Betroffener schreibt Kardinal Marx: "Hören Sie auf, Ihre Verantwortung anderen anzulasten"

Kardinal Reinhard Marx im Pressesaal des Vatikans am 15. Feburar 2017.
CNA/Daniel Ibanez

Der unabhängige Betroffenenbeirat der Erzdiözese München und Freising hat dem amtierenden Erzbischof, Kardinal Reinhard Marx, einen Offenen Brief überreicht, in dem diesem vorgeworfen wird, seine Verantwortung für die Missbrauchskrise nicht wahrzunehmen.

Richard Kick ist selbst Betroffener und Mitglied des Beirats. Er schreibt Marx, dass dieser nun "seine Hirtensorge" wahrnehmen soll – und aufhören, seine Verantwortung anderen anzulasten. Auch Kardinal Joseph Ratzinger, den späteren Papst Benedikt XVI., kritisiert das Schreiben an Marx.

Bei der Veröffentlichung des Münchener Missbrauchsgutachtens am vergangenen Donnerstag wurde dem amtierenden Erzbischof von München und Freising in zwei Fällen ein Fehlverhalten im Umgang mit Missbrauch, sowie ein generelles mangelndes Verantwortungsbewusstsein vorgeworfen (CNA Deutsch hat berichtet).

Verfehlungen stellten die Gutachter auch bei den ehemaligen Erzbischöfen fest. Bei Kardinal Friedrich Wetter sind es 21 Fälle, bei Kardinal Ratzinger vier Fälle, bei Kardinal Michael von Faulhaber ebenso vier Fälle, bei Kardinal Joseph Wendel acht und bei Kardinal Julius Döpfner 14 Fälle.

In einer ersten Stellungnahme hatte sich Marx noch nicht zu den gegen ihn erhobenen Vorwürfe geäußert, nachdem er der Vorstellung des Gutachtens selbst aus bisher unbekannten Gründen ferngeblieben war.

Betroffener an Marx: "Sie haben meinen Glauben an die Kirche völlig zerstört"

Wie Richard Kick in einer Presse-Aussendung erklärt, wurde der Offene Brief am gestrigen Montag Marx überreicht worden.

In dem Schreiben erinnert das Mitglied des Betroffenenbeirats den Kardinal an eine frühere, persönliche Begegnung. 

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2010 habe Kick den Erzbischof über den "jahrelangen Missbrauch" durch einen Priester der Erzdiözese informiert. Marx habe jedoch, so Kick, bei ihm als Betroffenen den "Glauben und das Vertrauen in die Institution Kirche durch Ihre [Marx'] fehlende Hirtensorge, Ihre nicht nur moralischen Versäumnisse und Ihre Untätigkeit völlig zerstört".

Durch Marx' "verantwortungsloses 'Nicht'-Handeln" sei der Täter nicht bestraft worden, fährt Kick fort, der beschuldigte Priester sei 2019 sogar "in allen Ehren als unbescholtener Priester" beerdigt worden sein.

"Hören Sie auf, Ihre Verantwortung anderen anzulasten"

Das Gutachten habe "zweifelsfrei" bewiesen, so Kick weiter, dass "systemische Ursachen und größte Verantwortungslosigkeit" zu "unglaublichem Leid" bei Betroffenen und ihren Angehörigen geführt habe.

Neben dem früheren Erzbischof , Kardinal Josef Ratziner, dem heutigen Papst emeritus Benedikt XVI., kritisiert der Betroffene auch die anderen früheren Amtsinhaber des Bischofsstuhls von München und Freising. Besonders scharf kritisiert Richard Kick Kardinal Reinhard Marx selbst. An ihn gerichtet schreibt er wörtlich:

"Hören Sie auf, die Verantwortung für die Schuld an den abscheulichen Verbrechen an dieser großen Zahl von Kindern, Jugendlichen und erwachsener Schutzbefohlener anderen anzulasten. Nehmen Sie jetzt ihre bischöfliche Hirtenaufgabe war, fassen Sie all Ihren Mut, öffnen Sie Ihr Herz und gehen Sie mit weit geöffneten Armen auf uns Betroffene zu."

Kick appellierte auch an den Kardinal, die "weitaus größere Zahl" der Betroffenen, die sich noch nicht gemeldet haben, zu ermutigen, ihre Aussage zu machen. Gleichzeitig fordert er, das Leid der Betroffenen "durch eine angemessene und schnelle Entschädigungsleistung finanzieller Art" anzuerkennen.

Vorwürfe gegen Marx: Mangelndes Verantwortungsbewusstsein

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Dem Erzbischof von München und Freising haben die Gutachter in der Pressekonferenz am Donnerstagvormittag zwei Fälle von Fehlverhalten vorgeworfen. Marx habe dabei keine Maßnahmen ergriffen, um auf die Missbrauchsopfer zuzugehen und ihnen weitere Hilfen zukommen zu lassen. Zudem habe er rechtswidrig gehandelt: Marx habe die Fälle nicht der Glaubenskongregation in Rom gemeldet.

Allerdings habe er, so die Gutachter, in seiner Stellungnahme betont, dass die Hauptverantwortung für die Bearbeitung solcher Fälle seiner Meinung nach jedoch beim Ordinariat und dem Generalvikariat läge. Sollten diese ihren Pflichten nicht nachgekommen sei, empfinde er dafür lediglich eine "moralische Verantwortung". 

Rechtsanwalt Pusch merkte dazu an, dass Marx betont habe, ihm als Erzbischof unterliege hauptsächlich die "Verkündigung des Wortes Gottes".

Diese EinschDätzung werde von den Gutachtern jedoch "nicht uneingeschränkt geteilt". Marx' Argumentation greife zu kurz, so der Anwalt, wenn er die Zuständigkeit und Verantwortlichkeit auf die ihm unterstellten Funktionsträger zuweise. Pusch wörtlich:

"Wann, wenn nicht im Fall des sexuellen Missbrauchs Minderjähriger ist die Einordnung einer Thematik als 'Chefsache' zutreffen? Erst recht gilt dies, wenn die einschlägigen Regelwerke dem Diözesanbischof eine zentrale Rolle zuweisen. Dass Erzbischof Kardinal Marx diese wahrgenommen hätte, war für uns nicht festzustellen."

Vielmehr hätte es "gewisse Änderungen" im Umgang von Kardinal Marx mit Missbrauchsänderungen erst ab dem Jahr 2018 gegeben.

Das Erzbistum hat für kommenden Donnerstag eine weitere Pressekonferenz angekündigt, um nach einer ersten Lektüre der Studie erste Konsequenzen bekanntzugeben. 

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