Kirche und Staat – Kirche und Gesellschaft: Tagung der Ratzinger Schülerkreise

Udo di Fabio über "Grenzen des Rechts: Zur metaphysischen Beziehung notwendiger Ordnungen"

Papstpalast mit den Domen der Sternwarte in Castelgandolfo
Wikimedia / H. Raab (CC BY-SA 4.0)

In diesem Jahr gab es in Castel Gandolfo ein kleines Jubiläum zu begehen. Nachdem auf Initiative von Papst Benedikt XVI. im Jahre 2008 erstmals eine kleine Gruppe junger Theologen in das Bergstädtchen am Rande des Albaner Sees eingeladen worden war, um am jährlichen Treffen des Schülerkreises des ehemaligen Professors und Kardinals teilzunehmen, konnte man anlässlich der diesjährigen Tagung vom 7. bis 9. September 2018 bereits auf zehn Jahre gemeinsamer Zusammenkünfte zurückblicken. Seit damals hat sich zweifelsohne viel ereignet und in der Begegnung der Schülerkreise entwickelt. So nimmt beispielsweise der emeritierte Papst seit seinem Amtsverzicht (2013) zwar nicht mehr an den Treffen teil, gibt aber für jedes Jahr das Leitthema der Tagung vor und steht mit großem Interesse am Fortgang der Arbeiten in engem Kontakt mit den Mitgliedern der beiden Schülerkreise. Zudem hat sich im vergangenen Jahr der Neue Schülerkreis auf Bitte Benedikts als eingetragener Verein konstituiert, um auf einer guten rechtlichen Basis auch auf Zukunft hin seine Theologie zu durchdringen und sie in ihren Charakteristika durch Symposien, Publikationen und andere wissenschaftliche Formate, vor allem aber in der Art des eigenen theologischen Denkens und Arbeitens zu fördern sowie auf dieser Grundlage das Gespräch mit herausragenden Wissenschaftlern und Wissenschaftlerinnen der Gegenwart zu suchen.

Das Jubiläum wurde fast unbemerkt und ganz im Stil der Theologie und der Spiritualität von Joseph Ratzinger / Papst Benedikt begangen. Man mag dabei an die bekannte benediktinische Grundregel des Ora et labora denken. Eingerahmt durch das geistliche Programm des kirchlichen Stundengebets, der täglichen Messfeier und der Möglichkeit zum stillen Verharren in der Kapelle des Tagungshauses, stand neben den zahlreichen Gesprächseinheiten, die sich den aktuellen theologischen Fragen und den eigenen Arbeiten und Projekten ebenso widmeten wie dem Austausch persönlicher und kirchlicher Erlebnisse, der Samstag als eigentlicher Tagungstag im Zentrum der Zusammenkunft. Er war dem Thema „Kirche und Staat – Kirche und Gesellschaft“ gewidmet. 

Den Tag, der mit der Kirche als Festtag „Mariä Geburt“ begangen wurde, eröffnete nach dem Morgenlob die Eucharistiefeier, die Kardinal Kurt Koch, Protektor des Neuen Schülerkreises, zelebrierte. In seiner bemerkenswerten Predigt entwickelte er eine kleine Theologie des Geburtstages, der in der Sicht des Glaubens eine Relativierung erfahre und erst mit dem Todestag als dem „Geburtstag zum ewigen Leben“ seine eigentliche und endgültige Bedeutung erhielte. Das werde auch an der Tatsache deutlich, dass die Kirche in ihrem liturgischen Kirchenjahr nur drei Geburtstage feiere (neben der Geburt Jesu Christi an Weihnachten die Geburt Johannes des Täufers und der Gottesmutter Maria), da bei ihnen bereits über dem Eintritt in diese Welt mit Blick auf das Geheimnis der Menschwerdung das Licht der Ewigkeit erstrahle. Ansonsten spiele bei den Heiligen das Verständnis ihres Todestages als Eintritt in das Licht ewiger Herrlichkeit die maßgebende Rolle.

Der Vormittag stand dann ganz im Zeichen des detailreichen Vortrags von Professor Dr. Dr. Udo Di Fabio (Jg. 1954), langjähriger Richter des Bundesverfassungsgerichts (1999-2011) in der Nachfolge von Paul Kirchhof und aktuell Professor am Institut für Öffentliches Recht (Abteilung Staatsrecht) der Rheinischen Friedrich-Wilhelms-Universität Bonn. Unter dem Titel „Grenzen des Rechts: Zur metaphysischen Beziehung notwendiger Ordnungen“ entwarf der weit über die Grenzen der Rechtswissenschaft bekannte Jurist und Träger zahlreicher Auszeichnungen (u.a. „Reformer des Jahres 2005“ durch die F.A.Z., Hanns Martin Schleyer-Preis, Großes Verdienstkreuz der Bundesrepublik Deutschland) seine Perspektive der Jurisprudenz auf der Grundlage von Glaube und Vernunft. 

An die Gastgeber gerichtet bemerkte er, dass Benedikt XVI. als Person dafür steht, was er als Theologe vertritt, die Einheit von Glaube und Vernunft. Basierend auf dieser Einheit entwickelte Di Fabio seine Hermeneutik: „Wenn Glaube und Vernunft eine Einheit des Unterschiedenen bilden, dann muss es möglich sein, vom Glauben auf die Welt zu schauen und von der säkularen Wissenschaft auf theologische Gehalte, mit Respekt vor dem Eigenwert der anderen Ordnung“. Dieser Blick eröffnete den Teilnehmern die Grundthese des Referenten vom „metaphysischen Defizit“ heutiger Rechtswissenschaft im Zusammenhang einer nachweisbaren partiellen Dysfunktionalität des Rechts. Die säkulare Wissenschaft habe sich aus dem Bereich des Transzendenten verabschiedet und das Recht habe den lange Zeit geltenden prozeduralen Charakter seiner Entwicklung verlassen. Di Fabio verfolgte hier einen systemtheoretischen Ansatz. Recht werde revidiert, verändert, vergrößert und somit stets komplexer. Gerade diese Ausdifferenzierung des Rechts, die letztlich jedoch in nicht wenigen Bereichen zu seiner Nichtbeachtung führe (z.B. Stabilitätsregeln der EU; das Schengen- bzw. Dublin-System, …), mache das metaphysische Defizit erkennbar. Jede ausdifferenzierte Wissenschaft brauche aber zu ihrer notwendigen Begrenzung einen Gegenpol. Das Recht bedürfe somit einer erneuerten Sicht auf die Quellen seiner Erkenntnis, die ihm Anspruch und Wirkkraft verleihen. 

Unter Zustimmung zu dem von Joseph Ratzinger / Papst Benedikt XVI. insbesondere auch in seiner Regensburger Rede (2006) beschriebenen Verhältnis von Glaube und Vernunft und ihres unterschiedenen Aufeinanderverwiesenseins plädierte Di Fabio deshalb für eine verstärkte Sichtbarmachung tragender Grundlagen des Rechts, die sich sowohl aus dem Glauben als auch aus der denkerischen Kraft des Menschen und damit aus der Verantwortung gegenüber seiner geschenkten Freiheit entwickeln. Als Beispiele führte er den Gottesbezug in der Präambel des Bonner Grundgesetzes sowie die verfassungsrechtliche Struktur der Staatsgewalt an. Das Grundgesetz mit seinem Verweis auf die Würde des Menschen sei der

Versuch gewesen, vor die Aufklärung zurückzugreifen, wo im Renaissance-Humanismus das Menschenbild auf der Grundlage der Gottesebenbildlichkeit formuliert wurde. Auf der Grundlage einer Verschränkungsbeziehung von hellenistischer Philosophie und Offenbarung sollte so die Metaphysik in die Jurisprudenz hineingenommen werden. Gemäß Di Fabio stehen Glaube und Religion nicht außerhalb der Welt, sind aber ebenso wenig mit ihr kongruent. Die Kirche muss sich deshalb zur Vermeidung einer Selbstgefährdung ihres Glaubens stets in eine begründete Distanz zur Welt und Politik begeben, gleichzeitig sie jedoch zu durchdringen versuchen. Die Überlegungen des Referenten wurden im Anschluss an den Vortrag mit großer Zustimmung bedacht, zugleich aber auch in einer lang anhaltenden und konstruktiven Diskussion einer kritischen Sicht unterzogen.

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Am Nachmittag standen dann Kurzreferate und Statements im Mittelpunkt der Arbeit, die inhaltlich den thematischen Leitfaden vom Vormittag fortsetzten. So entwickelte Prof. Dr. Christoph Ohly, 1. Vorsitzender des Neuen Schülerkreises e.V., unter dem Titel Gesunde Laizität. Staatskirchenrechtliche Dimensionen eines Schlüsselbegriffs im Denken von Joseph Ratzinger / Benedikt XVI. wesentliche Leitlinien dieser kirchlichen Vision des Verhältnisses von Kirche und Staat in der heutigen Zeit. Er betonte dabei insbesondere die Auswirkungen der recht verstandenen Trennung von Kirche und Staat sowie ihrer sinnvollen Kooperation (Gaudium et Spes, 76) für den einzelnen Gläubigen wie für die kirchliche Gemeinschaft. Schließlich sprach u.a. P. Prof. Dr. Vincent Twomey SVD, Mitglied des Schülerkreises, über das Verhältnis von Kirche und Politik im Kontext der Aussagen von Joseph Ratzinger, nicht zuletzt vor dem Hintergrund der Situation in seinem Heimatland Irland.   

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Auch in diesem Jahr konnte jeweils eine kleine Gruppe aus den beiden Schülerkreisen die Begegnung mit dem emeritierten Papst im Monastero Mater Ecclesiae erleben. Er zeigte sich wie immer sehr interessiert an den Ergebnissen der Tagung und auch an den persönlichen Lebenssituationen und Arbeiten der Mitglieder beider Schülerkreise. Mit Freude und Erwartung darf nun bereits auf das Treffen im kommenden Jahr geblickt werden!

Dr. Josef Zöhrer, Schülerkreis Joseph Ratzinger / Papst Benedikt XVI.

Prof. Dr. Christoph Ohly / P. Dr. Sven Conrad FSSP Neuer Schülerkreis Joseph Ratzinger / Papst Benedikt XVI. e.V.

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