Kardinal Gerhard Ludwig Müller hielt, seinerzeit Präfekt der Kongregation für die Glaubenslehre, am 14. November 2016 einen Vortrag an der Lateran-Universität unter dem Titel "Was bedeutet Reform in der Kirche?" – und wir dürfen begründet annehmen, dass diese eminent wichtig Wortmeldung in den gegenwärtigen Debatten um den "Synodalen Weg" und die "Amazonas-Synode" nicht hinreichend berücksichtigt wird.

Kardinal Müller stellte damals Überlegungen im Vorfeld des Reformationsgedächtnisjahres 2017 an. Diese Betrachtungen haben an Aktualität nichts eingebüßt. Der Kardinal würdigt die Reformatoren insoweit, dass sie zur "Erneuerung der Kirche", aber nicht zu ihrer Selbstsäkularisierung beitragen wollten. Nur kulturprotestantische Stimmen später forderten immer mehr eine Allianz mit der modernen Welt, und darin sind sie neukatholisch inspirierten Geistern unserer Zeit nicht unähnlich.

Müller bestimmt den Begriff "Reform" im katholischen Sinn wie folgt: "Reform bedeutet nicht Veränderung der von Christus seiner Kirche eingestifteten Lebensvollzüge in Martyria, Leiturgia und Diakonia, sondern Erneuerung der Glieder des Leibes Christi im Leben, das vom Haupt auf den Leib seiner Kirche übergeht. ... Erneuerung in Christus ist ein Weg nach vorn – dem kommenden Herrn entgegen, damit wir wie die klugen Jungfrauen dem Bräutigam mit brennenden Lampen entgegengehen und zum Herrn in den Hochzeitssaal eintreten können (vgl. Mt 25,10)."

Müller weist daraufhin, dass der Begriff "Reform" einen Wandel erfahren habe: "In allen historischen Formen der Kirchenreform ging es um die Erneuerung des Christseins und des kirchlichen Lebens und um eine Vertiefung des Glaubens und eine Erneuerung in Christus."

Erneuerung aber werde heute ganz anders verstanden und gedacht, ins Gegenteil verkehrt: "Gegenwärtig versteht man unter den Reformen, die für notwendig gehalten werden, eher eine Verweltlichung der Kirche. Die nicht lebbaren Gebote Gottes sollen auf Ideale reduziert werden, die jeder nach seinem Wissen und Gewissen anstreben kann, aber keineswegs muss, um mit sich ins Reine zu kommen oder im irdischen Sinn sich glücklich zu fühlen. Die Kirche dient nicht mehr der Welt auf ihrem Weg zu Gott, sondern dient sich ihr an, damit sie sich als eine von vielen gesellschaftlichen Initiativen nützlich macht und somit ihr Existenzrecht unter Beweis stellt. Die Kirche ist nur noch eine Weltanschauung zur Kontingenzbewältigung und eine Agentur für soziales Engagement."

Eine ins bloß Menschliche herabgezogene Kirche, die säkulares Glück verheißt, könnte eines Tages vielleicht als Sakrament der Taufe ein wohltemperierte, parfümierte Schaumbäder anbieten. Einzelne Mitglieder der Kirche können stets vom Glauben abfallen, nicht aber die Kirche als Stiftung Jesu Christi: "Wenn aber – wie es katholische Lehre ist – die Kirche nicht von der Offenbarung abfallen kann, dann kann es Reform nur geben in der Gestalt der Erneuerung und der Vertiefung. Protestantisch gibt es eine Reformation der Kirche, also eine tiefgreifende Umformung der Kirche nach Gottes Wort. Katholisch dagegen gibt es nur eine Reform in der Kirche, indem Papst und Bischöfe, Priester und Ordensleute und alle Laien in ihrem Leben aufgerufen sind, ihrer Berufung besser zu entsprechen."

Kardinal Müller fordert eine sensible Wahrnehmung der "Zeichen der Zeit", aber nicht eine Anpassung daran: "Wir können die Kirche nicht reformieren und umgestalten nach unserem Befinden und Gutdünken. Gott ist das Subjekt des Bundesvolkes, das er beruft. Gott stiftet in Christus die Kirche. Er selbst leitet sie als der gute Hirte und erfüllt sie mit seinem Geist und Leben. Nicht wir reformieren die Kirche Gottes und formen sie um nach unserem Bild und Gleichnis, sondern Gott reformiert uns, wenn wir uns in Christus erneuern lassen in unserem Denken und Handeln und ihm gleichförmig werden. ... Es ist die Meinung weit verbreitet, man müsse nur den Priesterzölibat »abschaffen« oder die »viri probati« einführen und schon gebe es keinen zahlenmäßigen Mangel an Priestern mehr. Man müsse nur Frauen zu den heiligen Weihen zulassen und schon kehre beim Thema »Kirche und Frau« Ruhe ein. Man müsse nur die evangelischen Christen zur heiligen Kommunion einladen und schon sei die Einheit im Glauben hergestellt, wenn auch die Lehrgegensätze bleiben und die getrennt bleibenden Kirchen mit diesem sichtbaren Widerspruch zum Willen Christi ein Anti-Zeugnis von der vollen Gemeinschaft in der einen Kirche Christi ablegen. Man brauche nur an die Barmherzigkeit Jesu zu appellieren, und schon hätten wir uns der Unauflöslichkeit der sakramentalen Ehe entledigt, die wir aber damit zu einer rein menschlichen Institution herabwürdigen und womit wir ihren Ursprung im göttlichen Bundeshandeln leugnen. Das sind alles Operationen und Optionen, die mit ihrer Bezeichnung Reformen eine positive Konnotation für sich reklamieren, die aber ... mit der Reform als Erneuerung in der unvergänglichen Neuheit Christi nichts zu tun haben." Kardinal Müller schreibt weiter: "Wenn heute von der Reform der Kirche oder von den Reformen in der Kirche die Rede ist, stellt sich sofort die Frage, was wir tun können und machen sollen. ... Die Orden arbeiten neue Statuten aus und die Theologieprofessoren organisieren Unterschriftenlisten für flammende Manifeste und folgenlose Aufrufe. Das alles ist zu pelagianisch gedacht."

Kardinal Müller appelliert ganz einfach an die Treue zu Christus, zu Seiner Kirche und zum Heiligen Vater – und das ist, nach meinem Verständnis, einfach nur normal katholisch, und eine Verteidigung des Glaubens der Kirche aller Zeiten und Orte. Ein Nachsatz ist erforderlich: Wie wir aber in diesen Tagen erneut erfahren, sind "Unterschriftenlisten" nämlich heute nicht allein eine Domäne progressiv gesinnter Katholiken. Im Nachgang zur Amazonas-Synode haben gemeinhin als konservativ bezeichnete Kleriker und Weltchristen vor wenigen Tagen ein Manifest publiziert, das als Votum gegen Papst Franziskus aufgefasst werden kann.

In dem Schriftstück wird eine "brüderliche Korrektur" des Heiligen Vaters durch Bischöfe auf der ganzen Welt gefordert. Die Initiatoren werben um Unterschriften. Haben Sie schon einmal daran gedacht, einen offenen Brief gegen den Heiligen Vater zu unterzeichnen? Ich nicht. Ungeachtet einer notwendigen theologischen Auseinandersetzung mit manchen unklaren und berechtigterweise kritisierten Vorgängen im Umgang mit dem "Pachamama"-Fruchtbarkeitssymbol im Vatikan – dessen Anwesenheit kein gläubiger Katholik verstehen, billigen, begrüßen oder gar gutheißen muss –, sind die neuen Forderungen mir unbegreiflich. In dem Brief heißt es unter anderem: "Wir fordern Papst Franziskus mit allem Respekt auf, öffentlich und eindeutig für diese objektiv schwerwiegenden Handlungen, die er gegen Gott und die wahre Religion begangen hat, Buße zu tun und für diese Straftaten Wiedergutmachung zu leisten."

Was mich betrifft: Als Kind und Jugendlicher habe ich die Angriffe auf Papst Paul VI. und Papst Johannes Paul II. von Katholiken nicht verstanden. Mich hat das sehr befremdet und traurig gemacht. Später sah ich fassungslos und entsetzt die sprungbereite Feindseligkeit, der Benedikt XVI. im Pontifikat ausgesetzt war. So kann und werde ich nicht verstehen, wie ein einfach gläubiger Christ den Papst aufrufen könnte oder sollte, "öffentlich Buße zu tun" und "Wiedergutmachung" für "Straftaten" zu leisten? So berufen sich die Initiatoren des Protestes auch auf Worte des Regensburger Bischofs Dr. Rudolf Voderholzer, der in seiner Predigt zum Wolfgangsfest am 31. Oktober Klarstellungen zu Formen der Inkulturation vorgelegt und nun auch in einem aktuellen Beitrag auf die Nennung seiner Person in diesem Manifest deutlich reagiert hat: "Mit meiner Predigt beteilige ich mich an dem Ringen um den richtigen Weg der Kirche. Das übergeordnete Ziel dabei ist die Einheit der Christen in Jesus Christus, wahrer Gott und wahrer Mensch, in dessen Person sich Gott den Menschen offenbarte. Vorwürfe, Anschuldigungen oder gar Verurteilungen des Heiligen Vaters mit Internetaktionen gehen an der Sache vorbei und sind nicht der Weg, der zu diesem Ziel führt. Sie sind deshalb auch nicht mein Weg."

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