Vatikanstadt, 15 Dezember, 2023 / 11:55 AM
Seitdem die islamistische Terrororganisation Hamas am 7. Oktober 2023 Israel angegriffen und mehr als 1.400 Menschen getötet hat, steht nicht nur die diplomatische Haltung des Heiligen Stuhls zum aktuellen Krieg in der Kritik. Einzelne Aussagen von Papst Franziskus sorgten für empörte Reaktionen.
- Die Tränen des Papstes: Warum Franziskus wegen des Krieges in der Ukraine weinte und die Zivilisten im Gaza-Krieg in den Blick nimmt.
- „Gleiche Nähe“ zu beiden Parteien oder „gleiche Distanz“? Inwiefern sich die Vatikan-Diplomatie in einer Zwickmühle befindet.
- Kritik von jüdischer Seite: Belasten die Aussagen von Franziskus das jüdisch-christliche Verhältnis?
- Vatikan setzt auf Zwei-Staaten-Lösung im Palästina-Konflikt
- Wie fruchtbar sind die Friedensbemühungen des Vatikans?
Die Tränen des Papstes
Als Papst Franziskus vor einem Jahr — am 8. Dezember 2022 — vor der weltbekannten Mariensäule unweit der Spanischen Treppe stand und, wie es Tradition ist, am Hochfest der Unbefleckten Empfängnis dort ein Gebet sprechen wollte, wussten die versammelten Amts- und Würdenträger aus Politik und Kirche einen Augenblick lang nicht, was sie jetzt tun sollten. Der Papst, der ein Gebet vorbereitet hatte und es gerade verlesen sollte, konnte nicht mehr. Seine Stimme wurde brüchig, dann brach sie ab. Über die Außenmikrofone konnte man schließlich ein Schluchzen hören: Der Heilige Vater weinte.
Zu diesem Zeitpunkt tobte bereits seit zehn Monaten der bis heute andauernde Krieg in der Ukraine. Immer wieder hatte Franziskus zum Frieden aufgerufen, hatte bei seinen Generalaudienzen ukrainische Kinder auf die Bühne geholt, Hilfstransporte in das Kriegsgebiet geschickt. Und immer wieder hatte er bei politischen Beobachtern auch für Verwirrung gesorgt, wenn er einerseits Russland als Aggressor bezeichnete, andererseits aber auch die NATO und ihre Osterweiterung als mitverantwortlich für die eskalierten Spannungen beschrieb.
Doch wenn es um persönliche Schicksale ging, um das Leid von unschuldigen Kindern und Zivilisten, war sein Standpunkt immer klar. Als Franziskus an jenem 8. Dezember 2022 vor der Mariensäule in Rom in Tränen ausbrach, begannen die Gläubigen spontan zu applaudieren.
Heute vor einer Woche feierte die Katholische Kirche erneut das Hochfest der Unbefleckten Empfängnis. Und erneut stand Franziskus vor der Mariensäule. Er betete: „Mutter, richte deinen Blick der Barmherzigkeit auf alle Völker, die von Ungerechtigkeit und Armut geknechtet und vom Krieg gepeinigt werden“. Und dann fügte der Pontifex hinzu: „Mutter, schau auf das gemarterte Volk der Ukraine, auf das palästinensische Volk und das israelische Volk, die wieder in der Spirale der Gewalt gefangen sind.“ Tränen gab es diesmal keine.
Wird das katholische „Sowohl, als auch“ zum Bumerang?
Papst Franziskus appelliert unermüdlich für Frieden in Nahost, wie auch bei seiner Generalaudienz am vergangenen Mittwoch.
„Ich rufe alle beteiligten Parteien auf, die Verhandlungen wieder aufzunehmen und sich dringend darum zu kümmern, dass humanitäre Hilfen dem Volk in Gaza helfen können, das am Ende seiner Kräfte ist und sie wirklich braucht“, so der Pontifex, der unterstrich: ‚Alle Geiseln müssen sofort freigelassen werden!‘
Als die Terrorangriffe der Hamas am 7. Oktober 2023 begannen, reagierte der Papst am nächsten Tag am Ende des sonntäglichen Angelus-Gebets darauf und forderte, „die Waffenangriffe zu stoppen“. Auch Pierbattista Pizzaballa, der Lateinische Patriarch von Jerusalem, der erst eine Woche zuvor von Franziskus zum Kardinal kreiert worden war, reagierte mit einer öffentlichen Stellungnahme und sprach unter anderem davon, dass es sich um „eine militärische Kampagne auf beiden Seiten“ handle, „die in ihrer Form, ihrer Dynamik und ihrem Ausmaß sehr beunruhigend ist“.
Der italienische Kardinal Matteo Zuppi, der vom Papst auf Friedensmission im Ukrainekonflikt geschickt wurde, betonte kürzlich, die Diplomatie von Franziskus bestehe nicht darin, zu allen Parteien die „gleiche Distanz“ zu haben, sondern „die gleiche Nähe“ zu den Opfern auf beiden Seiten.
Am 22. November sagte der Papst während der Generalaudienz auf dem Petersplatz, er wisse durch die Palästinenser und die Israelis, „wie sehr beide Seiten leiden“.
Wie sehr es Franziskus um „beide Seiten“ geht, zeigte er, als er sich am Morgen vor jener Generalaudienz mit zwei Delegationen aus dem Nahen Osten zum privaten Gespräch traf. Zunächst traf er sich mit zwölf Angehörigen israelischer Geiseln, eine halbe Stunde später empfing er zehn Verwandte von Palästinensern aus dem Gazastreifen wie auch von jenen, die sich zu diesem Zeitpunkt in Israel zu Gefängnisstrafen verurteilt waren.
Auf den ersten Blick scheint das zum Grundsatz des „et … et“ zu passen, des „sowohl, als auch“, zu dem sich Papst Franziskus öffentlich bekannt hat. Heißt: Als Oberhaupt der Kirche versucht sich der Papst nicht auf die Seite einer bestimmten Kriegspartei zu schlagen und nimmt auch im politischen Sinne keine Position ein. Stattdessen bietet er sich als Anwalt der leidenden Menschen, egal auf welcher Seite, als Friedensvermittler an und tut alles, was in seiner Macht steht, um die Waffen zum Schweigen zu bringen — vor allem beten.
Doch gerade dieser Versuch von Franziskus, sowohl das unaussprechliche Leid der israelischen Terror-Opfer vom 7. Oktober zu betrauern und gleichzeitig aber auch auf das Leid der Palästinenser hinzuweisen, stößt auch auf Kritik.
(Die Geschichte geht unten weiter)
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Kritik von jüdischer Seite
Ein Einwand — nicht zuletzt von manchen jüdischen Beobachtern — lautet, dass der Hinweis auf das Leid „auf beiden Seiten“ durchaus bei einer konventionellen militärischen Auseinandersetzung zweier Kriegsparteien gelten mag. Aber gilt das auch bei der Selbstverteidigung eines Landes, ja, eines Volkes, gegen eine Terrorgruppe, die es sich auf die Fahnen schreibt, das Judentum vom Erdball tilgen zu wollen?
Während im öffentlichen Bewusstsein der Schock der schrecklichen Bilder vom 7. Oktober noch immer nachhallt, sind es bereits Nuancen, die die Spannungen im Dialog der Katholischen Kirche mit ihren jüdischen „älteren Brüdern“ (Papst Johannes Paul II.) erschweren können. Im Gespräch mit jüdischen Bekannten ist zu vernehmen, dass bei den Papst-Ansprachen die häufige Erstnennung der Palästinenser vor den Israelis beinahe schon als Affront aufgefasst wird.
Zwischenzeitlich hatten sich diese Spannungen sogar noch weiter zugespitzt. Wie die Nachrichtenagentur „Reuters“ berichtete, habe eine Palästinenserin aus der Gaza-Delegation nach dem oben erwähnten Treffen mit dem Papst auf einer Pressekonferenz geäußert: „Als wir [dem Papst] die Geschichten der getöteten Familien [in Gaza] erzählten, sagte er: ‚Ich sehe den Genozid‘.“
Hatte Franziskus die Gegenoffensive Israels, bei der ja auch Zivilisten getötet werden, tatsächlich als „Genozid“ bezeichnet? „Mir ist nicht bekannt, dass er ein solches Wort benutzt hätte“, ließ Vatikan-Sprecher Matteo Bruni anschließend vermelden. „Er hat Worte verwendet, die er während der Generalaudienz gesagt hat. Worte, die auf jeden Fall die schreckliche Situation widerspiegeln, die in Gaza gelebt wird.“
Doch gerade auch die erwähnte Generalaudienz sorgte für Missstimmung, als Papst Franziskus dort sagte, dass das, was aktuell in jenem Krisengebiet geschehe, kein Krieg mehr sei, sondern „Terrorismus“.
Mehr als 400 Juden aus aller Welt hatten bereits am 12. November einen offenen Brief an den Papst unterschrieben. „Wir verstehen, dass die Kirche aufgrund diplomatischer Erwägungen versucht, politische Neutralität gegenüber dem Krieg im Nahen Osten zu wahren, an dem so viele Mächte beteiligt sind“, heißt es in dem Schreiben.
Mit wiederholten Verweisen auf kirchliche Dokumente, die die besondere Beziehung der Kirche mit dem Judentum hervorheben, fordern die Unterzeichner den Papst auch dazu auf, „das terroristische Massaker der Hamas, das darauf abzielt, so viele Zivilisten wie möglich zu töten, unmissverständlich zu verurteilen und dieses Massaker von den zivilen Opfern des israelischen Selbstverteidigungskrieges unterscheiden, so tragisch und herzzerreißend sie auch sind“.
Vatikan plädiert für Zwei-Staaten-Lösung
Ende November wurde ein viertägiger Waffenstillstand zwischen Israel und der Hamas vereinbart, im Austausch gegen 150 in Israel verurteilte und inhaftierte Palästinenser ließ die islamistische Terror-Organisation 50 israelische Geiseln frei, die sie beim Angriff am 7. Oktober in ihre Gewalt gebracht hatte.
Im Interview mit „Vatican News“ begrüßte der Lateinische Patriarch von Jerusalem, Kardinal Pizzaballa, dieses Abkommen als ersten Schritt, „um nach diesem Krieg eine politische Perspektive für den Gazastreifen zu schaffen“. Pizzaballa machte dabei wiederholt deutlich, dass der Heilige Stuhl als diplomatische Linie für die Zwei-Staaten-Lösung in Gaza plädiert. „Ich habe es bereits gesagt, und ich weiß, dass es vielen Leuten nicht gefallen hat: Man muss den Palästinensern eine nationale Perspektive geben, die sie noch nicht haben“, zitierte „Vatican News“ den Kardinal, der ergänzte: „Dieser Krieg ist ein sehr deutliches Zeugnis dafür, dass die beiden Völker nicht zusammenleben können, zumindest nicht in diesem Moment. Sie müssen eine klare, definierte, präzise Perspektive haben, mehr als es bisher der Fall war.“
Diese Linie des Vatikans ist nicht neu. Bereits 1982 empfing Papst Johannes Paul II. den damaligen Palästinenser-Führer Jassir Arafat im Vatikan, zwölf Jahre später nahmen beide Seiten offiziell diplomatische Beziehungen auf. Am 13. Mai 2015 wurde Palästina vom Heiligen Stuhl schließlich als Staat anerkannt. Beide Seiten unterzeichnen einen Grundlagenvertrag, der nicht nur die Aktivitäten der Kirche in Palästina regeln und die heiligen Stätten der Christenheit in diesem Gebiet absichern soll, sondern auch den Wunsch des Papstes nach Frieden zwischen Israel und Palästina festhält, am besten im Rahmen der Zwei-Staaten-Lösung mit international garantierten Grenzen. Inoffiziell hatte der Vatikan schon im Jahr 2013, kurz nach dem Amtsantritt von Papst Franziskus, vom „Staat Palästina“ gesprochen.
Sind die bisherigen Friedensbemühungen des Vatikans fruchtlos?
Schon bei der Anerkennung des „Staates Palästina“ durch den Heiligen Stuhl hatte sich Israel „enttäuscht“ gezeigt und über einen Sprecher des israelischen Außenministeriums verlauten lassen, dass dieses Abkommen wohl nicht dazu beitragen werde, die politische Führung der Palästinenser zu bindenden Friedensverhandlungen zu bewegen.
Und auch wenn Papst Franziskus weiterhin bei nahezu jedem öffentlichen Auftritt für ein Ende der Gewalt im Heiligen Land aufruft, sorgen die Signale, die bei den jüdischen Vertretern ankommen, weiterhin für Verärgerung. Der Rat der italienischen Rabbiner-Versammlung hatte erst vor drei Wochen die „problematischen Erklärungen von illustren Kirchenvertretern“ kritisiert, „in denen entweder keine Spur einer Verurteilung der Hamas-Aggression zu finden ist oder im Namen einer vermeintlichen Unparteilichkeit der Aggressor und die Angegriffenen auf eine Stufe gestellt werden.“
Bislang zeigt die „sowohl, als auch“-Diplomatie des Vatikans noch nicht den gewünschten Erfolg, so scheint es. Der deutsche Vatikan-Korrespondent Matthias Rüb wies diese Woche in einem Beitrag in der „FAZ“ etwa darauf hin, dass die bisher freigelassenen Geiseln nicht dank der Interventionen des Heiligen Stuhls und seiner Diplomaten freigekommen seien, sondern weil „namentlich Katar und andere Vermittler erfolgreicher“ gewesen seien.
Der Heilige Stuhl gibt die Hoffnung nicht auf, dabei mitzuwirken, das Blutvergießen im Heiligen Land zu beenden; und Kardinalstaatssekretär Pietro Parolin betont zudem das Selbstverteidigungsrecht Israels, solange die „Parameter der Verhältnismäßigkeit“ beachtet werden. „Die Angegriffenen haben das Recht, sich zu verteidigen“, so Parolin bereits im Oktober.
Das Heilige Land ist präsent auf dem Petersplatz in Rom
Sichtbar ist seit dem vergangenen Wochenende in Rom übrigens wieder ein Hauch von Heiliges Land: Auf dem Petersplatz wurde wie jedes Jahr kurz nach dem Hochfest von der Unbefleckten Empfängnis die diesjährige Weihnachtskrippe aufgestellt, die nun bis Anfang Januar jeden Abend gemeinsam mit dem Christbaum beleuchtet wird.
Dieses Jahr zeigt die Krippe eine Jubiläumsversion, da es genau 800 Jahre her ist, als der „Erfinder der Weihnachtskrippe“, der heilige Franz von Assisi, am Heiligabend des Jahres 1223 im italienischen Bergdorf Greccio die erste figürliche Darstellung der Geburt Jesu in Bethlehem der Welt präsentierte.
Die Weihnachtskrippe soll die Besucher des Petersplatzes aber nicht nur an die Geburt des Erlösers erinnern, sagte Papst Franziskus bei der feierlichen Einweihung am 9. Dezember. Nachdenklich gab der Heilige Vater zu Protokoll:
„Wenn wir Jesus, den von Gott geschaffenen Menschen, klein, arm und wehrlos betrachten, können wir nicht umhin, an das Drama zu denken, das die Bewohner des Heiligen Landes heute erleben, indem wir diesen unseren Brüdern und Schwestern, vor allem den Kindern und ihren Eltern, unsere Nähe und geistige Unterstützung zeigen. Sie sind es, die die eigentliche Rechnung für den Krieg zahlen.“
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