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Wie die Null-Toleranz-Politik von Franziskus und der Essay von Benedikt zusammengehören

Papst Franziskus und Papst emeritus Benedikt XVI. am 28. Juni 2017.

Weltweite Reaktionen hat das Schreiben von Papst emeritus Benedikt XVI. zu den Skandalen über Sexuellen Missbrauch und die Kirchenkrise ausgelöst. Eine Auseinandersetzung mit den eigentlichen Aussagen des Schreibens leisten wenige. Völlig ignoriert wird der wohl wichtigste Beitrag, sowohl mit Blick auf Schutz und Gerechtigkeit für Opfer als auch zur Bewältigung der Kirchenkrise: Benedikt leistet eine Verknüpfung der Bestrafung von Tätern, wie sie die "Null-Toleranz-Politik" von Papst Franziskus beschreibt, mit dem eigentlichen Auftrag der Kirche – und weist damit einen Weg aus der Krise und in Richtung einer echten Reform.

Die Aufregung ist groß, aber wenig gehaltvoll: Weltliche Medien – und weltliche Stimmen in katholischen Medien – berichten vorwiegend über Benedikts Einordnung der Sexuellen Revolution in seinem weltweit am Freitag in mehreren Sprachen veröffentlichten Aufsatz, und auf eine ebenso verkürzende wie polemische Weise.

HINWEIS: CNA Deutsch veröffentlichte das Schreiben als erstes Medium in deutscher Sprache am vergangenen Freitag. Wer sich ein eigenes Bild machen möchte, kann ihn hier lesen.

Anerkennung für Benedikts Analyse der Kirchenkrise kam vom afrikanischen Kurienkardinal Robert Sarah. Auf Twitter schrieb der Präfekt der Kongregation für den Gottesdienst und die Sakramentenordnung:

"Wir müssen Papst em. Benedikt XVI. danken, dass er den großen Mut gehabt hat, das Wort zu ergreifen. Seine jüngste Analyse der Kirchenkrise scheint mir von kapitaler Bedeutung. Die Auslöschung Gottes im Westen ist schrecklich. Die Kraft des Bösen kommt aus der Ablehnung der Liebe Gottes."

Ähnlich äußerte sich der ehemalige Präfekt der Glaubenskongregation, Kardinal Gerhard Ludwig Müller. Er würdigte in einem Interview mit "kath.net" den Aufsatz als "die tiefgründigste Analyse der Genese der Glaubwürdigkeitskrise der Kirche in Fragen der Sexualmoral".

Eine scharfe Absage erteilte der deutsche Kardinal Versuchen, mit der Missbrauchskrise einen weiteren "Missbrauch" zu begehen, in dem man diese für eine Abkehr von der Lehre der Kirche verwende.

"Die infame Gottlosigkeit, die sich hier aufspreizt, ist nicht zu überbieten, wenn man das Verbrechen und die Todsünde des sexuellen Missbrauchs von Minderjährigen benutzt, um zu ihrer angeblichen Vermeidung homosexuelle Handlungen unter Erwachsenen zu segnen, den Zölibat der Priester und Gelübde der Ordensleute lächerlich zu machen und die Sünden gegen die von Gott verfügte Unauflöslichkeit der Ehe zu bagatellisieren."

Tatsächlich übt auch Benedikts Schreiben Kritik an Versuchen, eine "neue Kirche" zu schaffen. Dieser Versuch sei bereits unternommen worden, so der emeritierte Pontifex. Und er fügt hinzu, dass dieser gescheitert sei.

Aber Benedikt räumt mit seinem Aufsatz auch ein, dass Rom versagt hat. Auf der ganzen Linie, gegenüber den Opfern, sowohl theologisch wie kirchenrechtlich. Und gerade in den vergangenen Jahrzehnten, seit Bekanntwerden des Ausmaßes sexuellen Fehlverhaltens von Kardinälen, Bischöfen und Priestern, des Missbrauchs und dessen Vertuschung. Er stellt nüchtern fest, wie den Opfern und dem katholischen Glauben durch vermeintliche Fortschritte massiver Schaden zugefügt wurde.

Im Mittelpunkt seines neuen Aufsatzes steht daher auch der Aufruf, die Kirche nicht mit ihren Verbrechern gleichzusetzen. Denn die Menschheit braucht die Kirche, so das Argument, und die Kirche muss sich der Verbrecher entledigen, um ihren Auftrag zu erfüllen.

Benedikts Beschreibung des Zusammenbruchs der Moraltheologie infolge der Abkehr vom Naturrecht ist der eine Aspekt. Ein wichtiger Hinweis dabei: Dass damit die Kirche ihre Autorität, auch und gerade in Sexualfragen, aufgelöst hat – beziehungsweise eine Auflösung zugelassen hat.

Der politisch beförderte Versuch einer Inversion der Moraltheologie durch vermeintlich humanwissenschaftliche Erkenntnisse belegt dies mit der eigentümlichen Eloquenz unfreiwilliger Ironie.

Doch leistet Benedikts Essay einen weiteren entscheidenden Punkt – der bislang völlig ausgeblendet worden ist. Dieser betrifft das Kirchenrecht und dessen natürliche wie übernatürliche Funktion. Der ehemalige Papst schreibt, dass der Zweck der Bestrafung der Täter sexuellen Missbrauchs die Erlösung der Seelen ist. Denn die Erlösung ist das höchste Gesetz der Kirche. Und er entwickelt daraus ein Argument für eine "Reform der Reform" des Kirchenrechts.

Der Kirchenrechtler und Leiter der Washingtoner Redaktion von CNA, Ed Condon, erinnert in seiner lesenswerten Analyse daran, dass Benedikts Verweis auf den früheren Kodex des kanonischen Rechts (CIC) maßgeblich ist. Dieser Kodex enthielt eine lange Liste spezifischer Verbrechen, die ein Kleriker begehen konnte - einschließlich einer ganzen Litanei sexueller Straftaten. Das Bild eines "bewusst locker" formulierten Strafrechts in der Neuauflage des CIC im Jahr 1983, und der Umgang damit – bis hin "Nachbesserungen", etwa der Maßnahme, sexuellen Missbrauch durch die Glaubenskongregation verhandeln zu lassen - wirft ein grelles Licht darauf, wie weit sich die Kirche entfremdet hat von ihrem durch Jesus gestifteten Auftrag. Benedikt bringt es auf den ungeheuerlichen Punkt:  

"Der Glaube erscheint im allgemeinen Rechtsbewusstsein nicht mehr den Rang eines zu schützenden Gutes zu haben. Dies ist eine bedenkliche Situation, die von den Hirten der Kirche bedacht und ernstgenommen werden muss."

(Die Geschichte geht unten weiter)

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Wer Opfer schützen, Verbrecher entfernen und die Kirche aus der Krise führen will, der muss aus dieser Sicht eben auch und gerade erst einmal den Glauben ernst nehmen, und seine entscheidende Rolle für das Seelenheil. Mit dieser Forderung sind wiederum die pragmatischen Schritte verknüpfbar, die als Maßnahmen des Krisengipfels von Papst Franziskus vorgeschlagen wurden. Die damalige Rede von Franziskus wurde vielfach kritisiert, aber seine Vorschläge dürfen gerade im Kontext des Essays von Benedikt als potentielle Kontinuität dessen gelesen werden, was eine echte Reform der Reformen bedeuten wird – und den Weg aus der Krise weist.

Anian Christoph Wimmer ist Chefredakteur von CNA Deutsch.

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