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Ein "neues deutsches Schisma"? Helmut Hoping über die Krise der Kirche in Deutschland

Der Theologe Helmut Hoping ist Professor für Dogmatik an der Universität Freiburg im Breisgau.

Die Angst geht um vor "einem neuen deutschen Schisma": So titelte diese Woche die Zeitung die "Welt". Ähnliches berichten international das "Wall Street Journal" und andere Medien, nachdem mehrere Bischöfe der Weltkirche diese Sorge öffentlich geäußert haben. Doch ist diese Angst begründet? Bischof Georg Bätzing von Limburg hat diese Woche in einem neuen Interview mit der CNA Deutsch-Partneragentur ACI Stampa betont: "Wir sind eng mit Rom und dem Heiligen Vater verbunden". Dennoch werfen Kontroversen, vom "Synodalen Weg" bis zur Protestaktion am 10. Mai, bei der es um Segnungsfeiern für homosexuelle Verbindungen geht, grundsätzliche Fragen auf – Fragen, die der Freiburger Dogmatik-Professor Helmut Hoping in diesem schriftlich geführten Interview mit CNA Deutsch beleuchtet. 

Professor Hoping, was sind die theologischen Grundlagen des „Synodalen Weges" – und wie manifestieren sich diese in den aktuellen Kontroversen in der Kirche?

Ausgangspunkt des „Synodalen Weges“, der vom Zentralkomitee der deutschen Katholiken (ZdK) und der Deutschen Bischofskonferenz (DBK) getragen wird, waren die Aufdeckung und schrittweise Aufarbeitung des Missbrauchs von Kindern und Jugendlichen durch Kleriker (vor allem durch Priester) der katholischen Kirche sowie die Vertuschung des sexuellen Missbrauchs durch die Bistumsleitungen. Dabei geht man im „Synodalen Weg“ davon aus, dass der sexuelle Missbrauch vor allem durch kirchliche Machtstrukturen begünstigt werde (damit beschäftigt sich das Synodalforum „Macht und Gewaltenteilung in der Kirche – Gemeinsame Teilnahme und Teilhabe am Sendungsauftrag“). Dass sexueller Missbrauch Machtstrukturen voraussetzt, ist evident, trifft aber auch für den sexuellen Missbrauch von Kindern und Jugendlichen außerhalb der Kirche zu. Machtmissbrauch allein erklärt sexuellen Missbrauch nicht, vielmehr spielen her sexuelle Unreife und bestimmte sexuelle Neigungen eine Rolle. Beim sexuellen Missbrauch durch Kleriker in der katholischen Kirche handelt es sich neben dem Phänomen der Pädophilie im engeren Sinne zum größeren Teil um erzwungene homosexuelle Handlungen (Ephebophilie). Die umstrittene, letztlich fragliche Prämisse des „Synodalen Weges“ ist, dass man dem sexuellen Missbrauch durch Kleriker der katholischen Kirche nur mit einem radikalen Abbau von Machtstrukturen, einer substantielle Änderung der katholischen Ehe- und Sexualmoral (vgl. Synodalforum „Leben in gelingende Beziehungen – Liebe leben in Sexualität und Partnerschaft“), der Aufhebung bzw. zumindest Lockerung des Zölibats (vgl. Synodalforum „Priesterliche Existenz heute“) und der Einführung der Frauenordination (vgl. Synodalforum „Frauen in Diensten und Ämtern der Kirche“) begegnen könne. Bei den Mitgliedern des „Synodalen Weges“ und seiner Foren ist zumeist nicht von Veränderung, sondern von „Fortschreibung“ der kirchlichen Lehre die Rede. Eine solide theologischen Grundlage des „Synodalen Weges“ kann ich nicht erkennen. Da sexueller Missbrauch von Kindern und Jugendlichen ein in allen gesellschaftlichen Bereichen anzutreffendes Phänomen ist, kann z.B. die geltende kirchliche Ehe- und Sexualmoral den sexuellen Missbrauch durch Kleriker der katholischen Kirche nicht erklären, auch nicht der Zölibat. Und so entsteht der Eindruck, dass der sexuelle Missbrauch durch Kleriker der katholischen Kirche in Deutschland für eine bestimmte kirchenpolitische Agenda instrumentalisiert wird.   

In welchem Ausmaß fehlt dem „Synodalen Weg“ eine kohärente Theologie der Eucharistie und der Sakramente?

Bei keinem der Foren des „Synodalen Weges“ geht es um die Feier der Eucharistie und eine überzeugende Theologie der Eucharistie. Die Frage der Eucharistie wird nur indirekt im Synodalforum „Priesterliche Existenz heute“ berührt. Doch so wenig wie die Frage der Evangelisierung und der Katechese spielt beim „Synodalen Weg“ der Eucharistieglaube der Kirche eine Rolle. Ganz im Gegenteil: Die Stellung des Priesters in der Eucharistie wird in Frage gestellt, manche meinen, dass die Stellung des Priesters in der Liturgie sexuellen Missbrauch begünstige. Das Synodalforum „Leben in gelingenden Beziehungen“ hat eine Beziehung zur Frage des Ehesakraments. Denn das Forum optiert in der Mehrheit seiner Mitglieder für eine veränderte theologische Sicht nichtehelicher Lebensgemeinschaften und der Segnung gleichgeschlechtlicher Paare und wiederverheirateter Geschiedener. Da Segnungen für die genannten Verbindungen schon seit längerem in gottesdienstlichen Feiern erfolgen und die Feiergestalt dabei deutlich der Feier der sakramentalen Ehe angenähert wird, entsteht ganz offensichtlich die Gefahr der Verwechselung. Einzelne Priester der kirchenpolitischen Aktion #liebegewinnt, die dazu aufruft, am 10. Mai nichteheliche Lebensgemeinschaften, vor allem gleichgeschlechtliche Paare, zu segnen, sprechen sich auch offen dafür aus, das Ehesakraments mittelfristig für gleichgeschlechtliche Paare zu öffnen.   

Inwieweit spielt dabei das Verhältnis von Kirche und Staat in Deutschland eine Rolle?

Das Verhältnis Kirche und Staat spielt beim „Synodalen Weg“ insofern eine Rolle, als ein signifikanter Anteil der Mitglieder des Synodalen Weges“ von Seiten des ZdK direkt aus der Politik oder dem stark politisierten Verbandskatholizismus kommen. Zudem stand die Aufarbeitung des sexuellen Missbrauchs und seiner Vertuschung in der katholischen Kirche von Beginn sozusagen unter staatlicher Beobachtung. Weiter gibt es in Deutschland keine strikte Trennung von Kirche und Staat. Die katholische Kirche hat in Deutschland den Status einer Körperschaft des öffentlichen Rechtes, der gegenüber man den Austritt erklären kann während man aus der einen Kirche Christi, in die man durch die gültige Taufe aufgenommen wird, nicht austreten kann, natürlich kann man sich von ihr unter Umständen weit entfernen. Es ist möglich, dass man aus der sakramentalen Gemeinschaft ausgeschlossen wird, de iure oder de facto. Der de facto Ausschluss aus der Gemeinschaft des sakramentalen Lebens tritt ein, wenn man den Austritt aus der Kirche als Körperschaft des öffentlichen Rechts erklärt. Die anhaltend hohen staatlichen Kirchenaustrittszahlen werden in der katholischen Kirche in Deutschland immer wieder anführt, um die Notwendigkeit der oben genannten grundlegenden Veränderungen, bis hinein in die definitive Lehre der Kirche, zu begründen. 

Und mit Blick auf die USA und deren Konzept der liberal democracy?

Die Situation in den USA ist eine ganz andere als in Deutschland. In der liberal democracy der USA gibt es nicht das, was Kritiker die „hinkende Trennung“ von Kirche und Staat in Deutschland nennen, wozu etwa Religionsunterricht an staatlichen Schulen, die Finanzierung der Gehälter von Bischöfen und Domkapitularen aus staatlichen Mitteln oder die Mittel für katholische Kindergärten und Beratungsstellen aus öffentlichen Haushalten zählen. Andererseits gibt es in den USA, obwohl Staat und Kirche stärker voneinander getrennt sind, gesamtgesellschaftlich gesehen wohl eine breitere Vitalität von Religion und gelebter konfessioneller Zugehörigkeit. Die katholische Kirche in den USA ist spenden- und nicht, wie die katholische Kirche in Deutschland, kirchensteuerfinanziert. Der „United States Conference of Catholic Bishops“ (USCCB) steht in einem anderen Verhältnis zum Staat und sie hat auch eine andere Agenda als die Majorität der Bischöfe der DBK, für die etwa die Aufhebung bzw. Lockerung des Zölibats, die Frauenordination sowie eine Änderung des Ehe- und Sexualmoral, also Themen des „Synodalen Weges“, die Agenda bestimmen. Eine Debatte darüber, ob Politikern, die sich für das Recht auf Abtreibung aussprechen und ihre Politik danach ausrichten, die Kommunion gereicht werden kann oder nicht, wäre unter den deutschen Bischöfen ganz undenkbar. Zugespitzt könnte man sagen, jeder gültig Getaufte, sei er Katholik oder nicht, kann das Sakrament der Eucharistie empfangen, außer er hat – aus welchen Gründen auch immer – den staatlichen Kirchenaustritt erklärt.  

Wie kann die Kirche verbindlich und überzeugend ihre Autorität in der Lehre wie der eigenen hierarchischen Verfassung und Ausübung klären?

In der katholischen Kirche in Deutschland ist dies aufgrund des mit dem sexuellen Missbrauchs und seiner Vertuschung verbundenen Vertrauensverlustes in den Klerus, vor allem in die Bischöfe, aber auch wegen der offensichtlichen Risse im deutschen Episkopat, derzeit kaum möglich. Wird die Vertuschung des sexuellen Missbrauchs nicht konsequent aufgedeckt und beim Namen genannt, und finden die Bischöfe nicht zu einer gemeinsamen Linie zurück, werden die Spaltungen in der katholischen Kirche in Deutschland sich weiter vertiefen. Mögen Kanonisten darüber streiten, ob die katholische Kirche in Deutschland sich kirchenrechtlich gesehen in einem Schisma befindet. Eines ist klar: Innerhalb der katholischen Kirche in Deutschland gib es erhebliche „Spaltungen“. Das griechische Wort, das der Apostel Paulus für die Spaltungen in der Gemeinde in Korinth verwendet, ist „schismata“ (1 Kor 1,10). In diesem Sinne gibt es innerhalb der katholischen Kirche in Deutschland ohne Zweifel schismatische Entwicklungen. Und es zeigt sich immer deutlicher, dass in mehreren Bereichen von kirchlicher Lehre und Disziplin die Gemeinschaft mit dem Papst aufgekündigt wird, etwa wenn Priester gegen das klare Nein der Glaubenskongregation zu Segnungen gleichgeschlechtlicher Paaren, das mit Zustimmung des Papst veröffentlicht erklärt wurde, verstoßen und Bischöfe vorab erklären, dies großzügig zu dulden oder solche Segensfeiern theologisch für möglich und pastoral für notwendig erklären. 

Wie sollen die Gläubigen heute den Unterschied ausmachen können zwischen moralischen Handlungen, die „malum in se“ sind, und solchen, die in den Bereich des umsichtigen Urteilsvermögens fallen?

Die kirchliche Lehre vom „malum instrinsice“ wird – mit wenigen Ausnahmen – weder in der akademischen Theologie noch im Episkopat in Deutschland akzeptiert. Bei den Gläubigen dürfte die Lehre vom „malum instrinsice“ in aller Regel unbekannt sein. Insofern fällt es schwer, die Frage zu beantworten. Die Voraussetzungen dafür, dass die Gläubigen den Unterschied erkennen könnten, fehlen schlichtweg.

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