Fulda - Dienstag, 21. September 2021, 14:18 Uhr.
Die deutsche Bischofskonferenz hat heute zu einer "gründlichen und ernsthaften Auseinandersetzung" mit der westlichen Außenpolitik mit Blick auf die Situation in Afghanistan und den Einsatz der Bundeswehr sowie Hilfskräfte wie der Caritas in der Nation aufgerufen.
Am Rande der diesjährigen Herbstvollversammlung sprachen drei Vertreter der Konferenz darüber, dass die Taliban nach dem Abzug der US-Streitkräfte und Allierten aus Afghanistan binnen kurzer Zeit wieder die Kontrolle über das Land erlangten, das nun offiziell als "Islamisches Emirat Afghanistan" bezeichnet wird.
Die christliche Gemeinschaft ist verschwindend klein in dem islamischen Land, in dem Menschen für ihr Bekenntnis zum christlichen Glauben geächtet oder sogar mit Gewalt und Tod bedroht werden können. Im Jahr 2018 gab es schätzungsweise 200 Katholiken in dem Land. Es gibt eine einzige katholische Kirche, die sich in der italienischen Botschaft in Kabul befindet und von der katholischen Mission sui juris in Afghanistan betrieben wird.
Erzbischof Schick: "Müssen uns der Verantwortung stellen"
Der Vorsitzende der Kommission Weltkirche, Erzbischof Ludwig Schick von Bamberg, erklärte, es sei "zu früh", schon jetzt "vom gänzlichen Scheitern des internationalen Engagements" zu sprechen. Dennoch sei das erklärte Ziel, Afghanistan dauerhaft zu stabilisieren, "auch nach 20 Jahren nicht erreicht" worden.
"Demokratische Strukturen haben keine tiefen Wurzeln geschlagen, auch wenn viele sich dies lange erhofft hatten", so Schick weiter. Dennoch habe "eine Generation von Afghaninnen und Afghanen neue Erfahrungen in einer freieren Gesellschaft" machen können. Im Bereich der Bildung habe man Fortschritte verzeichnen können, ebenso habe das Engagement im Bereich der Basisgesundheit dazu geführt, dass es "in einigen Regionen des Landes zu einer beachtlichen Reduzierung der Mütter- und Kindersterblichkeit" gekommen sei. Der Bamberger Erzbischof wörtlich:
"Es sind in den vergangenen Jahren tiefe Beziehungen zwischen der 'westlichen Welt' und Menschen und Organisationen in Afghanistan aufgebaut worden. Damit haben wir Verantwortung füreinander übernommen. Die Beziehungen wurden nun enttäuscht; durch den Abzug haben wir Menschen im Stich gelassen, die sich eine andere Zukunft für ihr Land gewünscht haben. Es ist notwendig, dass wir uns dieser Verantwortung stellen."
Zu dieser Verantwortung gehört es laut Schick auch, sich nicht der Illusion hinzugeben, "dass nicht auch Europa vermehrt zum Zielort schutzsuchender Afghanen werden wird". Im Namen der Bischofskonferenz appellierte Schick deshalb an Deutschland:
"Wir hoffen, dass auch Deutschland zu einer großzügigen Aufnahme von Menschen bereit ist, die wegen ihrer Verbundenheit mit den Werten eines erneuerten Afghanistans gefährdet sind. Solidarität gegenüber Schutzsuchenden bleibt geboten. Sie ist eine menschenrechtliche und allemal eine christliche Verpflichtung."
Militärbischof Overbeck: "Müssen die Soldaten unterstützen"
Bischof Franz-Josef Overbeck von Essen gab als Militärbischof ebenfalls ein Statement ab. Das Erbe des Abzugs der Bundeswehr aus Afghanistan seien "moralische und humanitäre Herausforderungen, die nach Antworten verlangen und im Leid vieler Menschen deutlich werden", so Overbeck.
Seit Beginn des Einsatzes im Jahr 2002 haben die Katholische und die Evangelische Militärseelsorge die Bundeswehr-Soldaten betreut. "Besonders herausfordernd war für viele Soldaten der Umgang mit der permanenten Bedrohungssituation, insbesondere außerhalb der Feldlager", berichtet Overbeck. Insgesamt sind 59 Soldaten getötet worden.
"Viele andere bleiben dauerhaft verwundet an Körper und Seele", mahnte Overbeck. "Das, was die Soldaten im Einsatz erleben und erleiden mussten, prägte und veränderte häufig auch den Lebensalltag vieler Angehöriger in Deutschland". Der Militärbischof wörtlich:
"Die Umsetzung des parlamentarischen Auftrags, sich für Schwächere einzusetzen und dabei mitzuwirken, die Bedingungen für die Menschen in Afghanistan zu verbessern, hatte für zahlreiche Soldaten und ihre Angehörigen einen hohen Preis. Ihr Einsatz und ihr Engagement für Frieden, Stabilität und Gerechtigkeit verdient auch darum unbedingte Würdigung. In der Bewältigung der Folgen muss ihnen jede Unterstützung zuteilwerden, die sie benötigen."
Bischof Wilmer: "Ratlos und wütend"
Bischof Heiner Wilmer von Hildesheim forderte deutscher Regierungsvertreter und Abgeordnete auf, sich die "Zeit für eine gründliche und ernsthafte Auseinandersetzung zu nehmen" – und zwar mit der westlichen Außenpolitik: Der zu große Fokus auf dem vor allem von der US-Regierung nach den Anschlägen des 11. September 2001 proklamierte Krieg gegen den Terror habe nach Ansicht des Bischofs "zu jener verengten Politik beigetragen, deren Scheitern wir gerade erleben".
Es mache ihn "ratlos und auch wütend", so Wilmer, wie die westlichen Kräfte nun auf die Entwicklungen reagiert hätten. Nun seien "Augenmaß, Beständigkeit und die Bereitschaft, sich auch mit unerfreulichen Erfahrungen auseinanderzusetzen und Fehler klar zu benennen" gefragt.
Der Hildesheimer Bischof wörtlich: "Die Fragen, die wir zu besprechen haben, können einen wesentlichen Beitrag zu einer nachhaltigeren Friedens- und Sicherheitspolitik leisten. Dabei kommt es wesentlich darauf an, eine umfassende Perspektive zu entwickeln und nicht allein bei den militärischen Dimensionen des Einsatzes stehen zu bleiben. Denn ich vermute, dieses Engagement ist nicht so sehr militärisch, sondern vielmehr politisch-kulturell gescheitert."
Die Ausführungen der drei Bischöfe bei der heutigen Pressekonferenz wurden ergänzt mit einer Auflistung der Zahlen und Fakten des Hilfswerks Caritas International.
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