Wie Krimiserien im Fernsehen religiöse Klischees prägen

Ausschnitt aus Folge „Nonnenlos“ (2019) aus der Serie „Hubert ohne Staller“
Screenshot von YouTube

Die Darstellung von Religion in deutschen ARD-Krimiserien wirft viele Fragen auf. Im Interview mit CNA Deutsch beleuchtet Autor und Experte Beat Föllmi die oft problematischen Stereotype über das Christentum und deren Einfluss auf das öffentliche Bild gläubiger Menschen.

Gab es bei Ihrer Analyse Momente, in denen Sie selbst überrascht waren?

Was mich besonders überrascht und auch persönlich betroffen gemacht hat, war, wie negativ religiöse Menschen generell dargestellt werden. Wenn religiöse Menschen nicht Pfarrer oder Pastoren sind (also „offizielle“ Vertreter von Religionen), werden sie grundsätzlich negativ wahrgenommen. In der Folge „Engel 07“ (2017) aus der Serie „Rentnercops“ bringt es die gläubige Frau Fröbel auf den Punkt: „Ich bin es mir gewohnt, dass man mich wegen meines Glaubens nicht ernst nimmt. In diesem Land sind wahrhaft Gläubige seit Jahrzehnten eine Randgruppe zum Witze drüber zu machen.“ Nur ist Frau Fröbel tatsächlich eine Witzfigur: intellektuell beschränkt, äußerlich ungepflegt, mit einer Vorliebe für barocke Kitschengel. Ein Polizist in der Serienfolge meint, ihre Religiosität sei eine Folge der Wechseljahre.

Bei der Witzfigur bleibt es aber leider nicht. Religiöse Menschen werden als freudlose Miesmacher dargestellt, sie sind fanatisch, moralinsauer, böse und nicht selten sogar verbrecherisch. Viele Serienfiguren morden aus religiösen Motiven.

Können Sie einige besonders auffällige Beispiele aus Serien nennen, die verdeutlichen, wie antikirchliche Klischees oder religiöse Themen dargestellt werden?

Ein besonders eklatantes Beispiel für ein antikirchliches Klischee ist die Folge „Tödliches Schweigen“ (2019) aus der Serie „Wapo Bodensee“. Hier wird ein Männerkloster als Hort des Bösen gezeigt: Alles ist finster, unheimlich, gruselig. Möglicherweise haben sich die Serienmacher an der Verfilmung von Umberto Ecos „Name der Rose“ orientiert, nur handelt die Serienfolge nicht im Mittelalter sondern heute. Im Kloster hat sich ein Killer der ehemaligen rumänischen Securitate eingenistet und organisiert von seiner Zelle aus einen lukrativen Frauenhandel. Der Abt ist naiv, salbungsvoll und völlig ahnungslos; er hat keinerlei Übersicht über das Treiben seiner Mönche. Die Botschaft der Serienfolge steht so ganz in der Tradition des Antiklerikalismus, wie er seit dem späten 19. Jahrhundert verbreitet ist: Hinter den Klostermauern lauert das Böse, das Verbrechen – geschützt durch das Schweigen der Kirche.

Aber nicht nur die katholische Kirche steht im Fokus der Kritik. In der Folge „Tod unter dem Kreuz“ (2017) aus der Serie „Alles Klara“ wird eine evangelische Kirchgemeinde in Quedlinburg gezeigt. Der Pastor und die männlichen Gemeindemitglieder arbeiten mit auffällig großem Engagement für die Renovation der baufälligen Kirche – doch wie sich herausstellt nur deshalb, weil sie von einer bösen, bigotten Frau erpresst werden, da sie alle über eine Seitensprung-App fremdgegangen sind. Das heile Familienleben des Pastors und der Einsatz der Gemeindemitglieder für die kirchliche Gemeinschaft sind also nur Fassade: Dahinter stehen Lüge, Heimlichtuerei und Ehebruch.

Freikirchen und andere religiöse Gemeinschaften außerhalb der Landeskirchen werden oft pauschal als „Sekten“ abgewertet. Hier herrschen Manipulation, Geldgier und Machthunger. Ein besonders groteskes Beispiel ist die „Kirche des blutenden Herzens Mariä“ aus einer Folge von„Mord mit Aussicht“ (2010). Hier sind die Mitglieder entweder abgrundtief böse oder in einem Fall auch schwer geistig behindert.

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Wie erklären Sie sich, dass antikirchliche Stereotypen in diesen Krimis so häufig und unreflektiert reproduziert werden?

Krimiserien sind Produkte der populären Kultur, und Stereotypen gehören da wesentlich zum Genre. Auch andere gesellschaftliche Gruppen kriegen in den Krimiserien ihr Fett ab: Lehrer sind immer streng, Professoren immer überheblich, Politiker immer korrupt. Im Falle der Religionen könnte auch noch ein weiterer Faktor eine Rolle spielen: Religiöse Praxis übt auf Außenstehende offensichtlich eine gewisse Faszination aus. Was bewegt religiöse Menschen? Weshalb handeln sie „irrational“? Weshalb üben sie Verzicht? Dieses Geheimnisvolle und Unerklärliche kann rasch in Ablehnung umschlagen, das heißt hinter dem Mysterium muss etwas Dunkles stecken. Besonders negative Klischees über Religionen stammen zudem aus Grusel- und Zombiefilmen, in denen das Transzendente nur in Form des Bösen erscheint (Geister, Untote, Vampire).

Warum wird Ihrer Meinung nach das Christentum in diesen Serien oft lächerlich gemacht, während andere Religionen weitgehend ausgespart bleiben?

Das Christentum zu attackieren hat in unserer europäischen Kultur seit der Aufklärung eine lange Tradition: Feuerbach, Marx, Nietzsche, Freud. Die Frage ist jedoch, gegen was sich die Kritik richtet: Handelt es sich um die religiösen Institutionen und deren Missbräuche, dann ist das Mittel der Ironie durchaus angebracht. Macht man sich allerdings über den inneren, religiösen Kern einer Religion lustig, dann wird es in jedem Fall problematisch. Wenn der clowneske Polizist Staller in „Hubert und Staller“ geweihte Hostien vom Altar knabbert und kräftig mit Messwein hinunterspült, wird eine Grenze erreicht, wo meiner Meinung nach praktizierende Katholiken irritiert oder sogar brüskiert werden. Ich kann mir nicht vorstellen, dass Vergleichbares beim Judentum oder dem Islam gewagt würde, denn dann würde sofort der Vorwurf des Antisemitismus oder der Islamophobie im Raum stehen. Hier reagiert die Öffentlichkeit sehr empfindlich, und die Serienmacher wollen da nicht anecken.

Interessant ist die Darstellung des Islam, der in keiner Folge in seiner religiösen Dimension gezeigt wird, sondern nur im Zusammenhang des islamistischen Terrors – wobei dieses Bild letztlich immer wieder dekonstruiert wird: der „terroristische Islam“ als eine Konstruktion der deutschen Mehrheitsgesellschaft. Ein augenfälliges Beispiel dafür ist die Folge „Der Anschlag“ (2015) aus der Serie „Großstadtrevier“, wo ein junger radikalisierter Muslim mit allen möglichen Klischees gezeigt wird (Fanatismus, Gewalt, Intoleranz, Machismus) – aber es handelt sich eben um einen „Biodeutschen“, der zum Islam konvertiert hat.

Was sagt die Darstellung des Klosterlebens in diesen Serien über das gesellschaftliche Verständnis von Askese und Spiritualität aus?

Verzicht ist in einer Konsumgesellschaft eine unverzeihliche Sünde, eine wahre Provokation. Vielleicht ändert sich das zukünftig ein wenig im Zuge des neuen Bewusstseins, das der Klimawandel und das ökologische Desaster vorbereiten. Dass Menschen bewusst verzichten – auf materielle Güter, persönliche Freiheit, gelebte Sexualität –, ist unserer Lebenswelt diametral entgegengesetzt, wo Gewinn- und Lustmaximierung die obersten Prinzipen darstellen. Askese wird mit Lebensfeindlichkeit oder sogar mit psychischer Erkrankung gleichgesetzt – und nicht mit Befreiung vom Zwang, sich durch materielle Güter glücklich machen zu müssen. Schwester Lara aus der Folge „Nonnenlos“ (2019) der Serie „Hubert ohne Staller“ ist ein Musterbeispiel eines solchen Gegenentwurfs zur Mehrheitsgesellschaft: Die junge Frau stammt aus einem geradezu pathologischen familiären Milieu und hat mit Männern nur sehr schlechte Erfahrungen gemacht, so dass sie sich nun in die Arme ihres „Bräutigam Jesus“ flüchtet. Besonders bedauerlich ist es zudem, dass die Serienmacher für die spirituelle Seite des Klosterlebens keinerlei Verständnis aufbringen können. Mönche und Nonnen werden als verbittert, hartherzig, bigott und unerträglich salbungsvoll dargestellt. Beten und Singen ist nichts als liebloses und fanatisches Herunterleiern.

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Sie sprechen in Ihrem Buch von einem „eklatanten religiösen Analphabetismus“. Wie könnte man Ihrer Ansicht nach diesem Phänomen in der Medienlandschaft entgegenwirken?

Religiöser Analphabetismus hat verschiedene Gründe. Wie Religionssoziologen festgestellt haben, findet seit längerem keine religiöse Transmission mehr statt. Religiöse Inhalte und religiöse Praxis werden nicht mehr von einer Generation an die nächste weitergegeben. Unter dem Vorwand, sie sollen einmal selber über ihre Religion entscheiden, wachsen Kinder in einem religiösen Vakuum auf. An den Schulen werden ebenfalls kaum mehr religiöse, insbesondere christliche Themen behandelt, offensichtlich aus Rücksicht gegenüber anderen Religionen, um Proselytismus zu vermeiden.

Die Tagesmedien berichten naturgemäß eher von den negativen Aspekten der Religion: fanatische Abtreibungsgegner, religiös motivierte Homophobie, islamistische Terroristen, Missbrauchsskandale im Priestermilieu. Viel weniger beachtet wird in den Medien das Engagement von Kirchen oder anderen religiös geprägten Institutionen und Gruppen. So hört man beispielweise sehr wenig von den Aktivitäten der Freikirchen und Pfingstler, beispielsweise im Hinblick auf soziale Integration. Anstatt immer nur von den wachsenden Kirchenaustritten aus den Landeskirchen zu berichten, könnte man den Blick auf zahlreiche dynamische kirchliche Gruppen lenken, die in unserer Gesellschaft aktiv sind.

Es wäre auch eine Überlegung wert, weshalb spirituelle Praxis dann sehr positiv dargestellt wird, wenn sich um fernöstliche Religionen handelt, jedoch äußerst abschätzig berichtet wird, wenn es um das Christentum geht (Rosenkranzbeten zum Beispiel).

Warum wird der Zölibat immer wieder als Angriffspunkt in den Serien genutzt?

Freie sexuelle Entfaltung gilt in unserer Gesellschaft als wichtiges Lebensziel. Das ist ohne Zweifel ein Erbe der 68er-Generation. Sexueller Verzicht oder Enthaltsamkeit hingegen werden als geradezu pathologisch betrachtet. Deshalb eignet sich der Zölibat besonders gut als Projektionsfläche. Dahinter stehen auch voyeuristische Züge: Wie hält das der Priester denn aus? Ist nicht vielleicht alles bloß Fassade, bloß Heuchelei? So wird in den ARD-Krimiserien ein angehender katholischer Priester gezeigt, der heimlich ins Bordell geht. Ein weiterer Pfarrer reagiert seine unterdrückten Triebe mit Gartenarbeit ab, wobei er an den Möhren mit der Hand ruckartige Bewegungen vornimmt, die keinen Zweifel lassen, was der Mann heimlich so treibt. Und nicht zuletzt lässt sich zwischen dem Zölibat und dem sexuellen Missbrauch Jugendlicher leicht ein Zusammenhang herstellen: Priester missbrauchen Kinder, weil sie ihre Sexualität nicht anders entfalten können – auch wenn dies in den von mir untersuchten ARD-Serienfolgen nirgends explizit gesagt wird.

Geradezu sexistische Züge nimmt die Darstellung von Nonnen an. Frauen, die sich durch das Keuschheitsgelübde dem sexuellen Zugriff der Männer verweigern, sind nicht bloß suspekt, sondern eigentlich „pervers“. In der Folge „Nonnenlos“ (2019) aus „Hubert ohne Staller“ lassen die beiden Polizisten angesichts einer jungen hübschen Nonne ihren sexuellen Fantasien freien Lauf: „Stellen Sie sich die einmal ohne Tracht vor!“

Inwiefern beeinflusst diese Darstellung Ihrer Meinung nach das öffentliche Bild von Christen und der Kirche?

Das ist nicht einfach abzuschätzen. Wie ich im Buch zeige, entspricht die Darstellung von Kirche und gläubigen Menschen offensichtlich dem Bild, das die Gesellschaft davon ohnehin hat (unabhängig davon, ob das auch wirklich stimmt). TV-Serien wollen ja mehrheitsfähig sein. Sie bilden deshalb die Gesellschaft so ab, wie wir glauben, dass sie es sei. Nur dort, wo der „offizielle“ gesellschaftliche Diskurs verletzt werden könnte, weicht die Darstellung von der konstruierten Realität ab – wie beispielsweise bei negativen Bildern des Islam, die wohl in der Gesellschaft verbreiteter sind, als es die Serien zeigen.

Allerdings ist die Darstellung von Christen und der Kirche auch nicht völlig eindimensional und negativ. „Offizielle“ Kirchen, also die beiden großen historischen Konfessionen (Katholiken und Evangelische), kommen besser weg als Freikirchen, meistens „Sekten“ genannt. Esoterische Sinnsucher (vor allem Frauen) werden dagegen fast immer als Spinner und Exzentriker abgetan.

Gefährlich ist meiner Meinung nach vor allem die konstruierte Nähezwischen Religion und Verbrechen. Christen töten in mehreren Serienfolgen aus religiösen Motiven (wenngleich oft auch noch andere Motive wie Habgier im Spiel sind): Die Haushälterin Frau Malinckrodt („Alles Klara“) tötet, um ihren verehrten Pfarrer zu beschützen, die geistig zurückgebliebene Margot („Mord mit Aussicht“) rammt einer Bäuerin einen Pflock in den Schädel und rezitiert dazu den passenden Bibelspruch, die bigotte und moralinsaure Frau Hennig („Morden im Norden“) bringt ihren Mann dazu, den Verfasser von Sexromanen zu erschlagen – die Beispiele ließen sich leicht vermehren.

Gab es in den von Ihnen analysierten Serien auch positive Beispiele, in denen Religion respektvoll oder differenziert behandelt wurde?

Das gibt es glücklicherweise sehr wohl. In der Folge „Ausnahmezustand“ (2017) der Serie „Großstadtrevier“ wird ein Pfarrer gezeigt, der einer notorischen Lügnerin und Kleptomanin blind vertraut, obwohl alles gegen sie spricht. Zwar hat die junge Frau tatsächlich gestohlen, aber durch das Vertrauen des Pfarrers (seinen unerschütterlichen „Glauben“) gibt sie das gestohlene Geld zurück und findet auf den rechten Weg zurück.

Am meisten beindruckt hat mich aber, wie in der Folge „Im Namen des Vaters“ (2013) aus der Serie „Alles Klara“ die tragische Figur eines alten Witwers durch Schicksalsschläge zunächst in religiösen Wahn gestürzt wird, dann aber durch den Zuspruch eines Pfarrers sein Herz gegenüber seinen Mitmenschen öffnen kann und seelisch „geheilt“ wird. Die Umkehr geschieht während eines Gottesdienstes, wo tröstliche Psalmverse verlesen werden. In dieser Folge wird die Ambivalenz von Religion plastisch gezeigt: Sie kann verblendet und verstockt machen, und sie kann öffnen und frei machen. Das ist in diesem Fall sehr gut gelungen.