Fideismus und Feinsinn: Papst Franziskus legt Schreiben über Blaise Pascal vor

Blaise Pascal um das Jahr 1690.
Wikimedia (CC BY-SA 3.0)

Papst Franziskus hat am heutigen Montag einen Brief über einen großen Mathematiker und Schriftsteller veröffentlicht, der wichtige Beiträge zu den wissenschaftlichen und theologischen Debatten im Frankreich des 17. Jahrhunderts geleistet hat.

Unter dem Titel Sublimitas et Miseria Hominis (Die Erhabenheit und das Elend des Menschen) leistet das Dokument - hier der Volltext - eine Interpretation der Beiträge des französischen Denkers Blaise Pascal. Anlass ist der 400. Jahrestag des Geburtstags des tiefgründigen Philosophen, der 1662 im Alter von nur 39 Jahren in Paris starb.

Ein unbefangener Katholik? 

Das Apostolische Schreiben bietet im Namen von Papst Franziskus eine aktuelle Interpretation der Person Pascals an — einem Wissenschaftler und bekehrten Katholiken, der unter anderem mit sehr spitzer Feder gegen den moralischen Verfall der Jesuiten in seinen Briefen schrieb.

Für einen Papst, der als Jesuit über Pascal schreibt, ist das zumindest eine Erwähnung wert, und der am 19. Juni veröffentlichte Brief erklärt: Auslöser für Pascals Kritik an den Jesuiten sei eine alte Kontroverse "über die Beziehung zwischen der Gnade und der menschlichen Natur", die in der Mitte des siebzehnten Jahrhunderts wieder aufgeflammt war.

Über diese Diskussion zwischen den Jansenisten (der Seite Blaise Pascals) und den Jesuiten heißt es im heute vorgelegten Schreiben weiter, dass das Apostolische Schreiben nicht der Ort sei, "diese Diskussion wieder zu eröffnen".

Allerdings schreibt der Pontifex, er wolle Pascal "die Unbefangenheit und Aufrichtigkeit seiner Absichten" zugutehalten.

Doch worum geht es dann? Im Schreiben aus dem Vatikan geht es um das Verhältnis Pascals — und seine Bekehrung — zum katholischen Glauben, sowie eine Sicht des Christentums insgesamt. 

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Pascals Werk zu lesen bedeute "nicht in erster Linie, die Vernunft zu entdecken, die den Glauben erhellt; es bedeutet, sich in die Schule eines Christen von außergewöhnlichem Verstand zu begeben, der umso besser eine Ordnung zu ergründen wusste, die als Gabe Gottes über die Vernunft gestellt ist", schreibt Papst Franziskus.

Der Wissenschaftler Pascal habe erkannt, dass der Blick auf die Wahrheit eben nicht nur ein wissenschaftlicher sei. 

Mehr noch: "Pascal hat sich nie damit abgefunden, dass einige seiner Mitmenschen nicht nur Jesus Christus nicht kennen, sondern es aus Trägheit oder aufgrund ihrer Leidenschaften verschmähen, das Evangelium ernst zu nehmen", so das Schreiben an anderer Stelle.

Fideismus und ein feinsinniger Geist

Blaise Pascal, schreibt Papst Franziskus, schütze "vor falschen Lehren, Aberglaube oder Ausschweifungen, die so viele von uns von dem dauerhaften Frieden und der dauerhaften Freude dessen fernhalten, der will, dass wir das Leben und das Glück wählen und nicht den Tod und das Unglück". 

Den Ursprung dieser Leistung sieht Franziskus im Verhältnis des französischen Denkers zur Vernunft, auch und gerade mit Blick auf den Glauben.

Mit Verweis auf Benedikt XVI. heißt es im Schreiben, die katholische Tradition habe "von Anfang an den sogenannten Fideismus abgelehnt, also den Willen, auch gegen die Vernunft zu glauben. In diesem Sinne ist Pascal zutiefst der 'Vernünftigkeit des Glaubens an Gott' verpflichtet". 

Der berühmteste Beitrag Pascals — seine Wette — ist ein fideistisches Argument für die Existenz Gottes.

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Die pascalsche Wette besagt folgendes: Es ist vernünftiger, an Gott zu glauben — auch wenn man nicht sicher ist ob er existiert oder nicht —, weil man im Falle seines Daseins alles gewinnen und im Falle seines Nichtdaseins nichts verlieren würde.

Er lädt also Atheisten ein, den Glauben an Gott als eine kostenfreie Wahl zu sehen, die eine potentielle Belohnung mit sich bringt.

Diese berühmte Wette ist fideistisch, weil sie nicht auf rationalen Beweisen für die Existenz Gottes beruht, sondern auf einer pragmatischen Entscheidung, die auf dem Erwartungswert des Gewinns oder Verlusts basiert.

Mit anderen Worten: Der Gedanke ist eine Form des Fideismus, weil er den Glauben von der Vernunft unabhängig macht und ihn als persönliches Wagnis darstellt: Pascal wendet sich an diejenigen, die von den traditionellen Gottesbeweisen nicht überzeugt werden können, und bietet ihnen eine alternative Strategie an.

Im heute veröffentlichten Schreiben heißt es: "Weder der geometrische Geist noch das philosophische Denken versetzen den Menschen in die Lage, allein zu einem sehr scharfen Blick auf die Welt und auf sich selbst zu gelangen".

Franziskus fährt fort: "Wer sich auf die Details seiner Berechnungen beschränkt, genießt nicht den Überblick, der es ihm ermöglicht, 'alle Prinzipien zu entdecken'. Dies ist das Verdienst des 'feinsinnigen Geistes' (esprit de finesse), dessen Verdienste Pascal ebenfalls hervorhebt, denn, wenn man versucht, die Wirklichkeit zu erfassen, 'muss man das Problem auf einmal, mit einem einzigen Blick erfassen'".

Der Pontifex betont in seinem Schreiben: "Nur die Gnade Gottes ermöglicht dem Herzen des Menschen den Zugang zur Ordnung der göttlichen Erkenntnis, zur Liebe."

"Mögen [Pascals] großartiges Werk und das Beispiel seines Lebens, das so tief in Jesus Christus eingetaucht war, uns helfen, den Weg der Wahrheit, der Bekehrung und der Liebe bis zum Ende zu gehen", endet das Dokument.

Christus in der Eucharistie

Über das Verhältnis von Glaube und Vernunft hat der heilige Papst Johannes Paul II.  mit Fides et Ratio eine maßgebliche Enzyklika veröffentlicht. Das Schreiben verwirft den Fideismus.

Johannes Paul II. verweist darin an zwei Stellen auf den Beitrag Blaise Pascals. Einmal unterscheidet der heilige Papst aus Polen "zwei Aspekte der christlichen Philosophie: einen subjektiven, der in der Läuterung der Vernunft durch den Glauben besteht. Als göttliche Tugend befreit er die Vernunft von der typischen Versuchung zur Anmaßung, der die Philosophen leicht erliegen. Schon der hl. Paulus, die Kirchenväter und Philosophen wie Pascal und Kierkegaard, die uns zeitlich näher sind, haben sie gebrandmarkt."

Mit der Demut gewinne der Philosoph auch den Mut, sich mit manchen Problemen auseinanderzusetzen, "die er ohne Berücksichtigung der von der Offenbarung empfangenen Erkenntnisse kaum lösen könnte." 

Daneben stehe der objektive Aspekt, der die Inhalte betrifft: "Die Offenbarung legt klar und deutlich einige Wahrheiten vor, die von der Vernunft, obwohl sie ihr natürlich nicht unzugänglich sind, vielleicht niemals entdeckt worden wären, wenn sie sich selbst überlassen geblieben wäre". 

Johannes Paul erklärt aber auch, was Pascal mit dem heiligen Kirchenlehrer Thomas von Aquin vereint: 

"Christus ist in der Eucharistie wahrhaftig gegenwärtig und lebendig, er wirkt und handelt durch seinen Geist, doch wie der hl. Thomas richtig gesagt hatte: 'Du siehst nicht, du begreifst nicht, aber der Glaube bestärkt dich jenseits der Natur. Was da erscheint, ist ein Zeichen: es verbirgt im Geheimnis erhabene Wirklichkeiten'. Ihm pflichtet der Philosoph Pascal bei: 'Wie Jesus Christus unter den Menschen unerkannt geblieben ist, so unterscheidet sich seine Wahrheit äußerlich nicht von den allgemeinen Meinungen. Und so ist die Eucharistie gewöhnliches Brot'".