Vatikanstadt - Samstag, 12. März 2022, 14:30 Uhr.
Papst Franziskus und der Vatikan schweigen bislang über die mehrjährige Haftstrafe gegen Bischof Gustavo Zanchetta wegen des sexuellen Missbrauchs junger Männer.
Dafür gibt es zwei mögliche Gründe, erklärt Andrea Gagliarducci in seiner Analyse für die "Catholic News Agency". Erstens, weil ein kirchenrechtliches Verfahren gegen Zanchetta noch anhängig ist und der Vatikan sich erst nach dessen Abschluss äußern will. Zweitens, weil der verurteilte Kirchenmann beabsichtigt, gegen das Gerichtsurteil Berufung einzulegen.
Der Heilige Stuhl hat in der Vergangenheit die Ergebnisse eines Berufungsverfahrens abgewartet, bevor er eine öffentliche Stellungnahme abgab, erklärt Gagliarducci, und schreibt weiter: Zanchetta war einer der ersten Bischöfe, die Papst Franziskus nach seiner Wahl am 13. März 2013 ernannte. Er wurde am 23. Juli desselben Jahres im Alter von 49 Jahren zum Bischof von Orán im Nordwesten Argentiniens ernannt.
Vorwürfe von Missbrauch und Misswirtschaft
Drei Jahr später trat er als Bischof zurück, vorgeblich wegen "gesundheitlicher Probleme". Zu diesem Zeitpunkt war Zanchetta jedoch nach Spanien verschwunden und schließlich in Rom gelandet: Der Rücktritt wurde am 1. August 2017 offiziell gemacht. Zu dieser Zeit lebte Zanchetta schon in der Residenz "Domus Sanctae Marthae" im Vatikan: Dieses "Gästehaus" ist auch die Residenz von Papst Franziskus.
Es war auch der Papst, der dafür sorgte, dass sein argentinischer Schützling einen neuen Posten im Vatikan bekam, erinnert Gagliarducci: Am 19. Dezember 2017 wurde der Bischof zum Assessor der Verwaltung der Güter des Apostolischen Stuhls (APSA), der "Zentralbank" des Vatikans, ernannt. Der Posten wurde eigens für ihn geschaffen, obwohl es Gerüchte über finanzielle Misswirtschaft während seiner Amtszeit in Orán gab.
Zu diesem Zeitpunkt skandalisierte Zanchettas Verhalten – der seit Jahren "auffällig" geworden war – ebenso wie das Vorgehen des Papstes viele Katholiken in Argentinien: Eine Reihe von investigativen Artikeln der Zeitung "El Tribuno" deckten die Missbrauchsvorwürfe gegen den Bischof ausführlich auf.
Am 4. Januar 2019 wurde Zanchetta von seinem Posten im Vatikan suspendiert, und ein Ermittlungsverfahren wegen des Vorwurfs des sexuellen Missbrauchs gegen ihn eingeleitet.
Erklärung von Papst Franziskus
Alessandro Gisotti, damals amtierender Pressesprecehr, ließ dazu mitteilen, dass Zanchetta wegen "seiner Schwierigkeiten bei der Leitung des Diözesanklerus und der angespannten Beziehungen zu den Priestern" von seinem Bischofsamt zurückgetreten sei.
In einem Interview mit der mexikanischen Journalistin Valentina Alazraki, das im Mai 2019 vom vatikanischen Nachrichtenportal veröffentlicht wurde, verteidigte der Papst sein Vorgehen. Er habe sich stets bemüht, die Vorwürfe gegen Zanchetta zu klären, teilte Franziskus mit.
"Es gab eine Anschuldigung, und bevor ich ihn zum Rücktritt aufforderte, ließ ich ihn sofort mit der Person, die ihn beschuldigte, hierher kommen. Am Ende verteidigte er [Zanchetta] sich damit, dass sein Mobiltelefon gehackt worden sei. Angesichts von Beweisen und einer guten Verteidigung bleiben also Zweifel, aber in dubio pro reo [im Zweifel für den Angeklagten]. Und der Kardinal von Buenos Aires wurde Zeuge von allem. Und ich bin ihm in besonderer Weise gefolgt."
"Natürlich", fuhr der Papst fort, "hatte [Zanchetta] eine Art und Weise des Umgangs, nach Meinung mancher eine despotische, autoritäre, wirtschaftliche Verwaltung der Dinge, die nicht ganz klar ist, wie es scheint, aber das ist nicht bewiesen worden."
"Es besteht kein Zweifel, dass sich die Priester von ihm nicht gut behandelt fühlten. Sie beschwerten sich, bis sie sich als Geistliche bei der Nuntiatur beschwerten. Ich rief die Nuntiatur an, und der Nuntius sagte zu mir: 'Sehen Sie, die Frage der Anzeige von Missbrauch ist ernst,' Machtmissbrauch, könnte man sagen. Sie haben es nicht so genannt, aber das war es."
"Ich ließ ihn hierher kommen und bat ihn, zu widerrufen. Ganz klar und deutlich. Ich habe ihn nach Spanien zu einem psychiatrischen Test geschickt. Einige Medien haben gesagt: 'Der Papst hat ihm einen Urlaub in Spanien geschenkt.' Aber er war dort, um einen psychiatrischen Test zu machen, und das Testergebnis war in Ordnung; sie empfahlen eine Therapie einmal im Monat."
"Er musste nach Madrid fahren und jeden Monat eine zweitägige Therapie machen, also war es nicht günstig, ihn nach Argentinien zurückkehren zu lassen. Ich behielt ihn hier, weil der Test zeigte, dass er über Diagnose-, Management- und Beratungsfähigkeiten verfügte. Manche haben das hier in Italien als 'Parkplatz' interpretiert."
Papst Franziskus betonte weiter, dass Zanchetta "wirtschaftlich ungeordnet war, ja, aber er hat die Werke, die er getan hat, nicht wirtschaftlich schlecht verwaltet."
"Er war unordentlich, aber die Vision war gut", sagte der Papst über seinen Schützling wörtlich. "Also habe ich mich auf die Suche nach einem Nachfolger gemacht. Sobald der neue Bischof eingesetzt war, beschloss ich, die Voruntersuchung der gegen ihn erhobenen Vorwürfe einzuleiten. Ich habe den Erzbischof von Tucumán ernannt. Die Kongregation für die Bischöfe hat mir verschiedene Namen vorgeschlagen. Also habe ich den Vorsitzenden der argentinischen Bischofskonferenz angerufen, ihn auswählen lassen, und er hat gesagt, dass der Erzbischof von Tucumán die beste Wahl für dieses Amt sei."
Der Papst fuhr fort: "Die Voruntersuchung ist offiziell eingetroffen. Ich habe sie gelesen und gesehen, dass es notwendig war, einen Prozess zu führen. Also habe ich es an die Kongregation für die Glaubenslehre weitergegeben. Das Verfahren ist im Gange."
"Warum habe ich das alles erzählt? Um den ungeduldigen Menschen zu sagen, die sagen 'er hat nichts getan', dass der Papst nicht jeden Tag veröffentlichen darf, was er tut, aber vom ersten Moment dieses Falles an habe ich nicht nur zugeschaut."
Razzia und Vorwürfe der Staatsanwaltschaft
Als sein Fall vor Gericht kam, reiste Zanchetta zwischen Rom und Argentinien hin und her. Im Juni 2020 nahm er seine Arbeit bei der APSA wieder auf. Sein Auftrag dort endete im Juni 2021, woraufhin er nach Hause zurückkehrte.
Nachdem Zanchetta im Juli 2019 im Zusammenhang mit seinen Handlungen gegen zwei Männer angeklagt worden war, führte die Einheit für Wirtschaftskriminalität von Orán im November 2019 eine Razzia in den Büros der Kanzlei durch. Die Razzia wurde durchgeführt, um Zanchettas angeblichen Betrug am Staat zu untersuchen, wie die Lokalzeitung "El Oranense" berichtete.
Neben dem Vorwurf, Kirchengelder, die von den Gläubigen in der Diözese gespendet wurden, falsch zu verwalten, zeigen öffentliche Aufzeichnungen, dass Zanchetta mehr als eine Million argentinische Pesos (rund 10.500 US-Dollar) von der Provinz Salta erhalten hat, um ein Pfarrhaus zu renovieren und für "Vorlesungen" in einem Priesterseminar, die jedoch nie stattgefunden haben sollen.
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Während der Strafprozess in Argentinien abgeschlossen ist, gibt es aktuell keine Neuigkeiten über den kanonischen Prozess, der vom Vatikan bereits 2019 eingeleitet wurde, schreibt Gagliarducci. Im Vorfeld des Prozesses gegen Zanchetta hatten die argentinischen Staatsanwälte um die Akten der vatikanischen Untersuchung gebeten. Da sie diese nicht erhalten haben, haben sie beschlossen, trotzdem weiterzumachen.
Müssen die Gläubigen in Oran und anderswo also auf das Ende des kanonischen Prozesses gegen Zanchetta warten, um eine offizielle Stellungnahme des Heiligen Stuhls zu erhalten? Möglicherweise. Wobei die Frage offen ist, warum das kirchenrechtliche Verfahren so lange dauert, dass ein weltliches Verfahren gleichzeitig eröffnet, geführt und erster Instanz abgeschlossen werden konnte. Zumal die Glaubenskongregation ebenfalls reformiert werden soll: Wie wird die neue Struktur mit solchen Fällen verfahren?
Vielleicht wird sich Papst noch einmal äußern, etwa während der Pressekonferenz während des Fluges aus Malta am 3. April, bemerkt der Vatikanist Gagliarducci.
Eine Antwort zu den offenen Fragen im Verfahren gegen Zanchetta steht also aus, ebenso wie wie zu den viel tieferen, symptomatischen Problemen, auf die der Fall verweist: Sie berühren zuletzt auch das Wesen des Kirchenrechts und die Souveränität des Heiligen Stuhls.
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