Manipulation, Geschenke, Missbrauch: Ein Opfer Bischof Zanchettas erzählt

Bischof Gustavo Zanchetta
ACI Prensa

Einer der ehemaligen Seminaristen, die von Gustavo Zanchetta, dem emeritierten argentinischen Bischof von Orán, sexuell missbraucht worden sind, sagt, der mächtige Prälat habe die ihm unterstellten jungen Männer mit Kleidung, Computern und anderen Geschenken gefügig gemacht, dunkelhäutige Seminaristen diskriminiert und "damit geprahlt, mit Papst Franziskus befreundet zu sein".

"Die Wahrheit ist, dass wir eine schlimme Zeit durchgemacht haben. Obwohl wir alle mit der Vorstellung angetreten sind, Priester zu sein und den Menschen im Namen Gottes zu dienen, haben wir sehr harte Zeiten durchlebt, mit viel Diskriminierung, viel Misshandlung und Schmerz, weil die Kirche versucht hat, alles zu verbergen, was passiert ist", sagte der ehemalige Seminarist, der nur als "M.C." identifiziert wurde, der Journalistin Silvia Noviasky von der Zeitung El Tribuno in einem exklusiven Interview.

"M.C." und ein weiterer ehemaliger Seminarist, der in den Gerichtsdokumenten als "G.G.F.L." bezeichnet wird, gaben an, dass Zanchetta "amouröse Angebote" gemacht und sie gebeten habe, ihm "Massagen" zu geben. Ein argentinisches Gericht befand Zanchetta am 4. März des sexuellen Missbrauchs der beiden Männer für schuldig. Zanchetta wurde zu 4½ Jahren Gefängnis verurteilt.

In dem Interview mit El Tribuno beschrieb "M.C." seine sieben Jahre im Priesterseminar St. Johannes XXIII. unter Zanchetta.

Das Opfer, das heute 28 Jahre alt ist, trat mit 19 Jahren in das Priesterseminar ein. Er sagte, Zanchetta habe eine "ausgewählte Gruppe" von jungen Leuten gehabt, denen er "Jacken, Sweatshirts, Computer, Geld" angeboten habe.

"In gewisser Weise gehörte ich zu dieser Gruppe, aber ich wollte mich nicht zu allem hinreißen lassen, was er tat", sagte er.

Viele der Seminaristen in der Gruppe stammten aus armen Familien, sagte er. "Ich komme auch aus einer Familie, die manchmal nicht genug zu essen hatte, und mit diesem Wissen hat er viel manipuliert", sagte das Opfer. "Er drückte dich, wo du am schwächsten warst."

Ein 'Freund des Papstes'

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Zanchetta leitete die Diözese Orán im Norden Argentiniens von 2013 bis 2017. Seine Ernennung zum Bischof war eine der ersten, die Papst Franziskus in seinem Heimatland Argentinien vornahm.

Zanchetta trat 2017 aus angeblich "gesundheitlichen" Gründen zurück, und wurde von Papst Franziskus als "Assessor" bei der vatikanischen Güterverwaltung des Heiligen Stuhls (APSA) ernannt. Den Posten gab es vor der Ankunft Zanchettas nicht: Franziskus ließ ihn eigens für seinen Schützling schaffen. Die APSA beaufsichtigt den Immobilienbesitz des Vatikans und andere staatliche Vermögenswerte. Zanchetta wurde später suspendiert und dann inmitten eines kirchenrechtlichen Untersuchungsverfahrens wieder in dieser Funktion eingesetzt. 

Im Interview mit der argentinischen Journalistin schildert "M.C.", wie Zanchetta – der den Papst aus seiner Zeit enger Zusammenarbeit in Argentinien kennt – seine gute Beziehung zu Papst Franziskus als weiteres Mittel der Manipulation genutzt habe.

"Er hat immer damit geprahlt, dass er ein Freund des Papstes ist und dass er mit ihm über uns gesprochen hat", sagte er gegenüber El Tribuno. "Das setzte uns unter Druck, denn er sagte: 'Ich kann dieses Seminar schließen' [und] 'Widersprecht mir nicht, denn ich bin der Bischof.'"

Das Opfer beschrieb Zanchetta als einen "weißen Mann" aus Buenos Aires, der gegen dunkelhäutigere Seminaristen aus nördlichen Gebieten Argentiniens diskriminierte.

"Wir waren praktisch nichts für ihn", sagte "M.C." in dem Interview. "Er diskriminierte auch gegen Seminaristen, weil sie dick oder 'alt' waren; es gab 30-jährige Seminaristen, die er wie alte Männer behandelte, weil sie 'nutzlos' waren."

Die Entscheidung, die Öffentlichkeit zu informieren

Nach Angaben von "M.C." begann er gegen Ende seiner Zeit im Priesterseminar nach einem Gespräch mit einem Priester, Zanchettas Missbrauchsverhalten besser zu verstehen.

"Ich öffnete meine Augen und erkannte, was wir durchgemacht hatten", sagte er der Zeitung. "Wir wurden sehr manipuliert, wir verstanden nicht die Dimension von allem, was er getan hatte und wie sein Prozess der Manipulation begann, von unbedeutenden Dingen bis hin zu [sexuellem Fehlverhalten]."

"M.C." sagte in dem Interview, dass einige Seminaristen "traurig" waren, als Zanchetta seinen Rücktritt ankündigte, und fügte hinzu: "Aber ich habe nichts gespürt."

"[Zanchetta] fragte mich, wie ich mich fühle. Als ich ihm sagte, dass ich ruhig sei, wurde er wütend, weil er wollte, dass ich weine, aber ich fühlte keine emotionale Bindung, zumal ich bereits wusste, was er getan hatte und dass er in der Nuntiatur kirchenrechtlich angezeigt worden war", sagte er.

Im Februar 2019 beauftragte die Bischofskongregation Erzbischof Carlos Alberto Sánchezj von der Diözese Tucumán, Argentinien, mit einer vorläufigen kanonischen Untersuchung der Vorwürfe gegen Zanchetta wegen sexuellen Missbrauchs und Machtmissbrauchs. Nach Abschluss der Untersuchung wurde der Fall an die Kongregation für die Glaubenslehre weitergeleitet.

"Als ich beschloss, ihn zu melden, war ich mir nicht sicher, ob ich das Richtige tat. Es gab so viel Druck in der Kirche, man sagte: 'Tu nichts, es ist nichts passiert, die Dinge waren nicht so, wie du sagst'", erklärte er.

"Manchmal sagten mir die Priester und der Bischof (Luis Escozzina von der Diözese Orán), dass ich übertreibe, und heute ist mir klar, dass sie versuchten, alles zu vertuschen und zu verharmlosen. An einem Punkt dachte ich, ich sei verrückt. Es gab so viel Druck, weil sie [diese Ideen] in meinen Kopf gebohrt haben."

"M.C." sagte, er sei ein Risiko eingegangen, indem er Zanchetta bei den Zivilbehörden anzeigte.

"Ich hatte kein Geld, um einen Anwalt zu bezahlen, und ich wusste nicht, welcher Anwalt in diesem Fall wirklich das Risiko auf sich nehmen würde, denn es ging darum, einer kirchlichen Autorität die Stirn zu bieten", sagte er in dem Interview. "Deshalb bewundere ich wirklich den Mut der Staatsanwältin (Soledad Filtrín Cuezzo), die das Risiko auf sich nahm und uns bis zum Schluss verteidigte."

Nach der Verurteilung Zanchettas sagte der ehemalige Seminarist: "Unsere persönliche Arbeit geht weiter, die Arbeit, die Wunden zu heilen, die ein Leben lang bleiben werden und die sehr schwer zu heilen sind".

Bis zum heutigen 14. März haben weder der Vatikan noch Papst Franziskus eine Stellungnahme zu Zanchettas Verurteilung abgegeben.

Übersetzt und redigiert aus dem Original der CNA Deutsch-Schwesteragentur. 

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