Papst Franziskus beklagt "Cancel Culture" gegenüber Diplomaten

Neujahrsansprache von Papst Franziskus am 10. Januar 2022
Vatican Media

Papst Franziskus hat am Montag in einer Ansprache an Diplomaten im Vatikan die "Cancel Culture" beklagt, in der ideologisch befeurte Empörungs-Meuten das Leben Andersdenkender zu vernichten suchen.

In seiner jährlichen Ansprache zur "Lage der Welt" am 10. Januar sagte Papst Franziskus auch, dass internationale Organisationen zunehmend eine "spaltende" Agenda verfolgen, die im Widerspruch zu den traditionellen Werten vieler Länder stehen.

"Nicht selten hat sich das Interesse auf Themen verlagert, die aufgrund ihrer spaltenden Natur nicht unbedingt zu den Zielen der Organisation gehören", sagte der Papst den Diplomaten.

"Infolgedessen werden die Tagesordnungen zunehmend von einer Denkweise diktiert, die die natürlichen Grundlagen der Menschheit und die kulturellen Wurzeln, die die Identität vieler Völker ausmachen, ablehnt", so der Papst wörtlich.

"Wie ich bereits bei anderen Gelegenheiten erklärt habe, betrachte ich dies als eine Form der ideologischen Kolonisierung, die keinen Raum für die freie Meinungsäußerung lässt". Die "Cancel Culture" erobere weite Kreise und öffentliche Institutionen, so Franziskus.

Während er wie gewohnt seine Ansprache auf Italienisch hielt, sagte er den Ausdruck "Cancel Culture" auf Englisch.

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In der opulenten Halle seines Apostolischen Palastes sagte der Papst den Vertretern der 183 Staaten, die diplomatische Beziehungen mit dem Heiligen Stuhl unterhalten, dass die "Denkweise", die derzeit in den internationalen Institutionen vorherrsche, dazu führe, dass "jeglicher Sinn für Identität aufgehoben" werde, während man behaupte, die "Vielfalt" zu schützen.

Der Papst sagte: "Es entsteht eine Art gefährliches 'einspuriges Denken', das gezwungen ist, die Geschichte zu leugnen oder, schlimmer noch, sie in den Kategorien der Gegenwart umzuschreiben, während jede historische Situation gemäß einer Hermeneutik der damaligen Zeit und nicht der heutigen interpretiert werden muss."

Franziskus fuhr fort: "Die multilaterale Diplomatie ist daher aufgerufen, wirklich inklusiv zu sein, indem sie die Unterschiede und Sensibilitäten, die die verschiedenen Völker historisch geprägt haben, nicht aufhebt, sondern wertschätzt."

"Auf diese Weise wird sie ihre Glaubwürdigkeit und Wirksamkeit zurückgewinnen, wenn sie sich den kommenden Herausforderungen stellt, die von der Menschheit verlangen, sich zu einer großen Familie zusammenzuschließen, die sich ausgehend von unterschiedlichen Standpunkten als fähig erweisen sollte, gemeinsame Lösungen zum Wohle aller zu finden."

Der Papst nannte keine Beispiele für die Mentalität, die er beklagte. Letzten Monat kritisierte er jedoch ein zurückgezogenes Dokument, das Mitarbeiter der Europäischen Kommission, der Exekutive der Europäischen Union, davon abhalten wollte, das Wort "Weihnachten" und christliche Vornamen zu verwenden.

"Die Europäische Union muss sich die Ideale der Gründerväter zu eigen machen, die Ideale der Einheit und der Größe, und sich davor hüten, den Weg der ideologischen Kolonisierung einzuschlagen", sagte der Papst vor Reportern, als er im Dezember aus Griechenland zurückflog.

In seiner rund 40-minütigen Ansprache gab der Papst wie gewohnt einen persönlichen Überblick über seine diplomatischen Aktivitäten im Jahr 2021 – wobei er wieder einmal die katastrophale Situation der Christen in China nicht erwähnte – und ging dafür auf medial intensive verfielfältigte Themen wie die Coronavirus-Pandemie, Einwanderung und Migrationskrise sowie Klimawandel ein.

Der Papst kritisierte das, was er einen "Mangel an entschlossener Entscheidungsfindung und klarer Kommunikation" seitens der Behörden inmitten der Pandemie nannte, was, wie er sagte, "einen 'sozialen Relativismus' geschaffen hat, der der Harmonie und Einheit abträglich ist".

Der Papst sagte den Diplomaten, die alle Mundschutz trugen, dass er hoffe, dass die Bemühungen verstärkt würden, damit "die gesamte Weltbevölkerung gleichen Zugang zu grundlegender medizinischer Versorgung und Impfstoffen" habe. 

Nachdem er an seine Reisen in den Irak, nach Ungarn und in die Slowakei im Jahr 2021 erinnert hatte, hob der Papst wieder einmal das Thema Migration hervor.

"Ich bin mir der Schwierigkeiten bewusst, die einige Staaten angesichts eines großen Zustroms von Menschen haben. Man kann von niemandem etwas verlangen, was für ihn unmöglich ist, aber es gibt einen klaren Unterschied zwischen einer - wenn auch begrenzten - Aufnahme und einer vollständigen Ablehnung", räumte der Papst ein.

Auch der Tatsache, dass ein ideologischer Einsatz für ungehinderte illegale Migration die Organisierte Kriminalität befeuert und Menschenschmuggler das Geschäft erleichtert, fand indirekt ein vorsichtiges Eingeständnis: Franziskus sagte, Migranten zu einer leichten Beute für Menschenhändler geworden sind.

"Traurigerweise müssen wir auch feststellen, dass Migranten selbst oft zu einer politischen Erpressungswaffe werden, zu einer Art 'Verhandlungsmasse', die sie ihrer Würde beraubt", sagte er. Der Papst nannte keine Länder namentlich, aber die Europäische Union wirft unter anderem Weißrussland vor, Tausenden von Migranten aus dem Nahen Osten zu helfen, über die polnische Grenze in die EU zu gelangen.

Der 85-jährige Pontifex sprach auch über die, wie er es nannte, "massiven Migrationsbewegungen" auf dem amerikanischen Kontinent, die sich auf die Grenze zwischen Mexiko und den Vereinigten Staaten konzentrieren.

"Viele dieser Migranten sind Haitianer, die vor den Tragödien fliehen, die ihr Land in den letzten Jahren heimgesucht haben", stellte er fest und betonte die Notwendigkeit einer internationalen Zusammenarbeit im Bereich der Migration.

Zum Thema Umwelt äußerte der Papst sich enttäuscht über die UN-Klimakonferenz in Schottland.

"Auf der jüngsten COP26 in Glasgow wurden einige Schritte in die richtige Richtung unternommen, auch wenn sie angesichts der Schwere des Problems, mit dem wir konfrontiert sind, eher schwach waren", meinte er.

Der Papst warf neben anderer Krisenregionen auch einen Blick auf Burma, dem südostasiatischen Land, das auch als Myanmar bekannt ist und am 1. Februar 2021 einen Militärputsch erlebte, und ermutigte zu neuen internationalen Anstrengungen, um die Welt von Atomwaffen zu befreien.

In einer möglichen Anspielung auf den Missbrauchskandal und die Vertuschung durch Bischöfe und andere Verantwortliche, von Europa bis zum Skandal in Kanada über Gräber indigener Kinder an katholischen Schulen und Heimen, räumte der Papst sexuelle Gewalt gegen Kinder , Jugendliche und Schutzbedürftige in katholischen Einrichtungen ein.

Er sagte: "Die katholische Kirche hat die Rolle der Erziehung für das geistige, moralische und soziale Wachstum der Jugend immer anerkannt und geschätzt. Es schmerzt mich daher, anzuerkennen, dass es in verschiedenen Erziehungseinrichtungen - Pfarreien und Schulen - zum Missbrauch von Minderjährigen gekommen ist, was zu schwerwiegenden psychologischen und spirituellen Folgen für diejenigen geführt hat, die dies erlebt haben."

"Dies sind Verbrechen, und sie erfordern den festen Willen, sie vollständig zu untersuchen, jeden Fall zu prüfen, um die Verantwortung festzustellen, den Opfern Gerechtigkeit widerfahren zu lassen und zu verhindern, dass sich ähnliche Gräueltaten in Zukunft ereignen." 

Zum Abschluss seiner Ansprache, auf die ein Gruppenfoto mit Diplomaten in der Sixtinischen Kapelle folgte, sagte der Papst "Wir sollten also keine Angst haben, dem Frieden in unserem Leben Raum zu geben, indem wir den Dialog und die Brüderlichkeit untereinander pflegen. Das Geschenk des Friedens ist 'ansteckend'; es strahlt aus den Herzen derer, die sich danach sehnen und danach streben, ihn zu teilen, und breitet sich in der ganzen Welt aus".

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"Jedem von Ihnen, Ihren Familien und den Völkern, die Sie vertreten, erneuere ich meinen Segen und wünsche Ihnen von Herzen ein Jahr der Gelassenheit und des Friedens."

(Vatican Media)

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Übersetzt und redigiert aus dem Original der CNA Deutsch-Schwesteragentur.