Abkommen zwischen Vatikan und China: Analyse eines Experten

Der Tian’anmen-Platz
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Ein Missionspriester und Experte für die katholischen Kirche in China hat das "vorläufige Abkommen" zwischen Vatikan und Volksrepublik analysiert, das weltweit für Unverständnis und scharfe Kritik gesorgt hat, vereinzelt aber auch auf Zustimmung gestossen ist.

Pater Bernardo Cervellera, Chefredakteur der Nachrichtenagentur "Asia News" - ein Projekt des Päpstlichen Instituts für die auswärtige Missionen (PIME) - hat eine differenzierte Analyse der Vereinbarung veröffentlicht, die am 22. September unterschrieben wurde. 

Das Abkommen, dessen genauer Inhalt bislang geheimgehalten wird, regelt offenbar die Anerkennung der von der Kommunistischen Partei bestimmten Bischöfe. Diese waren bislang exkommuniziert; mehrere sind selber Parteimitglieder.

Außerdem räumt der Vatikan der Regierung Chinas offenbar ein Mitsprache-Recht bei der Auswahl zukünftiger Bischöfe ein.

Ein bekannter Gegner dieser Vereinbarung mit der Volksrepublik ist der emeritierte Bischof von Hongkong, Kardinal Joseph Zen. Er forderte den Rücktritt von Kardinalstaatssekretär Pietro Parolin, der für dieses Abkommen - im Auftrag des Papstes - verantwortlich zeichnet.

Parolin selber betonte, das Abkommen sei "vorläufig" und "pastoral", wie CNA Deutsch berichtete.

Die von der Kommunistischen Partei direkt kontrollierte "Katholische Patriotische Vereinigung" erklärte ihrerseits, dass die Kirche in China - so wörtlich - "weiterhin unabhängig funktionieren" werde, und weiter:

"Wir lieben das Land und die Kirche, wir werden das Prinzip der Unabhängigkeit und der Sinisierung der Religion weiterführen und auf dem Weg bleiben, der zur sozialistischen Gesellschaft führt."

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Tatsächlich ist die Religionsfreiheit in China alles andere als "funktionierend"; das Menschenrecht wird durch die Regierung massiv eingeschränkt, es werden Kirchen immer wieder zerstört, Kreuze entfernt, Christen schikaniert, und Minderjährigen ist sogar der Zutritt zu Kirchen verboten, wie CNA Deutsch berichtete.

Trotzdem – oder gerade deshalb – meinen Beobachter wie Pater Cervellera, dass die Vereinbarung nicht unbedingt katastrophal ist.

So schreibt Pater Cervellera, dass die "vorläufige" Vereinbarung für Optimisten "historisch" sei. 

"Bei den Optimisten wurde das Adjektiv 'historisch' sehr verschwenderisch benutzt, und dabei vergessen, dass es sich um ein als 'vorläufig' definiertes Abkommen handelt, das 'regelmäßigen Bewertungen' unterliegt, und dass der Direktor des Presseamtes [Greg Burke, Anm.d.R.] selbst vom 'Beginn' eines Prozesses sprach, und nicht von seinem Ende."

Für die "Pessimisten" bedeute das Abkommen nicht weniger als den Startschuss einer völligen Auslieferung der chinesischen Kirche und ihrer Millionen, im Untergrund lebenden, Gläubigen an die Machthaber in Peking: "Die Regierung wird machen, was sie will - wie es ja bereits geschieht", so der Priester.

Damit werde die Kirche "ein Werkzeug der Partei" – und das vor dem Hintergrund der Verfolgung und des Leids, das "Katholiken seit 70 Jahren ertragen", so Pater Cervellera.

Nachdem er betont, dass der Text der Vereinbarung "nicht veröffentlicht wurde und auch nicht veröffentlicht werden wird" räumt der Experte ein, dass Franziskus mit seiner Anerkennung von Bischöfen, welche die chinesische Regierung eingesetzt hat, "auf dem Papier" das "Ende der 'unabhängigen' Kirche" in Kauf nehme.

Allerdings, so der Autor weiter, könne der Papst immerhin nun einen Kandidaten ablehnen, den die von der Kommunistischen Partei kontrollierten Gremien vorschlagen. "Und das ist der optimistische Teil", schreibt Pater Cervellera.

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Aber stimmt das überhaupt? Cervellera stellt die Frage:

"Was wird passieren, wenn der von China vorgeschlagene Kandidat vom Papst nicht akzeptiert wird?"

Bislang habe es die Möglichkeit eines "temporären Vetos" gegeben: Der Papst musste die Gründe für seine Ablehung innerhalb von drei Monaten vorlegen, so Cervellera.

"Aber wenn die Regierung die päpstlichen Gründe für haltlos befand, musste man mit der Ernennung und der Weihe des Kandidaten fortfahren."

Und jetzt? Da der Text der "provisorischen" Vereinbarung nicht bekannt ist, sei unklar, ob diese Klausel weiter gilt, schreibt der Autor. 

Die Aufhebung der Exkommunikation

Pater Cervellera ist der Meinung, dass dies "eine positive Maßnahme" sei. Denn "zumindest am Anfang wird es den chinesischen Katholiken helfen, in größerer Einheit zu leben", hofft der Autor.

"Diese exkommunizierten Bischöfe waren von der Katholisch-Patriotischen Vereinigung benutzt worden, um die Kirche zu spalten. Bei den Zeremonien der Bischofsweihen war die Polizei anwesend."

Wie kann dann deren Anerkennung durch den Papst – über die Köpfe der Gläubigen in China hinweg - ein positiver Schritt sein?  "Einige von ihnen", so Cervellera, "sind einen Weg der Umkehr gegangen und bitten seit ein paar Jahren die Versöhnung mit Rom."

Die Aufhebung der Exkommunikationen sei nicht Teil des "vorläufigen" Abkommens, sondern eine "Geste" des Vatikans. 

Konkubinen und Kinder

Allerdings räumt auch Cervellera ein, dass einige der nun vom Papst anerkannten Bischöfe nicht nur linientreue Partei-Funktionäre sind: Was viele Gläubige demütige und traurig mache, sei, dass auch "einige dieser Bischöfe dafür bekannt sind, Geliebte und Kinder zu haben". 

Wie dieser Skandal mit dem Anliegen der Einheit der Kirche vereinbar ist – die ja auch aus den skandalisierten Gläubigen besteht – erklärt Cervellera nicht.

Ein eventuell weiterer "positiver" Aspekt aus Sicht des Priester ist, dass in der vorläufigen Vereinbarung das Thema Taiwan nicht genannt wird. Das bedeute: Der Vatikan musste die Beziehungen zu diesem Staat nicht brechen, um das Abkommen zu unterzeichnen. 

Allerdings werden die Beziehungen zu Taiwan vom Vatikan seit Jahren abgeschwächt, wie CNA Deutsch berichtete.

Verfolgung und Leid dauern an

Selbst für Pater Cervellera ein "komplett negativer" Aspekt ist, dass offenbar weder in der Vereinbarung, noch in den Verlautbarungen von Kardinal Parolin und anderen aus dem Vatikan "die Verfolgung erwähnt wird, die die Katholiken und alle Christen derzeit in China erleiden."

"Im Namen der 'Sinisierung' werden in China zahlreiche Kreuze verbrannt und zerstört, Kirchen demoliert, Gläubige verhaftet und den jungen Menschen unter 18 Jahren wird verboten, an Gottesdiensten teilzunehmen oder eine religiöse Erziehung zu erhalten, wie viele Nachrichtenagenturen berichten", beklagt der Experte.

Zudem gebe es Bischöfe und Priester, die von der Polizei verhaftet werden und 'verschwinden'; Bischöfe, die wie Verbrecher in Hausarrest inhaftiert leben, so Cervellera weiter. Der Priester verweist auch auf die Schikanen und Verfolgung anderer Religionsgemeinschaften, darunter Buddhisten, Taoisten und Muslime.

"Das zeigt, welch negative Sicht China in Bezug auf die Religionen besitzt, sowie seinen Plan, sie zu assimlieren oder zu zerstören", so der Autor.

Ob der Vatikan mit seinem "vorläufigen" Abkommen tatsächlich einen eventuell "positiven" Schritt leistet, wird sich zeigen müssen.

Am 29. Januar schrieb Kardinal Zen über ein Treffen mit Papst Franziskus, dass dieser ihm eigentlich gesagt habe, er wolle ausdrücklich einen "weiteren Mindszenty-Fall" vermeiden. 

Kardinal Josef Mindszenty (1892-1975) war Primas von Ungarn und ein unerschrockener Gegner der kommunistischen Herrschaft. Er wurde verhaftet, gefoltert und in einem Schauprozess verurteilt. Später wies ihn der Vatikan an, das Land zu verlassen – Teil einer umstrittenen Appeasement-Politik gegenüber den Kommunisten. 

Nicht wenige Beobachter erinnert das jetzige Abkommen mit der Volksrepublik an dieses – vergebliche – Appeasement im 20. Jahrhundert.

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