Das Unerhörte des christlichen Glaubens: Aschermittwochpredigt von Kardinal Koch

Der Türknauf mit der Signatur Karls des Großen am Haupteingang der Kirche am Campo Santo
Der Türknauf mit der Signatur Karls des Großen am Haupteingang der Kirche am Campo Santo
EWTN / Paul Badde
Der Campo Santo von der Kuppel des Petersdoms gesehen.
Der Campo Santo von der Kuppel des Petersdoms gesehen.
EWTN / Paul Badde
Die Schmerzhaft Gottesmutter in der Kirche
Die Schmerzhaft Gottesmutter in der Kirche
EWTN / Paul Badde
Der Schweizer Kardinal Kurt Koch ist Präsident des Päpstlichen Rates zur Förderung der Einheit der Christen. Der ehemalige Bischof von Basel hat über 60 Bücher und Schriften verfasst, darunter Mut des Glaubens (1979) und Eucharistie (2005).
Der Schweizer Kardinal Kurt Koch ist Präsident des Päpstlichen Rates zur Förderung der Einheit der Christen. Der ehemalige Bischof von Basel hat über 60 Bücher und Schriften verfasst, darunter Mut des Glaubens (1979) und Eucharistie (2005).
EWTN / Paul Badde

"Mit der heutigen Feier des Aschermittwochs und dem Empfang der Asche beginnen wir die Österliche Busszeit", so Kardinal Kurt Koch in seiner Predigt heute in der Kirche Santa Maria della Pietà am Campo Santo Teutonico im Vatikan. 

Der Präsident des Päpstlichen Rates zur Förderung der Einheit der Christen erinnerte daran, dass im Mittelpunkt der nun beginnenden Busszeit "jene Zumutung" stehe, "die der Priester beim Auflegen des Aschenkreuzes ausspricht": Die Umkehr zu Gott.

Die "elementare Botschaft" dieser Zeit ist Versöhnung, betonte Kardinal Koch. Der Schweizer Theologe und Würdenträger hob drei Perspektiven der Lesung vom Tage beim Apostel Paulus (2 Kor 5,20 – 6,2) hervor, "die uns helfen, den tieferen Sinn der Österlichen Busszeit und des Aschermittwochs als ihrer Ouvertüre zu erspüren und vor allem zu leben".

CNA dokumentiert die Predigt von Kardinal Kurt Koch am Aschermittwoch, 14. Februar 2018 mit freundlicher Genehmigung.

Mit der heutigen Feier des Aschermittwochs und dem Empfang der Asche beginnen wir die Österliche Busszeit. In ihrem Mittelpunkt steht jene Zumutung, die der Priester beim Auflegen des Aschenkreuzes ausspricht: „Bedenke, Mensch, dass du Staub bist und wieder zum Staub zurückkehren wirst.“ Zu diesem Bekenntnis der Hinfälligkeit und Vergänglichkeit des Menschen gehört auch das Eingeständnis der eigenen Schwachheit und der Notwendigkeit der Bekehrung, wie sie mit einer anderen Spendeformel zum Ausdruck gebracht wird: „Kehrt um und glaubt an das Evangelium.“ Im Wissen darum, dass wir von dem Weg abgekommen sind, auf den wir mit unserer Taufe gerufen worden sind, bildet die Umkehr zu Gott die Mitte der Österlichen Busszeit. Ihre elementare Botschaft heisst Versöhnung, wie sie uns der Apostel Paulus in der heutigen neutestamentlichen Lesung vor Augen führt. In diesem wunderbaren Text möchte ich vor allem drei Perspektiven hervorheben, die uns helfen, den tieferen Sinn der Österlichen Busszeit und des Aschermittwochs als ihrer Ouvertüre zu erspüren und vor allem zu leben.

Initiative und Geschenk Gottes

"Gott war es, der in Christus die Welt mit sich versöhnt hat, indem er den Menschen ihre Verfehlungen nicht anrechnete" (2 Kor 5, 19). Mit dieser Aussage legt uns Paulus ans Herz, dass Gott die Initiative zur Versöhnung ergreift und nicht wir Menschen Gott zu versöhnen haben. So müssten wir es mit rein menschlichen Augen zwar erwarten, da wir Menschen gesündigt haben und keineswegs Gott. Die Heilige Schrift aber verkündet uns, dass nicht wir Menschen zu Gott gehen und ihm eine ausgleichende Gabe bringen, um uns mit ihm zu versöhnen, sondern dass Gott auf uns Menschen zugeht, um uns seine Versöhnung zu schenken. Versöhnung ist die unableitbare Initiative, die Gott ergreift, und ein Geschenk, das er allen Menschen und dem ganzen Kosmos macht.

Versöhnung geht so sehr von Gott selbst aus, dass unserer Umkehr zu Gott sogar die Umkehr Gottes zu uns vorausgeht. Diese Priorität wird sehr deutlich in der alttestamentlichen Lesung. Der Prophet Joel lässt Gott sprechen: "Kehrt um zu mir von ganzem Herzen mit Fasten, Weinen und Klagen." Dann aber dreht er die Sinnrichtung dahingehend um, dass es ihn, Gott, da er "gnädig und barmherzig, langmütig und reich an Güte" ist, reut und er umkehrt und seinen Segen zurücklässt. Gottes Umkehr besteht genau darin, dass er sich beinahe selbstbeschwörend daran erinnert, dass er Gott ist und nicht ein Mensch. Er besteht deshalb nicht auf Vergeltung und behaftet sein Volk nicht bei seiner treulosen Vergangenheit. Er steht vielmehr in Liebe zu ihm und schenkt ihm so neue Zukunft.

In dieser Botschaft besteht das Unerhörte des christlichen Glaubens und gleichsam die radikale Wende, die das Christentum in die Religionsgeschichte hinein getragen hat: Gott wartet nicht, bis wir Menschen kommen und uns versöhnen. Aller Erfahrung nach müsste Gott da lange warten. Doch Gott geht uns Menschen entgegen und versöhnt uns, wie es der Vater im Gleichnis vom verlorenen Sohn tut, indem er mit ihm, der nach der Erfahrung des Elends mit zerknirschtem Herzen wieder nach Hause kommt, keineswegs abrechnet und auch nicht Genugtuung einfordert, sondern ihm entgegen läuft. Wenn wir im Licht dieser Botschaft die Österliche Busszeit leben, dann ist die uns zugemutete Umkehr zu Gott nicht einfach eine mühsame Bussleistung, sondern die logische Konsequenz und Antwort des Glaubens auf die versöhnende Umkehr Gottes zu uns Menschen.

Keine billige Versöhnung, sondern Einsatz des Lebens

Diese wunderbare Botschaft wird von Paulus nochmals zugespitzt, wenn er sie mit einer zweiten Aussage vertieft: "Er (sc. Gott) hat den, der keine Sünde kannte, für uns zur Sünde gemacht, damit wir in ihm Gerechtigkeit würden" (2 Kor 5, 21). Das Versöhnungshandeln Gottes in Jesus Christus, das Paulus beschreibt, ist keine billige Angelegenheit, sondern harte Arbeit. Sie ist nichts weniger als konsequente Feindesliebe, wie sie in letzter Tiefe am Kreuz Jesu offenbar geworden ist. Gemäss der menschlichen und allzu menschlichen Logik hätte die Grausamkeit des Kreuzestodes Jesu Rache bis zum Letzten bedeuten müssen, damit die Welt wieder in Ordnung wäre. Gott aber hat am Kreuz Jesu aller Rache und Vergeltung ein klares Ende gesetzt. Denn die einzige "Rache", die Gott kennt und kennen will, ist sein kompromissloses Nein zur Vergeltung und seine Versöhnung bis zum Ende. Das Kreuz ist Gottes Liebe in ihrer radikalsten Form, gleichsam sein grosser Versöhnungstag, der universale Yom Kippur. Denn am Kreuz hat Gott auf die menschliche und menschheitliche Steigerung des Bösen gerade nicht mit Vergeltungsmechanismen reagiert, sondern mit der Steigerung seiner unendlichen Liebe, die auch die Bereitschaft einschliesst, Leiden auf sich zu nehmen.

Darin besteht der innerste Kern der Versöhnung, die nicht einfach ein sentimentales Gefühl ist, sondern den Einsatz des eigenen Lebens verlangt. Denn das Kreuz stellt uns die Ernsthaftigkeit der Versöhnung Gottes in Jesus Christus vor Augen. Am Aschermittwoch werden wir mit dem Aschenkreuz bezeichnet, und damit wird uns die ernste Verheissung zugesprochen, dass wir das Zeichen des Kreuzes an uns tragen und am Kreuz unseres Herrn in unserer Taufe Anteil erhalten haben. Wir sind damit eingeladen und herausgefordert, in der Österlichen Busszeit uns in das Geheimnis des Kreuzes zu vertiefen, es zu meditieren und es auch in unserem eigenen Leben wirksam werden zu lassen, um auf diesem Weg glaubwürdige Antwort auf die Botschaft von Gottes liebender Versöhnung geben zu können.

Botschafter der Versöhnung sein

"Wir sind Gesandte an Christi statt, und Gott ist es, der durch uns mahnt: Wir bitten an Christi statt: Lasst euch mit Gott versöhnen" (2 Kor 5, 20). In dieser dritten Perspektive, auf die Paulus aufmerksam macht, wird die glaubenslogische Konsequenz sichtbar, die sich aus dem Versöhnungshandeln Gottes in Jesus Christus ergibt: Wenn wir Christen das Geschenk der Versöhnung empfangen und uns von Gott versöhnen lassen, dann sind wir auch berufen und verpflichtet, Gottes Versöhnung zu verkünden, für die Versöhnung zu arbeiten und als Botschafter der Versöhnung zu wirken, und zwar in der Art und Weise, wie Gott Versöhnung vollzieht.

Indem Gott die Initiative zur Versöhnung ergreift, wird uns erstens die Einsicht zugemutet, dass Versöhnung auch unter uns Menschen nur dort möglich ist, wo jemand den ersten Schritt wagt, und zwar gerade im Kreislauf der gegenseitigen Aufrüstung, wie er in den menschlichen Beziehungen und menschheitlichen Verhältnissen immer wieder zu beobachten ist: Da rüstet die eine Seite nach in der Annahme, die andere Seite habe vorgerüstet, und der Kreislauf der Aufrüstung hört nicht auf, bis einer den Mut hat, anzufangen aufzuhören. Versöhnung beginnt bei Gott und zwischen uns Menschen immer mit dem ersten Schritt des einen und setzt sich damit fort, dass auch der andere eingeladen wird, sich auf denselben Weg zu begeben.

Wie bei Gott Versöhnung aus Liebe geboren ist und er in erster Linie Versöhnung nicht von uns fordert, sondern sie uns schenkt, so setzt zweitens Versöhnung in uns Menschen, denen sie zugemutet wird, einen inneren Weg voraus, nämlich Heilung von Verletzung und Teilnahme am Schmerz der Heilung. Versöhnung ist immer Frucht einer Umkehr, einer Wandlung des eigenen Herzens und eines neuen Denkens; und diejenige Kraft, die solches vermag, ist die Liebe.

In diesem Sinn sind wir berufen, Ambassadoren der Versöhnung zu sein und die Menschen zu bitten, und zwar mit der Autorität Christi selbst, sich mit Gott versöhnen zu lassen. Glaubwürdig können wir diesen Ambassadorendienst der Versöhnung nur wahrnehmen, wenn wir uns selbst von Gott versöhnen lassen und als Versöhnte leben. Denn Versöhnung ist in erster Linie nicht eine Forderung an uns Menschen, die uns erfahrungsgemäss schnell überfordert, sondern eine Konsequenz des Glaubens, der befreit, und damit die christliche Antwort auf jene Versöhnung, die Gott schenkt: aus Gnade und damit gratis. Dieses Geschenk dürfen wir uns in der Österlichen Busszeit wieder neu gefallen lassen und daraus leben.

Wenn wir uns auf dieses Geschenk einer Zeit der Gnade einlassen, dann werden wir die Erkennungszeichen der Österlichen Busszeit, die uns im heutigen Evangelium als Fasten, Beten und Almosengeben vor Augen gestellt werden, nicht einfach als mühsame Busswerke empfinden und als blosse Pflichtübung vollziehen, sondern als elementare Hilfen, das kostbare Geschenk der Versöhnung Gottes mit uns Menschen anzunehmen und es mit unserer Bereitschaft zur Busse, der neuen Zuwendung zu Gott zu verdanken. In dieser Haltung der Dankbarkeit dürfen wir heute das Aschenkreuz empfangen. Es erinnert uns ans unsere Vergänglichkeit und zugleich an den Gott des Lebens, der an Ostern den Tod zum zweitletzten Wort entmachtet und dem Leben den Primat gegeben hat. Das Aschenkreuz erinnert uns auch an unser Versagen und unsere Schuld und zugleich an den Gott der grenzenlosen Liebe, der uns Menschen auch in der Erfahrung der eigenen Verlorenheit aufsucht und findet und bei dem es prinzipiell keine hoffnungslosen Fälle gibt. Mit dem Zeichen des Aschenkreuzes beginnen wir die Österliche Busszeit, die im Zeichen der Versöhnung steht, jener kostbaren Perle, die uns im christlichen Glauben gegeben und zugleich aufgegeben ist und die wir in der Eucharistie feiern dürfen.

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