Versöhnung statt Spaltung: Der Appell von Erzbischof Becker

Erzbischof Hans-Josef Becker von Paderborn.
Wikimedia / Fotostudio Leninger Paderborn - Fotoarchiv Pressestelle Erzbistum Paderborn (CC BY 3.0) / Cvoegtle (CC BY-SA 3.0)

Vor der Gefahr einer Spaltung zwischen Einheimischen und Migranten hat Erzbischof Hans-Josef Becker von Paderborn gewarnt – und zu Versöhnung aufgerufen, wie sie vom Katholizismus gelernt werden kann.

Der Paderborner Oberhirte sprach am gestrigen Donnerstag vor Vertretern der Medien und Publizistik zum Salestag 2018 im Liborianum Paderborn.

So wie Katholiken wissen, sich in der Beichte mit Gott zu versöhnen, so müssen Politik und Gesellschaft wieder Versöhnung lernen, denn dadurch ist ein echter Neuanfang möglich, erklärte Erzbischof Becker – und nicht nur dort: Auch in der Kirche selbst gehe es darum, drohende Spaltungen zu überwinden. 

CNA dokumentiert den vollen Wortlaut der Ansprache, wie sie das Erzbistum Paderborn freundlicherweise zur Verfügung gestellt hat.

Verehrte Damen und Herren der Presse-, Kultur- und Medienwelt! Liebe Mitbrüder!

Ich vermute, dass das abgelaufene Jahr 2017 viele von Ihnen ratlos zurück gelassen hat. Wohin steuert unser Land nach der Bundestagswahl, die keine klaren Mehrheitsverhältnisse brachte und immer noch eine lange Suche nach einer handlungsfähigen Regierung nach sich zieht? Wohin steuert Europa angesichts eines wieder erstarkenden Nationalismus in vielen Ländern? Wohin steuert die ganze Welt, wenn Staatsmänner das Geschehen bestimmen, denen Menschenrechte, Fairness und manchmal schlicht und ergreifend gutes Benehmen reichlich egal zu sein scheinen?

Wer in diesen Tagen regelmäßig Nachrichten schaut, kann leicht das Gefühl entwickeln, dass sich die Weltlage bedrohlich zuspitzt. Für mich besonders beunruhigend ist der Eindruck, dass auch bei uns gesellschaftliche Gruppen immer stärker auseinanderdriften und sich mit ihren Weltanschauungen verständnislos oder sogar feindselig gegenüberstehen. Immer häufiger hört man von der zunehmenden Gefahr, dass unsere Gesellschaft sich weiter spaltet, eine Spaltung, die viele Facetten hat. Zuletzt warnte
Ende des Jahres ein bekannter Wirtschaftswissenschaftler davor, dass eine misslungene Integration von Flüchtlingen zu einer Spaltung zwischen Einheimischen und Migranten führen könne. Ich spüre aber auch eine wachsende Kluft zwischen denjenigen, die eine offene, vielfältige Gesellschaft wollen, und denjenigen, die darin eine Bedrohung sehen.

Natürlich sind zunächst einmal politische, soziale und wirtschaftliche Maßnahmen gefragt, um drohenden Spaltungen entgegenzuwirken. Aber wenn Sie mich als Mann der Kirche fragen, was für mich im derzeitigen gesellschaftlichen und weltpolitischen Klima nottut, dann ist das Versöhnung. Das mag naiv und wirklichkeitsfremd klingen. Aber gibt es eine Alternative, wenn es darum geht, Spaltungen auf friedlichem, konstruktivem Weg zu überwinden? Und können Sie sich erinnern, wann Sie den Begriff „Versöhnung“ in politischen Debatten zuletzt gehört haben?

In der katholischen Kirche ist Versöhnung ein Sakrament, besser bekannt unter dem Begriff Beichte. Wer beichtet, der stellt sich dem, was im eigenen Leben schlecht, schuldhaft, sündig gewesen ist und bekommt Versöhnung zugesprochen. In dem Sakrament liegt also die Möglichkeit einer Befreiung, eines Neuanfangs.

Einen solchen befreiten Neuanfang würde ich mir bei vielen verfahrenen Konflikten und Krisen wünschen: dass sich die beteiligten Konfliktparteien ehrlich der Schuld stellen, die vermutlich auf allen Seiten vorhanden ist, um auf diese Weise einen Weg zur Versöhnung zu finden. Dringend notwendig wäre ein solcher Weg für die Menschen in Syrien, die inzwischen seit sieben Jahren unter einem brutalen Bürgerkrieg leiden, doch gerade da scheint Versöhnung zwischen den Bürgerkriegsparteien ein Ding der Unmöglichkeit zu sein. Das Fatale: Die Welt schaut inzwischen kaum noch hin, hat sich vielleicht auch an die grausamen Bilder gewöhnt. Ich möchte unser heutiges Beisammensein nutzen, um an uns alle zu appellieren, nicht abzustumpfen gegenüber dem Leid in Syrien und mit den uns zur Verfügung stehenden Mitteln, so gering sie auch sein mögen, nicht nachzulassen, wenn es um eine gute Perspektive für das Land geht.

Meine Damen und Herren,

ich habe von dem Wunsch nach Versöhnung gesprochen und möchte in diesem Zusammenhang auch an Sie und Ihre medialen Möglichkeiten appellieren. In seiner Botschaft zum Welttag der sozialen Kommunikationsmittel hat Papst Franziskus zu einem „offenen und kreativen Kommunikationsstil“ aufgerufen, „der niemals bereit ist, dem Bösen eine Hauptrolle zuzugestehen, sondern versucht, die möglichen Lösungen aufzuzeigen“. Wenn ich Ihnen dieses Zitat von Papst Franziskus vortrage, möchte ich Sie keinesfalls zu einer beschönigenden Darstellung von Leid und Unrecht aufrufen, das viel zu viele Menschen in dieser Welt ertragen müssen. Im Sinne des Papstes geht es mir darum, dass das Böse und das Unrecht in dieser Welt nicht das letzte Wort haben dürfen und dass die „schlechten Nachrichten“ nicht in einen Fatalismus führen, der keine Auswege mehr erkennen lässt und schlimmstenfalls Menschen nur noch mehr gegeneinander aufhetzt.

Papst Franziskus ergreift hier wohl unbewusst Partei für die aus Dänemark kommende Bewegung „constructive news“, die sich dazu verpflichtet, bei Berichten über Probleme und Konflikte immer auch mögliche Lösungen in den Blick zu nehmen. Es geht darum, die gegenwärtige Lage zum Anlass zu nehmen, um über eine bessere Zukunft nachzudenken. Und ich möchte hinzufügen: Vielleicht gehört es heute auch dazu, über Wege zur Versöhnung nachzudenken. Unüberwindlich sind Spaltungen dann, wenn man diejenigen auf der anderen Seite des Spaltes für unerreichbar hält. Und ich glaube, dass Sie, verehrte Damen und Herren der Medienwelt, Möglichkeiten besitzen, um Brücken zu bauen. Dazu möchte ich Sie ausdrücklich ermutigen.

Meine Damen und Herren,

die Kirche ist überzeugt davon, eine „gute Nachricht“ zu haben, die trotz ihres Alters von 2.000 Jahren nichts von Ihrer Aktualität eingebüßt hat. Denn nichts anderes bedeutet das griechische Wort „Evangelium“: „gute Nachricht“. Wenn Sie mich fragen, worin das „gute“ dieser „Nachricht“ denn besteht, dann möchte ich das vorhin Gesagte noch einmal aufgreifen und so antworten: Aus dem christlichen Glauben heraus wird dem Menschen die Möglichkeit einer Umkehr, eines Neuanfangs, einer Versöhnung nie verwehrt. Wie für den „verlorenen Sohn“ aus dem berühmten Gleichnis sind die Arme Gottes für jeden Menschen weit offen – ich sage dies auch im Bewusstsein, dass die Kirche in ihrer Geschichte und Gegenwart dieser Überzeugung nicht immer gerecht wurde und selbst der Vergebung Gottes bedarf.

Und so bin ich überzeugt, dass der Glaube an diesen vergebenden Gott die Kraft gibt, sich aus Erfahrungen des Scheiterns und Versagens zu erheben, Hass und Feindschaft zu überwinden, umzukehren, neu anzufangen und Neues aufzubauen. Ein christlicher Glaube, der das Evangelium wirklich im Herzen trägt, ist ein Mittel gegen Depression und Hoffnungslosigkeit, in die zu fallen es sicherlich viele Gründe geben kann. Ich sage dies mit Blick auf die Hoffnungslosigkeit, die man angesichts der zugespitzten Weltlage empfinden kann. Ich sage dies aber auch mit Blick auf die Situation, in der sich die Kirche befindet (Gefahr der Resignation).

Dass wir angesichts des gesellschaftlichen Wandels, eines um sich greifenden Glaubensschwundes sowie zurückgehender Gläubigen- und Priesterzahlen vor großen Herausforderungen und Umbrüchen stehen, ist bekannt. Hinzu kommt, dass die Rolle der Kirche in unserem Land verstärkt angefragt wird. Beispiele dafür sind Kritik am flächendeckenden Religionsunterricht sowie öffentlich geäußerter Unwille, wenn wir uns an politischen Debatten beteiligen. Das ist zunächst einmal eine Situation, die traurig machen kann, müde und hoffnungslos. Und auch bei uns gibt es die Gefahr von Spaltungen, gerade wenn es um die Frage geht, wie mit dieser Situation am besten umzugehen sei.

Aber dass die Möglichkeit der Versöhnung, des Neuanfangs, der Umkehr zum Wesen unseres Glaubens zählt, macht mir Mut. Einen besonderen Mut machenden Impuls durfte ich und mit mir viele Teilnehmerinnen und Teilnehmer beim Diözesanen Forum in Unna erfahren. Ende September des vergangenen Jahres haben wir dort zwei Tage lang intensiv über die Zukunft der Kirche im Erzbistum Paderborn diskutiert. Natürlich gab es dort Kontroversen, natürlich wurden dort auch Probleme deutlich, natürlich gab es unterschiedliche Meinungen. Trotzdem haben wir, besonders auch in der beeindruckenden gemeinsamen Feier der Heiligen Messe, ein versöhntes Miteinander erlebt, das uns zuversichtlich nach vorne blicken lässt. Jedenfalls hat eine Befragung der Teilnehmerinnen und Teilnehmer ergeben, dass eine überwältigende Mehrheit die Zukunft des Erzbistums optimistisch sieht. So gestärkt, gehen wir 2018 Schritt für Schritt auf unserem Weg der Bistumsentwicklung weiter.

Für das neue Jahr wünsche ich Ihnen und allen, die Ihnen nahe stehen, Gottes reichen Segen.