23. Juli 2019
Organisationen mit festen Mitgliedsbeiträgen verlieren seit Jahrzehnten an Zuspruch: Das gilt für politische Parteien, für Gewerkschaften, für kirchliche Verbände – und für die großen Kirchen. Die Kirchengemeinschaften der Reformation verstanden sich seit jeher als politisch, im Deutschen Kaiserreich genauso wie in der Bundesrepublik. Auch die römisch-katholische Kirche erinnert manchmal an eine politische Partei, der sogar nun die Rede vom christlichen Abendland unheimlich geworden zu sein scheint.
Über Reformen in der Kirche möchten einige Katholiken nun nachdenken, über eine Reform des deutschen Kirchensteuersystems anscheinend aber nicht. Dieses Forum fehlt, warum eigentlich? Die Arbeitsgruppe, die sich mit solchen strukturellen Fragen beschäftigen könnte, fehlt. Auch Protestanten würde das interessieren. Nirgends funktioniert die große Ökumene besser als hier: Wir rütteln offiziell an vielem, aber am System der Kirchensteuer halten wir fest. Vielleicht kämen einige Schwestern und Brüder der getrennten Kirchen sogar ins Grübeln, wenn römisch-katholische Christen in Deutschland nun sagen würden: Wir können Aufbruch!
"Kirchensteuer 2.0" – die Zeit ist reif. Wir wünschen uns, mit Papst Franziskus, eine "arme Kirche für die Armen" – für die armen Sünder, für die Gläubigen, die wissen: Wir sind Bettler vor Gott. Wir deuten also die "Zeichen der Zeit" im "Licht des Evangeliums". Darum denken wir über das Kirchensteuersystem jetzt neu nach – macht ihr mit?
Die Resonanz über Kirchenaustritte in Deutschland fiel traditionell bekümmert und besorgt aus. Ein Verband, der Mitglieder verliert, büßt akut und perspektivisch ein – und verliert Geld, Macht und Einfluss. Natürlich sorgt auch der Missbrauchsskandal für Kirchenaustritte, das ist ja gar keine Frage. Doch können die komplexen Ursachen hierfür wirklich so leicht ausgemacht werden? Ist es angemessen, Austritte aus der katholischen Kirche für die herrschende kirchenpolitische Reformagenda zu instrumentalisieren?
Glaubt irgendjemand ernsthaft daran, dass die Umsetzung der Pläne etablierter Kirchenkritiker für einen Masseneintritt in die Kirche sorgen und die bestehende Entwicklung stoppen oder gar umkehren würde?
Wenn Repräsentanten der Kirche, ob Kleriker oder Weltchristen, öffentlich auftreten wie ein Verband von politisch ambitionierten Kulturchristen, verstehe ich gut, wenn sich jemand Gedanken darüber macht: In den USA etwa gibt es keine Kirchensteuer. Scheint unproblematisch zu sein. Die Gläubigen spenden gerne. Amerika, du hast es besser ... Warum soll ich den Mitgliedsbeitrag für eine staatliche Kirchenpartei und ihren Apparat zahlen?
Die Frage ist nicht verboten. In den "Letzten Gesprächen" mit Peter Seewald äußerte sich Benedikt XVI. zur Kirchensteuer: "Ich habe in der Tat große Zweifel, ob das Kirchensteuersystem so, wie es ist, richtig ist. Ich meine damit nicht, dass es überhaupt eine Kirchensteuer gibt. Aber die automatische Exkommunikation derer, die sie nicht zahlen, ist meiner Meinung nach nicht haltbar. … In Deutschland haben wir diesen etablierten und hochbezahlten Katholizismus, vielfach mit angestellten Katholiken, die dann der Kirche in einer Gewerkschaftsmentalität gegenübertreten. Kirche ist für sie nur der Arbeitgeber, gegen den man kritisch steht. Sie kommen nicht aus einer Dynamik des Glaubens, sondern sind eben in so einer Position. Das ist, glaube ich, die große Gefahr der Kirche heute, dass sie so viele bezahlte Mitarbeiter hat und dadurch ein Überhang an ungeistlicher Bürokratie da ist." (Benedikt XVI.: Letzte Gespräche. Mit Peter Seewald. München 2016, 246 f.)
Ich glaube an die eine, heilige, katholische und apostolische Kirche. Aber an der absoluten Notwendigkeit der Kirchensteuer in der bestehenden Form hege ich – wie Benedikt XVI. – begründete Zweifel. Wenn sogar öffentlich bekundete Abweichungen von der gültigen Lehre der römisch-katholischen Kirche aller Zeiten und Orte nicht zwangsläufig zur Exkommunikation führen – warum dann der Austritt aus der Kirchensteuerzahlgemeinschaft? Warum wird über den Nutzen und Nachteil des deutschen Kirchensteuersystems auf den "Synodalen Wegen" nicht diskutiert? Die entscheidende Alltags- und "Sonntagsfrage" lautet doch nicht: Zahlst du Kirchensteuer? Sondern: Glaubst du an Gott und Seine Kirche?
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— CNA Deutsch (@CNAdeutsch) July 18, 2016
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