Katholischer Widerspruch gegen evangelische Forderung nach Suizidbeihilfe in Kirchen

Euthanasie: Die scheinbare Barmherzigkeit.
Foto: pixabay.
Euthanasie: Die scheinbare Barmherzigkeit. Foto: pixabay.
Der Bischofsvikar für Bioethik und Sozialpolitik, Weihbischof Anton Lobinger von Augsburg
Der Bischofsvikar für Bioethik und Sozialpolitik, Weihbischof Anton Lobinger von Augsburg
Bistum Augsburg
Der emeritierte Kurienkardinal Walter Kasper in der Kirche Sancti Bartholomaei in Insula in Rom im April 2015.
Der emeritierte Kurienkardinal Walter Kasper in der Kirche Sancti Bartholomaei in Insula in Rom im April 2015.
CNA/Petrik Bohumil
Bischof Rudolf Voderholzer
Bischof Rudolf Voderholzer
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Katholische Stimmen haben die Forderung evangelischer Kirchenmänner nach einer Öffnung der Kirche zur Beihilfe zum Selbstmord widersprochen.

Weihbischof Anton Losinger reagierte mit deutlicher Kritik auf den Vorschlag von prominenten Vertretern der Evangelischen Kirche in Deutschland (EKD) in der heutigen Ausgabe der "Frankfurter Allgemeinen Zeitung", in kirchlichen Einrichtungen Möglichkeiten eines assistierten Suizids anzubieten – oder zumindest "zuzulassen".

Der Vorsitzende der Kammer für öffentliche Verantwortung EKD, Reiner Anselm, und der Präsident der Diakonie, Ulrich Lilie, behaupten in der "FAZ", kirchliche Einrichtungen sollten sich der Suizidbeihilfe nicht verweigern, sondern öffnen.

Mit dieser Forderung – die auch auf protestantischer Seite umstritten ist – sei aber eine schiefe Ebene begründet, die den "Ball der aktiven Sterbehilfe auf fatale Weise beschleunigt und ins Rollen bringt", so der Bischofsvikar für Bioethik und Sozialpolitik, Losinger: "Sie erfordert Einspruch und Einhalt!"

Im vergangenen August widersprach Kurienkardinal Walter Kasper bereits Behauptungen des evangelischen Landesbischofs von Hannover, Ralf Meister, dass Euthanasie "theologisch zu rechtfertigen" sei. Selbstmord könne nicht Aufgabe der Kirche sein, warnte Kasper dagegen, wie CNA Deutsch berichtete.

Ein "deutscher Dammbruch"? 


Mit Bestürzung und Unverständnis hatten Anfang vergangenen Jahres Bioethiker, Bischöfe und katholische Lebensschützer auf das Urteil des Bundesverfassungsgerichtes reagiert, demzufolge das Verbot der geschäftsmäßigen Beihilfe zum Selbstmord in Deutschland verfassungswidrig ist.

Bereits damals warnten katholische Experten vor einem deutschen Dammbruch: Die am 26. Februar 2020 ergangene Entscheidung betrifft § 217 StGB und bedeutet eine Aufhebung des Verbots der "geschäftsmäßigen Förderung" der Selbsttötung. Vor den Folgen dieses Urteils warnten am heutigen Mittwoch eine Reihe christlicher Experten und Kirchen-Vertreter.

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Mit großer Sorge auf dieses Urteil blickend, betonte der Regensburger Bischof, dass jedes "Leben unverfügbar ist". Die Gefahr bestehe nun, dass das gesellschaftlich weit verbreitete Pochen auf "Selbstbestimmung" umschlage in eine totalitäre Fremdbestimmung. Ein immenser gesellschaftlicher Druck kann sich entwickeln. Was geschieht, wenn auf alte und kranke Menschen der Erwartungsdruck ausgeübt wird, den Angehörigen oder dem Staat nicht zur Last zu fallen? Sollen sie ihren "Platz räumen", um Kosten zu sparen?In diesem Kontext zitierte Bischof Voderholzer den Palliativmediziner Thomas Sitte:

"Wer Sterbehilfe erlaubt, macht über kurz oder lang Sterben zur Pflicht."

Vor dem Hintergrund des Urteils des Bundesverfassungsgerichts gewinnt die christliche Verantwortung eine neue Dimension, sagte der Bischof: "Wer Humanität schützen will, muss dafür eintreten, dass aktive Sterbehilfe unter keinen Umständen in Frage kommt." Es muss sich nach Kräften dafür eingesetzt werden, die Möglichkeiten der Palliativmedizin auszuschöpfen. Die Hospizbewegung müsse um ein vielfaches gefördert werden, auch was die öffentliche Wahrnehmung betrifft.

Bischof Voderholzer berichtete von seinen Erfahrungen, dass der Ruf nach aktiver Sterbehilfe in den meisten Fällen getragen sei von der Angst vor Schmerzen oder Einsamkeit.

Katechismus: "Verwalter, nicht Eigentümer des Lebens"


Der Katechismus der Katholischen Kirche (KKK) hält fest, dass jeder Mensch vor Gott für sein Leben verantwortlich ist. Darin heißt es auch, dass der Selbstmord nicht nur der Nächsten- und Eigenliebe, sondern auch "der natürlichen Neigung des Menschen, sein Leben zu bewahren und zu erhalten", widerspricht. Der Mensch sei "nur Verwalter, nicht Eigentümer des Lebens, das Gott uns anvertraut hat" (KKK, Nr. 2280 ff).

Auch wenn der Selbstmord als eine "schwere Verfehlung gegen die rechte Eigenliebe" (KKK, Nr. 2281) bezeichnet wird, dürfe man "die Hoffnung auf das ewige Heil der Menschen, die sich das Leben genommen haben, nicht aufgeben", so der Katechismus. Demnach könnten schwere psychische Störungen, Angst oder schwere Furcht vor einem Schicksalsschlag, vor Qual oder Folterung die Verantwortlichkeit des Selbstmörders vermindern.

Aktive Sterbehilfe dagegen ist aus katholischer Sicht nicht zu rechtfertigen, wie der Katechismus betont:

"Freiwillige Beihilfe zum Selbstmord verstößt gegen das sittliche Gesetz."

Auch Papst Franziskus hat Euthanasie und alle Formen der "Sterbehilfe" wiederholt mit großer Schärfe verurteilt und als nicht mit der katholischen Lehre vereinbar abgelehnt. Bereits im Oktober 2018 warnte er zudem vor einem weltweiten Aufschwung der aktiven Sterbehilfe. Praktisch überall herrsche eine starke Tendenz, die Euthanasie zu legalisieren, kritisierte der Pontifex.

Menschen, die an chronischen, schweren Krankheiten leiden, oder im Endstadium einer Krankheiten sind, bedürfen vielmehr der richtigen Begleitung, betonte Franziskus.

Die vollständige Stellungnahme von Weihbischof Losinger am 11. Januar 2020 im Wortlaut:

Die Lebensrechtsfrage in der Bundesrepublik Deutschland steht seit einem Jahr vor einer grundlegenden juristischen Wende. Im Urteil vom Februar des Jahres 2020 hatte das Bundesverfassungsgericht den Beschluss des Bundestages zum Verbot der geschäftsmäßigen Suizidbeihilfe § 217 StGB gekippt. Darüber hinaus sahen die Richter im Begriff von Freiheit und Würde des Grundgesetzes ein fundamentales Recht jedes Menschen auf autonome Selbstbestimmung des eigenen Sterbens begründet. Auch dürfen andere - eventuell professionelle Sterbehilfevereine oder auch Ärzte - entsprechend einer notwendigen gesetzlichen Neuregelung zur Erfüllung des Wunsches nach dem freiverantwortlichen Suizid in die Pflicht genommen werden.

Diese Wende im Lebensrechts- und Würdebegriff des Grundgesetzes durch das höchste Gericht erlangt nun neue Energie durch die Äußerung führender Theologen der Evangelischen Kirche. In der "Frankfurter Allgemeinen Zeitung" vom 11.01.2021 treten Reiner Anselm, Vorsitzender der Kammer für öffentliche Verantwortung der EKD und der Präsident des evangelischen Wohlfahrtsverbandes Diakonie, Ulrich Lilie dafür ein, dass kirchliche Einrichtungen sich dem freiverantwortlichen Suizid nicht länger verweigern sollten, sondern sich öffnen, neben medizinischer und pflegerischer Versorgung auch "Rahmenbedingungen für eine Wahrung der Selbstbestimmung bereitzustellen" und "abgesicherte Möglichkeiten eines assistierten Suizids in den eigenen Häusern anzubieten oder zumindest zuzulassen und zu begleiten."

Damit ist eine schiefe Ebene begründet, die den Ball der aktiven Sterbehilfe auf fatale Weise beschleunigt und ins Rollen bringt. Sie erfordert Einspruch und Einhalt!

Mit der Mehrheit der organisierten Ärzteschaft in der Bundesrepublik Deutschland widerspricht die Katholische Kirche diesem Trend energisch und deutlich. Der Präsident des Weltärztebundes, Frank Ulrich Montgomery sieht eine fatale Änderung des Ärztebildes, welche die Rolle des Arztes im Krankenhaus vom Helfer zum Vollstrecker umforme. Die Deutsche Bischofskonferenz warnt vor dem fatalen Trend, dass sich die Entscheidung zum freiverantwortlichen Suizid und zur Suizidbeihilfe als quasi "normale Form" des Sterbens in Pflegesituationen entwickeln könnte. Begleitet vom sanften und stetigen Druck auf pflegebedürftige und alte Menschen, die den Angehörigen nicht zur Last fallen zu wollen, kommt der Stein unweigerlich ins Rollen. Darum sind nicht Konzepte zur Ermöglichung des assistierten Suizids die richtige Antwort auf prekäre Lebenssituationen am Lebensende, sondern Hilfe, Zuwendung und Unterstützung in diesen schwierigen Lebenslagen und die Entwicklung von Lebensperspektiven für Menschen in Not. Auch die Erkenntnis, dass in den allermeisten Situationen eines Suizidwunsches psychische Notlagen dominieren, steht im Vordergrund. Dies wird bestätigt durch die fortlaufenden Studien des "Nationalen Suizidpräventionsprogramms" der Bundesregierung, das für die allermeisten unter den 10.0000 in der Bundesrepublik Deutschland im Jahr vollzogenen Fälle von Suizide schwere psychologische Notlagen diagnostiziert. Dies fordert eine Neubewertung der Lebenssituationen von Menschen, die Suizidabsichten entwickeln. In den wenigsten Fällen handelt es sich um eine verantwortliche Tat der Freiheit. In meisten Fällen ist es ein Hilferuf an die Gesellschaft! Gute Pflege, professionelle Palliativversorgung und Ausbau der Hospizidee sind die Instrumente.

"Wir glauben, dass dieser Druck sich von Kranken und Sterbenden nicht mehr fernhalten ließe, wenn der assistierte Suizid zu einem Normalmodell des Sterbens würde, der bis in kirchliche Einrichtungen hinein Anwendung fände. Das darf nicht geschehen!" – Das betonen die katholischen Bischöfe. Auch mit der nüchternen Einsicht, dass sich Suizide niemals gänzlich verhindern lassen können, bleibt die Herausforderung an eine Gesellschaft mit humanem Antlitz, Hilfen zum Leben bereitzustellen anstatt Sterbehilfeorganisation zu leisten."

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