Benedikt XVI. schreibt Brief zum 100. Geburtstag von Papst Johannes Paul II.

Papst St. Johannes Paul II. und Kardinal Joseph Ratzinger, der spätere Papst Benedikt XVI., am 28. Oktober 1978.
L'Osservatore Romano / CNA Deutsch

Es ist das persönliche Schreiben eines langjährigen Freundes und Begleiters – geprägt von der gelehrten Tiefe und geschichtlichen Weite des Blicks seines Verfassers: Papst emeritus Benedikt XVI. hat zum 100. Geburtstag von Papst Johannes Paul II. einen Brief an den langjährigen Sekretär, Kardinal Stanisław Dziwisz, geschrieben. Ein Schreiben, das angesichts der Krise der Kirche selber historische Züge hat.

Benedikt erklärt in dem auf den 4. Mai datierten Brief – der CNA Deutsch zur Veröffentlichung von der Polnischen Bischofskonferenz zur Verfügung gestellt wurde – dass die göttliche Barmherzigkeit der Schlüssel ist, der nicht nur den heiligen Papst aus Polen verstehen hilft.

Die Barmherzigkeit ist auch die Brücke von Johannes Paul zum Pontifikat von Papst Franziskus, so der Bayer, der selber zwischen beiden als oberster Brückenbauer – Pontifex Maximus – diente.

"Heute scheint es mir wichtig, vor allem auf die eigentliche Mitte zu verweisen, von der aus die Botschaft der verschiedenen Texte zu lesen ist. Diese Mitte ist durch die Stunde seines Todes uns allen nachdrücklich vor Augen geführt worden. Papst Johannes Paul II. starb in den ersten Stunden des von ihm neu eingeführten Festes der göttlichen Barmherzigkeit".

Benedikt, der als Kardinal Joseph Ratzinger über viele Jahre Papst Johannes Paul II. und der Kirche in entscheidender Rolle diente, würdigt ohne falsches Pathos seinen Vorgänger, dessen Beerdigung er persönlich feierte. Und er räumt den Vorwurf aus, dass dieser ein "moralischer Rigorist" gewesen sei. 

"Als Johannes Paul II. seine letzten Atemzüge auf dieser Welt getan hat, war gerade nach dem Gebet der Ersten Vesper das Fest der Göttlichen Barmherzigkeit angebrochen. Es hat die Stunde seines Todes beleuchtet: Das Licht der Barmherzigkeit Gottes steht so als tröstende Botschaft über seinem Sterben."

Dabei verliert Benedikt die aktuelle Kirchenkrise nicht aus dem Blick, sondern stellt sie in den notwendigen persönlichen wie geschichtlichen Kontext, um deren Ausmaß und Folgen einordnen zu können. 

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Denn die Krise der Kirche war bereits hereingebrochen, als  Karol Wojtyla zu einer Zeit geboren wurde, da Polen seine Unabhängigkeit wiedergewonnen hatte: Eine Zeit der Hoffnung, aber auch gewaltiger Herausforderungen für dieses Land, betont Benedikt. In seiner Heimat habe er die Theologie sowohl in Büchern als auch in der konkreten Situation seines Landes studiert: "Er studiert Bücher, aber er erlebt und erleidet die Fragen, die hinter dem Gedruckten stehen".

Das Zweite Vatikanische Konzil sei für den jungen Bischof Wojtyla eine Schule für sein ganzes Leben und Wirken geworden, schreibt Benedikt.   

"Als Kardinal Wojtyła dann am 16. Oktober 1978 zum Nachfolger des heiligen Petrus gewählt wurde, befand sich die Kirche in einer dramatischen Situation. Die Beratungen des Konzils waren in der Öffentlichkeit wie ein Streit um den Glauben selbst dargestellt worden, dem so sein Charakter der untrüglichen und unantastbaren Sicherheit genommen schien. Ein bayerischer Pfarrer kommentierte beispielsweise die Situation, indem er sagte: 'Am Ende haben wir den falschen Glauben erwischt.'"

Dieses Gefühl, daß es nichts Sicheres mehr gebe, daß alles in Frage stehe, "wurde durch die Art, in der die Liturgiereform sich vollzog, weiter genährt", fährt Benedikt fort: "Am Ende schien auch in der Liturgie alles machbar zu sein".

Paul VI. habe mit Energie und Entschiedenheit das Konzil zu Ende geführt, so Benedikt, der selbst am Konzil teilgenommen hat. Papst Paul VI. "sah sich aber nun nach dessen Ende immer drängenderen Fragen ausgesetzt, in denen letztlich die Kirche selbst in Frage stand. Soziologen haben die Situation der Kirche in jener Stunde verglichen mit der Situation der Sowjetunion unter Gorbatschow, in der im Versuch der notwendigen Reformen schließlich das ganze mächtige Gebilde des Sowjetstaats zusammenbrach".

So habe auf den neuen Papst im Jahr 1978 "in der Tat eine menschlich kaum zu bewältigende Aufgabe" gewartet, stellt Benedikt fest. Doch vom ersten Augenblick an, habe Johannes Paul II. eine neue Begeisterung für Christus und seine Kirche gewweckt.

"Zunächst bleibt die Predigt zum Beginn seines Pontifikats mit dem Ruf 'Habt keine Angst! Öffnet, ja reißt die Tore weit auf für Christus!' Diese Tonart bestimmte letztlich sein ganzes Pontifikat und hat ihn zu einem befreienden Erneuerer der Kirche werden lassen".

Bemerkenswert ist die Einordnung, dass Voraussetzung dafür laut Benedikt war, daß der neue Papst aus einem Land kam, in dem die Rezeption des Konzils positiv gewesen war: "Nicht der Zweifel an allem war bestimmend, sondern die freudige Erneuerung von allem".

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Johannes Paul II. habe die Welt auf 104 Reisen durchwandert, habe den Glauben der Kirche in 14 Enzykliken "umfassend neu dargstellt".

"Daß er damit in den von Zweifeln erfüllten Kirchen des Westens Widerspruch ausgelöst hat, war unvermeidbar." 

Papst Johannes Paul II. sei es ein Leben lang darum gegangen, die objektive Mitte des christlichen Glaubens –  die Lehre von der Erlösung – sich auch subjektiv zuzueignen und den anderen zueignungsfähig zu machen, erklärt der Brief des bayerischen Emeritus.

"Jedem einzelnen ist das Erbarmen Gottes durch den auferstandenen Christus zugedacht. Obwohl diese Mitte christlicher Existenz uns nur im Glauben geschenkt ist, ist sie doch zugleich auch philosophisch bedeutsam, denn wenn das Erbarmen Gottes kein Faktum ist, dann müssen wir uns mit einer Welt zurechtfinden, in der eine letzte Gegenkraft des Guten gegen das Böse nicht erkennbar ist".

Benedikt bringt diese Leistung seines Vorgängers auf einen griffigen Punkt. So schreibt der selber bereits 93-jährige über einen Mann, der am kommenden Montag 100 Jahre alt geworden wäre: "In einer Stunde, in der die Kirche unter der Bedrängnis des Bösen neu zu leiden hat, ist er uns ein Zeichen der Hoffnung und der Zuversicht".

In seinem letzten Buch "Memoria e Identità", das gleichsam am Vorabend seines Todes veröffentlicht wurde, habe Papst Johannes Paul II. die Botschaft vom göttlichen Erbarmen noch einmal zusammenfassend dargestellt.

"Er verweist darauf, daß Schwester Faustina noch vor den Schrecken des Zweiten Weltkriegs gestorben ist, aber schon die Antwort des Herrn auf all dieses Unerträgliche mitschenkte. Es war, als ob Christus durch Faustina habe sagen wollen: 'Das Böse wird nicht den definitiven Sieg davontragen. Das Ostergeheimnis bekräftigt, daß das Gute letzten Endes siegreich sein wird, daß das Leben den Tod und daß die Liebe über den Haß triumphieren wird'".

Ob nun der Beiname "der Große" sich durchsetzen werde? Das lasse er offen, betont Benedikt abschliessend.

"Richtig ist, daß in Johannes Paul II. die Macht und Güte Gottes uns allen sichtbar geworden sind. In einer Stunde, in der die Kirche unter der Bedrängnis des Bösen neu zu leiden hat, ist er uns ein Zeichen der Hoffnung und der Zuversicht". 

Benedikt schließt mit dem Stoßgebet: "Lieber heiliger Johannes Paul II., bitte für uns!"

CNA Deutsch hat das knapp acht Seiten lange Schreiben im vollen Wortlaut veröffentlicht.

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