter ganz bestimmten Umständen zur Kommunion gehen, sollen es sogar, aus seelsorglichen Gründen. Wichtige Protagonisten der heterodoxen Sichtweise sind viele deutsche und andere europäische Bischöfe, allen voran profilierte Theologen oder bekannte Kirchenmänner wie Kardinal Walter Kasper, Kardinal Reinhard Marx, Kardinal Oscar Rodriguez Maradiaga, Kardinal Luis Antonio Tagle, Kardinal Karl Lehmann (obwohl nicht auf der Synode), Erzbischof Heiner Koch, Bischof Franz-Josef Bode, Kardinal Vincent Nichols und viele weitere mehr.
Warum die Synode nicht (nur) ein Show-Down ist – oder sein muß
Aus dieser Sicht betrachtet ist die Synode der Höhepunkt einer diskursiven Auseinandersetzung, die mit der Rede von Kardinal Walter Kasper vor dem Konsistorium am 20. Februar 2014 begann, und nun im Rahmen einer Synode ausgetragen wird, die das Thema der Berufung und Mission der Familie in der Kirche und Welt von heute trägt.
(Die Geschichte geht unten weiter)
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Höhepunkt ja, aber auch "Show-Down" oder "High Noon"? Vergleiche mit einem “Show-Down”, wie ein orthodox ausgerichteter Blog schrieb, oder Schlagzeilen über einen angeblichen “High Noon” im Vatikan, wie ein heterodox orientiertes Medium titelte, greifen zu kurz, wenn nicht gar daneben: Es geht um eine Auseinandersetzung, die Papst Franziskus zumindest zum Thema Familie und Ehe persönlich gewünscht und inititiiert hat, und die auch nur Papst Franziskus letztlich entscheidet.
Zwar schreibt die zehnköpfige Kommission den Abschlussbericht – eine Kommission, die Kritikern zufolge nicht nur stark eurozentrisch ist (fünf Mitglieder sind aus Europa, nur ein Vertreter jeweils aus den anderen Kontinenten), sondern auch überwiegend mit Vertretern der heterodoxen Sichtweise. Und natürlich stimmen die Synodenväter über diesen ab – eine Zweidrittelmehrheit ist erforderlich. Doch ob dieser Bericht veröffentlicht wird, und wie er dann umgesetzt wird: Das entscheidet der Heilige Vater. Ein wichtiger Faktor in der Entscheidungsfindung könnte auch für Franziskus sein, ob er von vornherein eine Lösung der heterodoxen und orthodoxen Sichtweisen mit im Blick hatte.
Alle Seiten scheint ein Wunsch zu vereinen, den sicherlich zig Millionen Katholiken in aller Welt teilen. Immerhin wird von allen Synodenvätern die positive Atmosphäre des Treffens betont, aber auch die Ermüdung nach über 250 Redebeiträgen. Der Wunsch ist der nach einer klaren Aussage von Papst Franziskus über Ehe und Familie, zu Doktrin und Disziplin, auf dem weiteren Weg der Kirche an der Seite von Jesus Christus im 21. Jahrhundert: Ein Weg des Glaubens, der Liebe und der Hoffnung, nicht der "Show Downs" und "High Noons", in der großen, katholischen Familie der Kirche.
Sonst war am Ende der ganze Aufwand umsonst. Und das will schließlich auch niemand.
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