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Gemeindeleiter und eine päpstliche Fußnote: Gastkommentar von Kardinal Paul Josef Cordes

Kardinal Paul Josef Cordes wurde am 5. September 1934 im Sauerland geboren, 1961 zum Priester geweiht, 1976 folgte die Bischofsweihe. Papst Johannes Paul II. berief ihn 1980 zum Vizepräsidenten des Päpstlichen Rates für die Laien. Als Präsident des päpstlichen Hilfswerks "Cor Unum" koordinierte er weltweit die kirchliche Hilfe für Katastrophenopfer und gibt entscheidende Impulse für die Antrittsenzyklika von Papst Benedikt XVI. 2007 folgte die Aufnahme in das Kardinalskollegium. Im März 2013 nahm Kardinal Cordes am Konklave zum Nachfolger von Benedikt XVI. teil, aus dem Papst Franziskus hervorging.

Dem postsynodalen Dokument "Querida Amazonia" (QA) wurde in der Öffentlichkeit vor allem entnommen, daß die Zölibats-Verpflichtung für katholische Priester beibehalten wird. Andere relevante Impulse dieses Papstwortes mögen darum bislang weniger Aufmerksamkeit geweckt haben. Auf einen weist im prestigiösen "Internetportal der katholischen Kirche in Deutschland" Michael Böhnke hin, Professor für systematische Theologie:  

"Papst Franziskus hat in einer Fussnote (Nr. 136) auf canon 517 § 2 CIC 1983 Bezug genommen: In diesem Zusammenhang hat er von Laien als Gemeindeleitern gesprochen und zudem daran erinnert, dass die Gemeindeleiter*innen auf Dauer eingesetzt, öffentlich anerkannt und mit entsprechenden Vollmachten ausgestattet werden müssen.

Hier ist von Laien als Trägern von Vollmachten die Rede, von Gemeindeleitung durch Laien, von c. 517 § 2 als einer 'Lösung' auf Dauer und von einer synodalen Kirche mit amazonischen Gesichtszügen …dass Laien Ämter mit Vollmacht zum sakramentalen Handeln und Leitungsgewalt übertragen werden können. Er hat mit anderen Worten ein klerikales Monopol geknackt."

Laien als Gemeindeleiter? Sie kämen einigen Bischöfen in Deutschland offenbar sehr gelegen. Doch gerade solche "Theologie mit Anliegen" macht nachdenklich. Sie nötigt zu genauerer Lektüre.

Eine entstellte Fußnote

Die erste Überraschung begegnet in der erwähnten Fußnote 136 von QA. In ihr steht: "Der Bischof kann wegen Priestermangels »einen Diakon oder eine andere Person, die nicht die Priesterweihe empfangen hat, oder eine Gemeinschaft von Personen an der Wahrnehmung der Seelsorgsaufgaben einer Pfarrei beteiligen« (Codex des kanonischen Rechts, 517 § 2)." Beim Vergleich mit dem zitierten Paragraphen des CIC fällt aber ins Auge, daß in der Fußnote der Schluß des Satzes ausgelassen wurde. Er lautet im CIC, unter den beschriebenen Bedingungen hätte der Diözesanbischof aber auch "einen Priester zu bestimmen, der, mit den Vollmachten und Befugnissen eines Pfarrers ausgestattet, die Seelsorge leitet". In dem Verweis von QA wird also die Zielaussage des CIC – Leitung der gemeindlichen Seelsorge durch einen geweihten Priester – schlicht unterschlagen.

Unannehmbar wird dann die Schlußfolgerung des professoralen Fachmanns. Er konstatiert, der Papst habe mit diesen Sätzen die "Gemeindeleitung durch Laien" aus der Taufe gehoben und "ein klerikales Monopol geknackt.". Der Ordinarius für systematische Theologie übersieht mit seiner Folgerung leider das theologische Fundament für die Führungsverantwortung in der Kirche.  

Für sie ist die tragende Leitungsvollmacht sakramental-gnadenhaft grundgelegt im Sakrament des ORDO.  Das Dokument QA selbst spricht ihn kurz an: Durch seinen Empfang würde der Kandidat Christus gleichgestaltet und mit geistlicher Macht ausgerüstet (Nr. 87). Diese erwähnte Macht ist nach dem Glauben der Kirche Ausfluß der EXOUSIA, die der Auferstandene gegenüber den Elfen für sich proklamiert (Mt 28,18); sie ist Ausgangspunkt und Ausstattung für den Auftrag, den der Herr jedem der Apostel zuspricht und die diese ihren Nachfolgern vermitteln.

Diese EXOUSIA aber ist sorgsam zu unterscheiden von kirchlich eingeräumten Handlungsbefähigungen, die sich nicht auf das Weihesakrament stützen. QA spricht mehrfach von "Vollmachten", die ggfs. die Grundlage von "Ämtern" ausmachen. Solche Kompetenz meint Ordnungsanweisung, die sich ein Sozialkörper gibt - vergleichbar etwa dem Beamtenrecht. Die Kirche realisiert sie in der "missio canonica" oder anderen Arten von "missio".

Die demnach total verschiedenen Verankerungen und Qualitäten kirchlicher "Macht" werden zwar im Dokument QA nicht hervorgehoben, aber auch nicht negiert. Nur einäugiges Lesen läßt sie beim Bedenken von "Vollmacht" völlig außer Acht. Solcher Ungenauigkeit gegenüber muß jedoch schon der Wissenssoziologe einwenden: Hier wird die eine Sinn-Provinz, die in der Christus-Relation sakramental begründete ist,  unzutreffend vermischt mit der anderen Sinn-Provinz, wie sie die Kirche aus eigener Kraft in ihrem Recht festsetzt.   

So weit die Kritik zum Vorstoß des Professors. Er ist nicht haltbar. Schon die Ausdruckweise ("klerikales Monopol") ordnet ihn der Kirchenpolitik zu. Allerdings ist auch der Entwurf von QA zu prüfen. Die entstellte Fußnote 136 macht hellhörig. Sie nötigt, den Argumenten nachzugehen, die nicht-geweihte Gemeindeleiter postulieren.

Zum theologischen Fundament des priesterlichen Dienstes

QA spricht kurz an, "was dem Priester in besonderer Weise zukommt, was nicht delegierbar ist." Diese Gabe wird dann bezogen auf das "Sakrament der Weihe…. das ihn Christus, dem Priester, gleichgestaltet." Eine Entfaltung der "Gleichgestaltung" unterbleibt; sie dient der Affirmation, daß allein der Priester befähigt ist, "der Eucharistie vorzustehen." Später tritt zu dieser Kompetenz noch die des Bußsakraments.

Der Text von QA wechselt dann nämlich rasch die Perspektive. Er befaßt sich nicht länger mit der ontologischen Gleichgestaltung des Geweihten, sondern blendet über auf dessen greifbares Handeln, die Sakramenten-Spendung. Er wählt also eine empirische Perspektive, vernachlässigt jedoch so die geistlich-gnadenhaften Implikationen des Heilsdienstes. Wer sie ausklammert, kann  fraglos rasch Vorschläge zur Neuordnung des Feldes pastoraler Aktivitäten machen. Doch werden Pragmatiker irgendwann auf die Frage stoßen: Warum sind dem Priester denn eigentlich Bußsakrament und Eucharistiefeier vorbehalten? Oder – um das Problem polemisch zuzuspitzen: Was geschah, als der Bischof dem Kandidaten bei der Priesterweihe die Hände aufgelegt hat? Erteilte er ihm lediglich das Recht, Eucharistie und Bußsakrament vorzustehen?  War die Liturgie nur eine feierliche "Berufs-Freisprechung" des künftigen "Gesellen" – oder hatte der Empfang des ORDO-Sakraments über einen formaljuristischen auch einen gnadenhaften Effekt?     

Bekanntlich lehrt die Theologie, die geglaubte Wahrheit finde sich auch in den gebeteten liturgischen Texten ("Lex orandi – lex credendi: das Gesetz des Betens ist das Gesetz des Glaubens"). So erklärt die Liturgie des ORDO-Sakraments das priesterliche Amt. Die Weihe-Präfation benennt zunächst den Vater, der "in der Kraft des Heiligen Geistes" seinem "Sohn Jesus Christus Diener erwählt", um dann auf die zu verweisen, die "durch die Auflegung der Hände an seinem heiligen Dienst teilhaben."  Das bewirkt die Gabe des Geistes, der nach den vorgetragenen Gebeten den Geweihten auf spezifische Weise an Christus bindet.

Schon das älteste uns überlieferte Weiheritual, der Traditio apostolica - sie geht auf Hippolyt von Rom († 235) zurück - benennt in den begleitenden Rubriken zur Geste der bischöflichen Handauflegung diese Kraft des Heiligen Geistes.  In ihrem Weihegebet heißt es: »Blicke auf diesen deinen Knecht und gib ihm Anteil an dem Geist der Gnade und des Rates des Presbyteriums, damit er dein Volk unterstütze und leite mit reinem Herzen."

Stärker noch als in der römischen Tradition sieht die Ostkirche in der Geistbegabung die Mitte und die entscheidende Wirkung der Ordination. Das belegen zunächst mehrere griechische Kirchenväter, die den apostolischen Auftrag und Dienst auf die Sendung des Geistes zurückführen. Zu vergleichen wäre etwa der Märtyrer Irenäus von Lyon (+ um 202), Athanasius († 373) Johannes Chrysostomus († 407) oder Kyrill von Alexandrien († 444). Doch statt sie hier zu zitieren, soll lediglich der hohe Rang vermerkt werden, den sie der besonderen Gabe des Heiligen Geistes für den priesterlichen Dienst zumessen.

(Die Geschichte geht unten weiter)

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Vaticanum II

Wer sich die kleinen Anfänge der Kirche in einem versteckten Winkel der Erde vor Augen hält, mag sich vielleicht über deren robuste Dauer und deren weltweite Verbreitung wundern. Über die wechselnde Ausformung des Weihesakramentes durch unterschiedliche Zeitepochen und Kultureinflüsse wundert er sich jedoch nicht. Der Herr selbst hat uns ja vorausgesagt, wir brauchten Gottes Geist, damit dieser uns "in die volle Wahrheit einführen wird" (Joh 16,13).

Für unsere Zeit interpretierte das Vaticanum II seine biblische Gurndlegung und gab uns theologisch verläßliche Konturen des Amtes.

"Da das Amt der Priester dem Bischofsstand verbunden ist, nimmt es an der Vollmacht teil, mit der Christus selbst seinen Leib auferbaut, heiligt und leitet. Darum wird  das Priestertum der Amtspriester …durch ein eigenes Sakrament übertragen. Dieses zeichnet die Priester durch die Salbung des Heiligen Geistes mit einem besonderen Prägemal und macht sie auf diese Weise dem Priester Christus gleichförmig, so daß sie in der Person des Hauptes Christus handeln können" (Presbyterorum ordinis. 2).

Der zentrale Text umkreist das Glaubensfundament des Priesteramtes. Es wurde gelegt, als der Kandidat das Sakrament der Weihe empfing. Dann verankert dieser Abschnitt alles priesterliche Wirken in der einzigen ermöglichenden Wurzel:  Christus ist der eigentliche Priester. So sichert der katholische Glaube dem Volke Gottes zu: Nicht mehr der Amtsträger, sondern Christus selbst ist der Akteur des Heils-Geschehens. Er ist definitiv der wirkliche Auctor ministerii. Diese Tatsache darf bei allen kirchlichen Struktur-Spekulationen nicht übersehen werden. Sonst verdunkelte sich in der Kirche die Wahrheit, daß erst Christus all ihrem Wirken Fruchtbarkeit gibt. Die vom Heiligen Geist gewirkte Christusbeziehung sieht das genannte Dekret dann in einem "besonderen Prägemal durch die Salbung mit dem Heiligen Geist"; dieses mache die Geweihten "die Priester Christus gleichförmig, so dass sie in der Person des Hauptes Christus handeln können".

Der heilige Augustinus nennt die so vermittelte Gnadengabe mit einem Ausdruck aus der Militärsprache "SPHRAGIS" – ein Siegel der Zugehörigkeit, grundgelegt durch die Spendung des ORDO. Als wirksames Heilszeichen stiftet das Sakrament eine charakteristische Christusbeziehung, die sich – "nicht nur dem Grade, sondern dem Wesen nach" (Lumen gentium Nr. 10) – von der Christusbeziehung des Getauften abhebt. In solcher Gabe liegt die spezifische Qualität des Priesters.

Die hier zitierte konziliare Definition des Priesters beginnt also überraschender Weise nicht bei dessen einzelnen Tätigkeiten. Priesterliche Existenz erschöpft sich nicht im Vorsitz bei der Eucharistiefeier. Sie schlägt sich vielfältig nieder. Wer das geistliche Amt erkennen will, muß seine empirisch greifbare Außenseite theologisch hinterfragen und glaubend durchdringen. Dann bietet sich ihm im unspezifischen "Handeln in der Person Christi" der wohl beste Ausdruck, den priesterlichen Dienst zu fassen. Diese Wendung verkennt zwar nicht das Tätigkeitsfeld des Priesters. Sie beschreibt es jedoch nur in allgemeiner Form. Denn nicht Einzeltätigkeiten machen die Identität des Priesters aus. Diese gründet vielmehr in dessen "Sein", in der vom Geist gewirkten charakteristischen Christus-Beziehung. Allein solche Verankerung gibt dem priesterlichen Dienst seine Einmaligkeit.

Vom dreifachen Amt

Somit wird das Raster der Soziologie nur der Oberfläche des priesterlichen Amtes gerecht. Gängige Ausschreibungen der Bundesagentur für Arbeit erfassen es nicht; es paßt nicht in die Zeitungs-Rubrik "Stellenangebote". Und wenn auch ein empirischer Horizont dazu verführt, eine einzelne der repräsentativen priesterlichen Tätigkeiten, den Gemeindeleiter, als kirchliches munus zu etablieren – Gottes Heilswerk ist den Kategorien der Gesellschaft verschlossen.   

Nicht nur eine bedenkliche Profanierung des kirchlichen Amtes widerspricht der Idee, Laien zur Leitung von Gemeinden einzusetzen. Dieser Vorschlag wird zudem hinfällig, wenn die geistliche Abhängigkeit der drei Tätigkeiten voneinander erkannt wird. Die munera docendi, sanctificandi,regendi haben zwar ihre eignen Ausdrucksformen, sind aber keineswegs autark. Sie sind theologisch so untrennbar voneinander abhängig, daß sie isoliert ihre geistliche Effizienz verlieren. Eine knappe Zwischenbemerkung zeigt die Zusammenhänge.

Zu denken gibt, daß unsere Glaubenstradition die Verwiesenheit der drei Ämter aufeinander schon seit Justin, dem Märtyrer, beachtet (+165). Bei ihm findet sich das Theologumenon vom "munus triplex Christi", das später von den Reformatoren, von M. J. Scheben und vom II. Vatikanum aufgenommen wurde. In diesem Ausdruck steckt nicht nur die Untrennbarkeit der drei Ämter. Die Benennung ihrer spezifischen Verankerung in Christus erinnert an das Weihesakrament und bestätigt unsern Gedankengang.   

Die Verbundenheit der munera liegt ohnehin auf der Hand: Der "Dienst am Wort" bereitet für die Feier der Sakramente. Die "Zeichen des Glaubens" setzen ja voraus, daß dieser Glaube durch die Verkündigung geweckt wurde. So sehr sind beide Dienste aufeinander angewiesen, daß Theologen das Sakrament als ein "zum Zeichen gewordenes Wort" genannt haben. Im Vollzug beider Aufgaben dient der Priester zur Errichtung der Gemeinde. Sakramente und Verkündigung sind demnach die Grundpfeiler für das munus regendi. Nicht klerikale Überzogenheit bindet den Leitungsdienst an das Weihesakrament.  Wer das Vaticanum II als theologische Weisung akzeptiert, kann dort lesen: Wie zu den Ämtern der Verkündigung und Sakramenten-Spendung werde dem Priester "eine geistliche Vollmacht verliehen, die zur Auferbauung gegeben wird" (Presbyterorum ordinis Nr. 6).

Besonders hilfreich sind im zitierten Abschnitt zwei Verweise auf den 2. Korintherbrief (10,8f. und 13,10).  Paulus pocht in ihnen auf seine Vollmacht, die ihm vom Herrn verliehen sei. Er beansprucht ein munus regendi, und er nimmt mit EXOUSIA eben den Begriff auf, den der Herr vor seinem Heimgang zum Vater gegenüber den Elfen gebrauchte.  Doch Paulus erhält diese Gabe nicht als Management-Fakultät und noch viel weniger als Disziplinierungsgewalt. Sie ist ihm von Gott gegeben als OIKODOME – ein Begriff, der weit über organisatorische Verantwortung hinausreicht. In ihm steckt tiefer heilsgeschichtlichen Sinn; er betrifft die Umsetzung von Gottes Heilsplan (Eph 1,10) und die Verwirklichung des bislang verborgenen Geheimnisses Gottes (Eph 3,9).

Gewiß ist leider zu beklagen, daß Priester in ihrer Schwäche immer wieder hinter diesem hohen theologischen Anspruch zurückbleiben. Dann wollen selbst gute Christen das "klerikale Monopol brechen". Doch wer garantiert, daß nicht-geweihte Vollmachtsträger - einmal bestellt - ihre Kompetenz nicht mißbrauchen würden?

Gott-Vergessenheit

Wie eingangs vermerkt, besteht das Kirchenrecht darauf: Dem Seelsorge-Engagement von Laien in einer Gemeinde hat ein "Priester…  mit den Vollmachten und Befugnissen eines Pfarrers" vorzustehen. Das ist keineswegs klerikale Überheblichkeit. Vielmehr ist vor falscher Ekklesiozentrik zu warnen. Das kirchliche Ordnungsgefüge kann eine seiner drei zentralen Tätigkeiten – den Leitungsdienst – nicht in eigener Vollmacht vergeben. Er benötigt seine formale Anbindung an Gott – nicht inklusiv, sondern expressis verbis. Andernfalls würde sich die Kirche weiter säkularisieren und trüge selbst noch zu der notorischen und beklagten modernen "Gott-Vergessenheit" (Papst Benedikt XVI.) bei.

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