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Sterbehilfe in der Pandemie: Niederlande verzeichnet mit 7.000 Fällen neuen Höchststand

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Noch nie kamen so viele Menschen seit Einführung der Euthanasie in den Niederlanden durch "Sterbehilfe" ums Leben wie im Jahr der COVID-19-Pandemie 2020. Das beichtet das Institut für Medizinische Athropologie und Bioethik (IMABE).

Die Steigerung ist enorm: 6.938 Menschen starben durch Tötung auf Verlangen, das sind täglich 19 Fälle. Gegenüber 2015 bedeutet dies eine Steigerung um mehr 25 Prozent. In nur drei Prozent der Fälle fand ein assistierter Suizid statt. In 17 dieser 216 Fälle gaben die Ärzte an, dass die Betroffenen zwar die tödlichen Präparate selbst eingenommen hatten, aufgrund von Komplikationen die Ärzte jedoch mit tödlichen Infusionen eingreifen mussten.

Aufgabe der Euthanasie-Kontrollkommission (RTE) ist es zu überwachen, ob bei den gemeldeten Fällen die gesetzlichen Vorgaben eingehalten wurden. Laut Statistik sind Personen ab 60 Jahren die gefährdetste Gruppe für aktive Sterbehilfe. Sie machen fast 88 Prozent aller Euthanasie-Fälle in den Niederlanden aus.

Durchgeführt wird die als "aktive Sterbehilfe" bezeichnete Tötung meist von Hausärzten (82,4%) – und zwar zu Hause (81,8%), so IMABE.

Laut aktuellem Report ist zwar der Anteil der Menschen mit einer Krebserkrankung immer noch am höchsten (65%), sinkt aber im Verhältnis zu anderen, teils neuen Euthanasie-Diagnosen wie etwa Kumulation von Altersbeschwerden (235 Fälle) oder Demenz (170 Fälle).

Die "geriatrische Diagnose" umfasst altersbedingte Beschwernisse wie Nachlassen der Sehkraft und des Gehörs, Arthritis, Gehbeschwerden oder Gleichgewichtsstörungen. Diese Zahl wird wohl in den kommenden Jahren angesichts der demographischen Lage weiter ansteigen, vermuten Experten.

Theo Boer, Medizinethiker und bis 2014 selbst Mitglied der Euthanasie-Kontrollkommission, sieht die Entwicklung seines Landes kritisch. Seit der Einführung des Sterbehilfegesetzes in den Niederlanden im Jahr 2002 sei die Hemmschwelle zur Selbsttötung deutlich gesunken, so Boer in einem Interview mit dem österreichischen Online-Portal Medonline.at.

In den neun Jahren seiner Gutachtertätigkeit hatte er mehr als 4.000 Sterbehilfe-Fälle geprüft. Sein Befund: Es dauert nur wenige Jahre, bis sich aus der anfangs "extremen Ausnahme" eine "normale Sterbeweise" entwickelt. Sobald aktive Sterbehilfe legalisiert ist, erzeuge sie eine "immer höhere Nachfrage". Außerdem sei es laut Boer "naiv" zu meinen, dass sich die Sterbehilfe-Befürworter mit Kompromissen und Ausnahmen zufriedengeben würden: "Die meisten Befürworter haben ein eindeutiges Ziel, nämlich die totale Freigabe jeglicher Form von Sterbehilfe."

Das werde auch Österreich oder Deutschland in Kürze zu spüren bekommen, warnt Boer. Ausnahmen würden keine Ausnahmen bleiben, sondern zu "einer normalen medizinischen Handlung" werden, die ohne Bedingungen für jeden zur Verfügung stehen soll. In den Niederlanden wird seit mehreren Jahren eine Art "Letzter-Wille-Pille" für alle Senioren ab 75 Jahren im Parlament diskutiert.

Boer rät dazu, jeder weiteren Liberalisierung von vorneherein einen Riegel vorzuschieben und klar am Verbot der Tötung auf Verlangen festzuhalten. "Man löst das Problem der Einsamkeit oder des Alterns ja nicht durch den Tod, ebenso wenig wie Kahlköpfigkeit mit einer Guillotine." Zudem fordert er mehr Ehrlichkeit: "Es gibt Tragik, gegen die man keine effektiven Maßnahmen treffen kann. In solchen Situationen seinen Bürgern den Tod anzubieten, vermittelt den falschen Schein der Machbarkeit."

Dies trifft – mit Blick auf den Euthanasie-Report – etwa die Fälle von Demenz. Laut einem Urteil des Obersten Gerichtshofs von April 2020 ist in den Niederlanden die Tötung von schwer dementen Patienten zulässig, sofern sie zuvor eine entsprechende Patientenverfügung formuliert haben – im Zweifelsfall auch gegen spätere non-verbale Willensäußerungen wie körperlich sich gegen die Todesspritze zu wehren, wie CNA Deutsch berichtete.

Erst kürzlich hat die Königliche Niederländische Ärztekammer (KNMG) aufgrund dieses OGH-Urteils vier Aspekte ihres Kodex geändert. Im Fall einer fortgeschrittenen Demenz könnten Ärzte, so die KNMG, am besten selbst beurteilen, ob ein Demenzkranker tatsächlich "unerträglich leidet" – eine der sechs gesetzlichen Voraussetzungen für Euthanasie.

In diesen Fällen müssen sie den Patienten auch nicht mehr explizit fragen, ob seine schriftliche Verfügung immer noch gilt. Umgekehrt sollten Ärzte auch die Freiheit haben, eine Euthanasie nicht durchzuführen, obwohl die Kriterien erfüllt sind.

Die Euthanasie-Fälle bei Demenz sind in den Niederlanden seit 2012 um das Vierfache gestiegen. Meist baten die Betroffenen, im Frühstadium der Demenz getötet zu werden – aus Angst vor zukünftig drohender Altersverwirrtheit.

Wenn Hausärzte keine Freigabe zur Euthanasie geben, springen private Anbieter ein. So fanden 2020 landesweit 77 Prozent der Tötungen auf Verlangen bei Patienten mit psychischen Erkrankungen im privat geführten Expertise Center for Euthanasia, (EE) statt, ebenso wie etwa die Hälfte aller Sterbehilfe-Fälle bei Altersgebrechlichkeit und Demenz. Das EE hatte 2020 nach eigenen Angaben 2.901 Anfragen. In 899 Fällen wurde eine Tötung auf Verlangen durchgeführt. Jeder zehnte bewilligte Antrag betraf ein psychiatrisches Leiden.

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