Washington, D.C. - Dienstag, 18. August 2020, 10:15 Uhr.
Kardinal George Pell hat über seine Zeit im Gefängnis, die Bekämpfung sexueller Gewalt sowie Korruption im Vatikan gesprochen.
Der australische Prälat war der ranghöchste katholische Geistliche, der jemals wegen sexuellen Missbrauchs verurteilt worden war - bevor ihn der Oberste Gerichtshof in Canberra freisprach. Der Fall erschütterte die Weltkirche wie die australische Justiz, wie CNA Deutsch berichtete.
Nun hat Pell geschildert, wie er während seiner 400 Tage im Gefängnis Hoffnung schöpfte.
"Die Tugend der christlichen Hoffnung ist etwas anderes als der christliche Optimismus. Ganz gleich, wie die Umstände in diesem Leben sind, letztendlich wird alles gut werden. Ein guter Gott hat das Sagen, auch wenn schreckliche Dinge geschehen", sagte Pell, 79, in einem Interview, das am 16. August ausgestrahlt wurde. Das berichtet die "Catholic News Agency", die englischsprachige Schwesteragentur von CNA Deutsch.
Pell war ursprünglich im Jahr 2018 in Australien mehrerer Fälle sexuellen Missbrauchs schuldig gesprochen und verurteilt worden. Am 7. April 2020 hob Australiens Oberster Gerichtshof seine sechsjährige Haftstrafe auf. Der High Court entschied, dass Pell keines der Anklagepunkte hätte für schuldig befunden werden dürfen, und dass die Staatsanwaltschaft begründete Zweifel nicht ausräumen konnte.
Pell verbrachte 13 Monate in Einzelhaft. Während des gesamten Zeitraums durfte der Kardinal nicht einmal die heilige Messe feiern. Unklar ist, ob es noch ein kirchenrechtliches Verfahren der Glaubenskongregation in Rom gegen Pell geben wird. Nach dessen Freispruch rechnen einige Kirchenexperten nicht mehr damit.
Pell sagte, dass er trotz des Unbehagens und der Demütigung, im Gefängnis zu sein, oft vom Anstand und der Professionalität der Mehrheit der Gefängniswärter überrascht gewesen sei, die auch Gespräche mit ihm und anderen Männern in Einzelhaft geführt hätten.
Pells Anmerkungen wurden live im Rahmen der 10. Jahreskonferenz des "Napa Institute" übertragen. Wegen der Pandemie wurde diese heuer vom 14. bis 15. August digital abgehalten.
"Intellektuell und kriminaltechnisch war mir klar, dass mein Fall enorm stark war", sagte er, fügte aber hinzu, dass er auf menschlicher Ebene nicht "optimistisch" gewesen sei. Sein Glaube und sein tägliches Gebet hätten dazu beigetragen, ihn vor Verzweiflung und Verbitterung zu bewahren, sagte er.
Pell sagte, er habe im Gefängnis etwa 4.000 Briefe erhalten. Er habe nur selten geantwortet, außer auf Briefe von Mitgefangenen. Viele seiner Unterstützer schrieben aus den USA; ein paar Frauen aus Texas schickten regelmäßig Briefe, sagte er. Viele seiner Unterstützer baten Pell, für sie zu beten.
Pell sagte, unter normalen Umständen hätte er für die vielen Menschen, die ihn regelmäßig um seine Gebete baten, eine Messe gefeiert.
Während er im Gefängnis war und es ihm verboten war, die heilige Messe zu lesen, sagte Pell, dass er stattdessen sofort ein Memorare an die Jungfrau Maria für das Anliegen der Person betete.
Er sagte, er habe sein Gebetsleben auch durch das Offizium, geistliche Lesungen und das Verfolgen der Messe im Fernsehen jeden Sonntag um 6 Uhr morgens genährt. Er habe sogar evangelikale Prediger aus den USA, wie z.B. Joel Olsteen, im Fernsehen gesehen und "eine theologische Kritik ihrer Bemühungen" in seinem Tagebuch vorgenommen.
Ausserdem schrieb Pell täglich drei Seiten in seinem Tagebuch. Er habe ursprünglich gedacht, dass er drei Monate im Gefängnis sein werde – am Ende waren es 13 Monate.
Er sagte, das Schreiben sei eine gute Therapie für ihn gewesen; er hoffe, dass das, was er schrieb, anderen helfen könne. Der Verlag Ignatius Press plant, im Frühjahr 2021 entweder eine gekürzte Version von Pells Gefängnisjournal, das 1.000 Seiten umfasst, oder den ersten Band des gesamten Textes zu veröffentlichen, teilte der Verleger im Juni mit.
Ein weiteres Thema, das Pell mit großem Interesse aus dem Gefängnis heraus verfolgte: Der nach wie vor aktuelle Finanzskandal des Vatikans, in dessen Zentrum das Staatssekretariat steht. Dabei geht es unter anderem um einen umstrittenen Deal zur Rettung eines in finanzielle Schwierigkeiten geratenen Krankenhauses in Italien sowie um die Investition in eine Londoner Luxus-Immobilie.
Kardinal Pell war von Papst Franziskus zum ersten Leiter der Wirtschaftspräfektur des Vatikans ernannt worden. In dieser Funktion hatte Pell unter anderem dem Kauf des bankrotten Krankenhauses widersprochen. Seine Einwände wurden jedoch nicht berücksichtigt.
Pells Amtszeit als Chef der Präfektur endete offiziell 2019, doch nahm er 2017 eine Beurlaubung von dieser Funktion in Anspruch, um nach Australien zurückzureisen und sich dort der Anklage des sexuellen Missbrauchs zu stellen.
Schon seit einiger Zeit sei es so, dass der Vatikan jedes Jahr Geld verliert, sagte Pell. Im Jahr 2018 hatte der Heilige Stuhl ein Haushaltsdefizit von 70 Millionen Euro in seinem Budget in Höhe von 300 Millionen Euro.
Die COVID-19-Pandemie habe die Situation noch verschlimmert, stellte Pell fest. Vor allem die Vatikanischen Museen haben durch den Mangel an Besuchern einen starken Rückgang der Einnahmen erlitten.
Pell stellte fest, dass der Vatikan auf ein Vermögen - beziehungsweise auf kirchliche Stiftungsmittel - zurückgreifen kann, welches im Vergleich zu vielen großen Universitäten eher gering ist, aber dennoch kurzfristig eine gewisse Entlastung bringen kann.
"Es ist ein wenig übertrieben zu sagen, dass der Vatikan pleite ist. Das ist er nicht", sagte er.
"Aber sie können nicht ewig Geld in dem Maße verlieren, wie sie es tun... Ich habe keine Vorschläge gesehen, die wirklich geeignet wären, entschieden diese finanzielle Herausforderung anzupacken". Es sei auch öffentlich bekannt, sagte Pell, dass der Vatikan ein "sehr bedrohliches und beträchtliches" Defizit in seiner Rentenkasse habe, wie viele Länder in Europa.
Ineffizienz und Korruption hätten dem Vatikan seit Jahren geschadet, sagte er. Als Beispiel nannte er den jüngsten Londoner Immobilienskandal.
Die Kirche sei kein Unternehmen, betonte er; die Verantwortlichen in den Führungspositionen der Kirche müssten sehr entschieden und wachsam gegen Korruption vorgehen.
Dennoch äußerte er sich optimistisch, dass der Wirtschaftsrat des Vatikans - in den Papst Franziskus im April 13 neue Mitglieder, darunter sechs Frauen, berief - bei der Korruptionsbekämpfung erfolgreich sein wird. Dazu brauche er eine "entschlossene Haltung zu den Grundfragen".
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"Die meisten, wenn nicht sogar alle Gauner sind nicht mehr im System dabei", sagte er.
Pell betonte, dass die christliche Vorstellung erlösenden Leidens für ihn ein großer Trost in der demütigenden Erfahrung der Haft gewesen sei.
"Ich war ziemlich zuversichtlich, dass meine kleinen Leiden - und die waren wirklich klein - etwas waren, das ich mit Christi Leiden zum Wohle der Kirche aufopfern konnte", sagte er.
"Ich wusste, dass ich unschuldig war, ich wusste logisch und forensisch, dass ich einen sehr starken Fall hatte, dass ich rehabilitiert werden würde. Doch durch einen spektakulären Fehler waren die obersten Richter in Victoria nicht in der Lage, dies zu erkennen", so der Prälat.
Pell räumte ein, dass die Kirche in vielen Teilen der Welt unter enormem Druck stehe, in Australien vor allem, seiner Meinung nach, durch den Anti-Katholizismus.
Australiens Royal Commission veröffentlichte 2017 einen Bericht über sexuellen Missbrauch Minderjähriger im Land, der das Ergebnis einer fünfjährigen Untersuchung von Institutionen war – einschließlich der Kirche.
Mittlerweile veröffentlichen Abschnitten zufolge – die während der Gerichtsverfahren nur geschwärzt publiziert worden waren – wußte Pell, dass zwei Priester Missbrauch verübten, unternahm jedoch nichts dagegen. Ein Vorwurf, den der Kardinal bestreitet.
In seinem Konferenzbeitrag sagte Pell, die notorischen Verbrechen sexueller Gewalt katholischer Kleriker stellten nicht nur schwere Straftaten dar. Sie machten es auch der Kirche noch schwieriger, in der heutigen Zeit die Frohe Botschaft zu verkünden.
Die Kirche habe schwere Schuld auf sich geladen, betonte Pell. Daran gebe es nichts zu beschönigen. Nicht nur Fälle sexueller Gewalt wurden verübt - sondern auch durch Würdenträger systematisch vertuscht, betonte der Kardinal. Doch die Royal Commission hätte durchaus anerkennen müssen, dass die Kirche in Australien seit den 1990er Jahren erfolgreich mit gezielten Maßnahmen die "Plage" des sexuellen Missbrauchs bekämpft habe, so Pell.
Es sei "ironisch", dass die Kirche am schnellsten dort an Einfluss verliere, wo sie sich am stärksten der Welt anpasse, fuhr der Kardinal fort. Das zeige sich etwa in Belgien und Holland, aber auch "bis zu einem gewissen Grad" in Österreich und der Schweiz.
Trotzdem betonte Pell, er glaube, dass, wenn die Kirche Christus und den Lehren des Evangeliums treu bleibe, auch neue Führungspersönlichkeiten und Erneuerungsbewegungen entstehen wie einst zu Zeiten der Benediktiner, Franziskaner und Jesuiten.
"Widrigkeiten sind nicht unbedingt schlecht für die Kirche. Widrigkeiten können das Beste aus uns herausholen", sagte er.
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