Sydney - Freitag, 8. Dezember 2017, 14:55 Uhr.
Wenn die Sonne scheint – und das ist in Sydney oft der Fall – kommen zur Mittagszeit aus den Hochhäusern des Central Business District die Office Workers gepurzelt. Im kleinen City Park, zwischen der Auffahrt zur Harbour Bridge und den Büros von Paypal Australia und Deloitte gelegen, sitzen sie – in Kostüm, Krawatte, Anzug – auf den Parkbänken, in der linken Hand ein Sandwich und ein Smartphone in der rechten. Darauf lesen, liken und debattieren sie seit Wochen vor allem eines: die neuesten Nachrichten zur Einführung der "Homo-Ehe" in Australien. Wobei "Nachrichten" nicht der abgehobenen Rhetorik gerecht wird, mit der etwa der sonst seriöse "Sydney Morning Herald" berichtet.
Pathetische Prosa
"Die Schwerkraft verlor an Bedeutung": So beschrieb am 8. Dezember Herald-Autor Tony Wright – wohlgemerkt nicht im Meinungsressort – die Entscheidung im Repräsentantenhaus für eine Umdefinierung der Ehe. "Es war geschehen. Fast jeder Abgeordnete des Repräsentantenhauses hatte für eine Änderung des Ehe-Gesetzes mit ‚Ja‘ gestimmt. Von diesem Moment an würden die Gesetze des Landes nicht mehr die Ehe beschränken auf die zwischen einem Mann und einer Frau. Sie würde, einfach, für zwei Menschen sein."
Was diese pathetische Prosa verschweigt, was die seit Wochen flächendeckend verbreiteten Bilder vom Siegeszug jubelnder Massen mit Regenbogenfahnen nicht zeigen: Ganz so "einfach" ist es nicht für alle Australier – vor allem für jene, welche die viel beschworene "kulturelle Vielfalt" ausmachen.
Kritiker warnen: Das oft und gern gemalte Bild vom Siegeszug der Diversity Down Under ist nur das Bild der säkularisierten, wohlhabenderen Seite Australiens. Kein Platz in diesem Bild haben jedoch gerade jene, welche Australiens Vielfalt ausmachen, aber weniger in Medien und Politik vertreten sind: Die Arbeiter, die Migranten, und viele religiöse Menschen. Das belegt auch die Volksabstimmung per Brief, die im November der parlamentarischen Entscheidung vorausgegangen war: In 12 Wahlkreisen im Westen Sydneys etwa, wo viele weniger Wohlbetuchte leben, aber dafür viele "neue Australier", stimmte eine Mehrheit gegen die Neudefinition der Ehe.
Vermeintliche Vielfalt
Das sorgte für Aufregung: Ausgerechnet im besonders "diversen" Bundesstaat New South Wales stimmten nur 57.80 Prozent der Wähler für eine "Homo-Ehe", während in den anderen Staaten alle zwischen 60 Prozent und 65 Prozent der Wähler für eine solche votierten. Und ausgerechnet im besonders privilegierten Australian Capital Territory wiederum, das rund um die Hauptstadt Canberra liegt – also überduchschnittlich viele Politiker, Diplomaten und Akademiker beheimatet – stimmten 74 Prozent der Wähler dafür.
Die Antwort auf die Aufregung spricht Bände. Die "Westies" – wie die Bürger im Westen Sydneys nicht immer freundlich bezeichnet werden – würden nun angegriffen werden dafür, "moralisch schwach und sozial zurückgeblieben" zu sein, so der Urbanismus-Experte Dallas Rogers in einem Kommentar für die öffentlich-rechtliche Australian Broadcasting Corporation (ABC). Sein Lösungsvorschlag? Nicht mehr Toleranz für unterschiedliche Meinungen, oder etwa eine offene Debatte; statt dessen Erziehung. Mehr Bildung, so der Dozent der University of Sydney, sei die Antwort. Die Haltung ist klar: Wer gegen eine "Homo-Ehe" ist, der muss erzogen werden, bis er echte Vielfalt gelernt hat.
Für eine ganz andere, nämlich nach eigenen Aussagen "solide katholische" Erziehung in Fragen Ehe, Gender und Sexualität setzt sich Erzbischof Julian Porteous von Hobart ein. Es sei die Pflicht katholischer Schulen, angesichts der Bemühungen von "Aktivisten, Programme einzuführen, welche die Bedeutung von Sexualität, Geschlecht (gender), Beziehungen und Ehe radikal umdeuten wollen", die Lehre der Kirche zu vermitteln, sagte er in einem Interview im November 2015 gegenüber der Zeitung The Mercury.
Wenige Tage später legte eine Transgender-Aktivistin und Grünen-Politikerin eine offizielle Diskriminierungsbeschwerde gegen den Erzbischof ein. Die Begründung: Die Bischöfe hatten landesweit in ihren Schulen – rund 20 Prozent in Australien sind katholische Einrichtungen – eine Broschüre verteilt, in der die Ehe als Verbindung von Mann und Frau beschrieben wird. Auch vor den Folgen einer Einführung der "Homo-Ehe" für Kinder warnte die Publikation. Das sei Diskriminierung, so der Vorwurf der Aktivistin.
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Erzbischof Porteous rechtfertigte die Broschüre unter anderem mit dem Hinweis, wie wichtig es sei, vor einer Volksabstimmung alle relevanten Perspektiven anzuhören. Die Kirche sei aufgerufen, die katholische Lehre an ihren Schulen "solide" zu vertreten und unterrichten.
Die Aktivistin zog – nach einer Mediation mit dem Anti-Diskriminierungsbeauftragten – im Mai 2016 die Beschwerde zurück.
Eine Frage der Glaubwürdigkeit
Der Fall zeigt, wie schwierig die Lage der katholischen Kirche ist, die zudem kompliziert wird von dem massiven Glaubwürdigkeitsverlust, den die Missbrauch-Skandale auch und gerade in Australien bedeuten sowie die Tatsache, dass der gesellschaftliche Graben auch quer durch die Schafherde geht: Mehrere Untersuchungen haben gezeigt, dass die fünf Millionen Katholiken unter 24 Millionen Bürgern zu etwa 66 Prozent für die Einführung einer staatlichen Legalisierung gleichgeschlechtlicher Partnerschaften in Form einer Ehe sind.
Um in einem solchen Klima auch nur annähernd glaubwürdig nicht nur über das katholische Eheverständnis zu sprechen, sondern auch verknüpfte Fragen, etwa zum Menschenrecht auf Religionsfreiheit und die Konsequenzen einer Einführung der "Homo-Ehe", verbündete sich die Kirche daher mit anderen christlichen sowie jüdischen und islamischen Vertretern zur "Coalition for Marriage".
Diese Koalition – zu der 14 Bischöfe gehören, aber auch Rabbiner und Imame – veröffentlichte eine Stellungnahme zum Ergebnis der Briefwahl. Man akzeptiere den Willen des australischen Volkes, werde aber auch "weiterhin die Rechte von Eltern verteidigen, und für das Recht auf Meinungsfreiheit und Religionsfreiheit zu kämpfen." In der Debatte und Abstimmung, so die Koalition nach dem parlamentarischen Wahlausgang, sei dies nicht geschehen.
Ob und wie die Rechte religiöser Einrichtungen und Menschen nun beschnitten und bekämpft werden, wird sich zeigen.
Wer darüber nicht nur lesen und debattieren will, sondern auch beten, der kann dies im City Park in Sydney ganz einfach tun: Direkt gegenüber liegt die Kirche St. Patrick‘s. Hier wird werktags fünfmal die Messe gefeiert, und vier Stunden Beichte gehört. Das immer gut besuchte Gotteshaus versteht sich seit 1868 als "spirituelle Oase mitten in der Stadt" – und wird es für die Katholiken hier auch im Jahr 2068 sein, so Gott denn will.
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