Studie: Ältere Menschen äußern "veränderbaren" Sterbewunsch – oft wegen Einsamkeit

Für zwei Drittel sei "ein schöner Ort zum Leben" bereits ein wichtiger Grund, nicht sterben zu wollen, so die aufsehenerregende Studie.
Brian McFarland / Unsplash (CC0)

Papst Franziskus hat die aktive Sterbehilfe wiederholt als "Sünde gegen Gott" verurteilt. In Spanien versucht eine linke Minderheitenregierung einen neuen Anlauf,  die Euthanasie zu legalisieren. Nun sorgt eine neue Studie in den Niederlanden für Aufsehen, berichtet das Institut für Biomedizinische Ethik (IMABE).

Laut der repräsentativen Umfrage geben rund 10.000 aller über 55-jährigen Niederländer den Wunsch an, dass sie ihr Leben frühzeitig beenden wollen – auch wenn sie an keiner ernsthaften Erkrankung leiden.

Aber warum? Mehr als die Hälfte leidet an Einsamkeit: 56 Prozent der Betroffenen nennen diese als Grund. 42 Prozent äußern die Sorge, anderen Menschen zur Last zu fallen, 36 Prozent haben Geldsorgen.

Das Ergebnis der kürzlich im Auftrag des Niederländischen Gesundheitsministeriums präsentierten Studie der Universität Utrecht, an der 21.000 ältere Menschen und 1.600 Allgemeinmediziner teilnahmen, hat hohe mediale Wellen geschlagen.

"Wir müssen alles dafür tun, damit diese Menschen wieder den Sinn ihres Lebens finden", sagte Gesundheitsminister Hugo de Jonge in einer ersten Reaktion. Die Niederlande haben 17,2 Millionen Einwohner, im Schnitt ist fast jeder dritte älter als 55 Jahre (32 Prozent).

Hintergrund ist die Debatte, ob in den Niederlanden auch künftig gesunde Menschen aktive Sterbehilfe erhalten dürfen, wenn sie ihr Leben als "erfüllt" ansehen und damit abgeschlossen haben. Die linksliberale Partei D66 plant einen Vorschlag für eine entsprechende Gesetzesänderung.

Das Team von Wissenschaftlern um Els van Wijngaarden vom Institut für Care Ethics an der Universität für Humanistik (UvH) stellte fest: Der Wunsch nach dem frühzeitigen Sterben bei "erfülltem Leben" ist keineswegs so eindeutig sei.

Der Todeswunsch sei "komplex und veränderlich" und werde durch Sorgen, Verschlechterung des Allgemeinzustandes und Einsamkeit verstärkt. Umgekehrt würde der Wunsch nachlassen oder sogar verschwinden, wenn sich die physische, finanzielle oder Lebenssituation der betroffenen Person verbessert – oder wenn sie sich weniger einsam oder von anderen abhängig fühlt.

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Der Begriff "erfülltes Leben" sei jedenfalls zu "rosarot" und "schwammig" für die Probleme, mit denen ältere Menschen, die nicht mehr leben wollen, tatsächlich konfrontiert seien.

Für Studienleiterin van Wijngaarden waren einige Ergebnisse "überraschend". So war man bisher davon ausgegangen, dass "Sterbehilfe" vor allem für gut ausgebildete, selbstbewusste ältere Menschen, die ihr eigenes Lebensende wählen möchten, eine Option sei. Das ist offenbar falsch: Die Hälfte der betroffenen älteren Menschen hat einen niedrigeren sozioökonomischen Status – sind also ärmer.

"Ein Teil dieser Gruppe nennt 'finanzielle Probleme' als einen Faktor, der ihren Todeswunsch verstärkt", erklärt Van Wijngaarden gegenüber dem NRC Handelsblad.

Generell waren die Menschen – zum Großteil Frauen – nicht schwer krank, hatten jedoch körperliche und seelische Probleme. Die Studienautorin betont, dass es wichtig sei, das Sterben aus dem Tabu zu holen: Es sei für Betroffene wichtiger, mit anderen über den Sterbewunsch sprechen zu können, als aktive Sterbehilfe angeboten zu bekommen.

Die Ergebnisse des niederländischen Berichts bringen einige unangenehme Daten ans Licht: "Das Bild vom autonomen, hochgebildeten und finanziell abgesicherten Menschen, der den Tod in einem freien Akt der Selbstbestimmung wählt, ist damit deutlich ramponiert", betont IMABE-Geschäftsführerin Susanne Kummer. So stimme es "sehr nachdenklich, dass mehr als ein Drittel der befragten älteren Menschen finanzielle Probleme hat und mehr als die Hälfte angibt, einsam zu sein", so die Ethikerin. F

Für zwei Drittel sei "ein schöner Ort zum Leben" bereits ein wichtiger Grund, nicht sterben zu wollen.

"Es ist Zeit, dass wir uns von einem abstrakten Autonomiebegriff und damit von einem unrealistischen Bild dessen, was es heißt, Mensch zu sein, verabschieden. Jeder von uns ist immer schon in ein konkretes Umfeld, in Familie und Gesellschaft eingebettet. Hier liegen die Ressourcen, um solidarisch der Schutzbedürftigkeit und den Nöten älterer oder kranker Menschen gerecht zu werden. Tötung ist die falsche Antwort auf Hilfsbedürftigkeit", betont die Wiener Ethikerin Kummer.

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