Kirchenkrise und Jugendsynode: Eine Frage der Glaubwürdigkeit

Analyse zum Stand des Bischofstreffens: Wie amerikanische Fragen und australische Lektionen das Bischofstreffen und den Vatikan herausfordern

Vom 3. bis 28. Oktober dauert die Synode über "Jugend, Glaube und die Berufungsentscheidung"
Daniel Ibanez / CNA Deutsch

Allein die Tatsache, dass dies manche Entscheider in Rom überrascht hat, ist bezeichnend: Die Kirchenkrise - ausgelöst durch Missbrauch und Vertuschung - und der Glaubwürdigkeitsverlust ist beherrschendes Thema der Bischofssynode. Entwicklungen in Australien und den USA spielen eine bedeutende Rolle. Aus angelsächsischer Sicht stellt sich umgekehrt die Frage, ob und wie Kurienvertreter die Kirchenkrise, speziell den Fall McCarrick, als eine Art Abstimmung über Papst Franziskus sehen. 

Im Presse-Saal des Vatikans klappern die Tastaturen. Die Gesichter auf dem Podium wechseln, doch das Thema bleibt das gleiche bei der täglichen Pressekonferenz der Jugendsynode in Rom. Sei es der Erzbischof aus Malta am Montag oder Kardinäle aus Kanada und Indien am gestrigen Dienstag: Die Fragen drehen sich um Missbrauch, Vertuschung und die "Turbulenzen" in der Kirche. 

Durst nach Wahrheit und Gerechtigkeit

Erzbischof Charles Scicluna, anerkannter Experte für Missbrauchsverfahren und mehrfach Ermittler für Papst Franziskus im von Skandalen erschütterten Chile, verwies die Journalisten darauf, dass auch das Instrumentum Laboris den Missbrauch bereits anspreche, und dessen Rolle einordnen helfe.

Der Missbrauch und die Vertuschung seien eine "traurige Erfahrung der Jugendlichen in der Kirche", so Scicluna.

"Die Synode muss es behandeln, denn es gibt junge Opfer und man muss über ihre Verletzungen sprechen", so der Erzbischof, und weiter: "Ich habe den jungen Menschen, die missbraucht wurden, erst einmal nicht viel zu sagen. Ich ziehe es vor, mit ihnen zu weinen. Schweigen und Weinen sind die erste Antwort".

Doch es gebe auch "einen großen Durst nach Wahrheit und Gerechtigkeit, der mit der Barmherzigkeit nicht unvereinbar ist", betonte Scicluna. Und er warnte, dass "eine leere Barmherzigkeit, die die Wahrheit nicht achtet" nicht helfen werde.

Dann erinnerte der Experte an die Aufsehen erregenden Worte eines Amtsbruders aus Australien: Erzbischof Anthony Fisher von Sydney hat bei der Vollversammlung der Synode mit einem sehr deutlichen Mea Culpa die Kirchenkrise angesprochen und ebenfalls zur Umkehr aufgerufen.

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In Anwesenheit von Papst Franziskus entschuldigte sich Fischer "für die schändlichen Taten", welche Jugendlichen zugefügt wurden, und den "schrecklichen Schaden" den diese Täter anrichteten.

Der Australier entschuldigte sich auch vor der versammelten Synode bei den Jugendlichen dafür, dass "zu viele Bischöfe und andere nicht angemessen reagiert haben, wenn Missbrauch festgestellt wurde, und nicht alles in ihrer Macht Stehende getan haben, um für eure Sicherheit zu sorgen; und für den Schaden, der damit der Glaubwürdigkeit der Kirche und eurem Vertrauen zugefügt wurde".

Australiens Lektion für die Weltkirche

Auch wenn seine Worte Schlagzeilen machten: Fischer war nicht der einzige Synodenvater, der so sprach. Und nicht wenige Skeptiker winken ab: Schuldbekenntnisse, Entschuldigungen und Aufrufe zur Umkehr von Bischöfen können sie nicht mehr beeindrucken – auch die des Erzbischofs von Sydney. 

Doch wer die Kirche in Australien kennt, der weiß: Im Jahr 2008 hat der damalige Weihbischof Fischer zum Weltjugendtag in Sydney noch den Missbrauch als "alte Wunden" bezeichnet, über die man doch jetzt nicht weiter "mäkeln" sollte. Dafür wurde er damals von Opfergruppen scharf kritisiert.

Und dann kam die Royal Commission - eine historische Zäsur für die Kirche in Australien, die weltweit Folgen haben könnte. 

Seit deren Abschluss im Dezember 2017 ist in Australien viel von dem passiert, was in Europa wie den USA noch aussteht, von Rom ganz zu schweigen.

Mit der Royal Commission legte in Australien eine juristisch, mit richterlichen Vollmachten ausgestattete Kommission schonungslos und akribisch Missbrauch in Kirche und der gesamten Gesellschaft offen. Und erarbeite hunderte Vorschläge, wie dieser in Zukunft vermieden werden kann – bis hin zum weltweit berichteten Vorschlag, im Fall von Missbrauch das Beichtgeheimnis nicht mehr zu achten.

Mit Erzbischof Philip Wilson von Adelaide wurde zudem in diesem Jahr der erste Würdenträger der Geschichte wegen Vertuschung zu einer Haftstrafe verurteilt.

Auf den Punkt gebracht haben Erzbischof Fischer und die gesamte katholische Kirche in Australien also eine sehr schmerzhafte Lektion durchgemacht, die vielerorts noch aussteht – auch in Deutschland, und die in den USA gerade scheibchenweise begonnen hat: Eine unabhängige Prüfung des Missbrauchs, und vor allem auch der Verantwortlichen der systematischen Vertuschung, die personelle Konsequenzen hat und verbindlich Verantwortung schafft durch klare Rahmenbedingungen. 

(Genau dies hat - aus Sicht von Experten wie Betroffenen, Politikern wie Opferverbänden - die Missbrauchsstudie der Deutschen Bischofskonferenz nicht geleistet, wie CNA Deutsch berichtete.)

Eine "Abstimmung" über den Papst?

Wenn im Februar Papst Franziskus die einbestellten Vorsitzenden der weltweiten Bischofskonferenzen zur Kirchenkrise trifft, darunter auch Kardinäle Reinhard Marx und Christoph Schönborn, wird nicht nur die Frage der Glaubwürdigkeit eine Rolle spielen, oder die der Rolle des Klerikalismus oder gar der Gottlosigkeit - die galoppierende Apostasie - die letztlich Ursache einer solchen Krise ist. 

Auch die Rolle des Papstes selbst steht dann im Mittelpunkt; dem Heiligen Vater zu vertrauen, "dass es eine Lösung geben wird", wie Erzbischof Scicluna am Montag sagte.

"Give him time" - Gebt ihm dafür die Zeit, so Scicluna wörtlich. Das sei eine "entlarvende" Antwort, schrieb der Chefredakteur der englischen Ausgabe von CNA, JD Flynn, in seiner Analyse.

"Viele US-Katholiken fragen sich, wie viel Zeit der Papst braucht, um eine umfassende Reaktion auf eine Krise einzuleiten, die sie als eine systemische sehen", so Flynn. Auch Kardinal Timothy Dolan aus New York habe Reportern schon letzten Monat gesagt, dass er "ungeduldig" geworden sei und darauf gewartet habe, dass der Papst auf die Krise in den USA reagiere. Andere Bischöfe in den USA haben sich dieser Meinung angeschlossen.

"Für viele US-Katholiken ist es jetzt an der Zeit für eine Lösung", so Flynn.

Doch die Äußerungen Sciclunas wie anderer Kirchenvertreter zeigen, so der CNA-Chefredakteur weiter, dass "viele vatikanische Führungspersönlichkeiten die Stimmung der US-Katholiken über die aktuelle Krise nicht ganz verstehen und dass Amerikas aufkeimende Krise des Glaubens an die Kirchenführung sowohl Verwirrung als auch Besorgnis stiftet".

So manches vatikanische Amt und so mancher Beamter des Vatikans würden in der McCarrick-Frage offenbar eine Art "Abstimmung über Papst Franziskus" sehen. 

Wer so denkt, der komme zu dem Schluss, "dass diejenigen, die Antworten auf die Vorwürfe von Erzbischof Carlo Vigano suchen, in irgendeiner Weise Gegner des Papstes sein müssen, und dass der einzige Weg, Franziskus zu unterstützen, darin besteht, von der Forderung nach vatikanischer Rechenschaftspflicht abzusehen", analysiert Flynn.

Während Ton und Auftreten Viganos teilweise eine solche Reaktion auch rechtfertigen mögen: Das bedeute noch lange nicht, dass man jedem, der Antworten auf die offenen Fragen sucht, gleich politische Motive unterstellen muss, betont Flynn.

Als Beispiel für dieses Verhalten aus der Kurie verweist der Journalist auf einen Tweet der Päpstlichen Akademie für das Leben: Eine Stunde, nachdem der Vatikan am vergangenen Samstag die Prüfung der Unterlagen zum Fall McCarrick ankündigte, tweete die Akademie: "Now STOP gossip, TRUST Holy See." Mit anderen Worten: "Jetzt SCHLUSS mit den Gerüchten. VERTRAUT dem Heiligen Stuhl".

Ein weiteres Beispiel, so Flynn, ist der Offene Brief von Kardinal Marc Ouellet an Erzbischof Vigano: Der Präfekt der Bischofskongregation verurteilt darin aufs Schärfste die Vorwürfe Viganos. 

Doch gleichzeitig bestätigt er einen zentralen Punkt der Vorwürfe: Dass McCarrick Sanktionen auferlegt waren, wenngleich unklar ist, ob und wie diese genau kirchenrechtlich oder schriftlich verortet waren. 

Flynn weist daraufhin, dass Ouellet gleichzeitig - und nicht ohne Grund, angesichts einiger Unterstützer Viganòs - die Meinung vertritt, es handle sich bei den Aussagen Viganòs um eine Art politischer Intrige, und eine Art "Abstimmung über die Heiligkeit und Integrität des Papstes".  

Diese ebenso unterschiedlichen wie verständlichen Sichtweisen - die amerikanische und die vatikanische - darf man nicht außer Acht lassen, ebenso wie die weiterhin offene amerikanische Frage nach einer Untersuchung des Falls McCarrick durch den Vatikan.

Wie es jetzt weiter geht

Unterdessen gehen bei der Jugendsynode die Diskussionen und Treffen weiter. 

Nach Angaben von Paolo Ruffini, dem Präfekten des vatikanischen Dikasteriums für die Kommunikation, "herrscht unter den Synodenvätern ein sehr gutes Klima, sei es bei den allgemeinen Diskussionen als auch in den kleineren Kreisen."

Dabei geht es auch und gerade um die "Turbulenzen" in der Kirche, so Kardinal Gérald Cyprien Lacroix am gestrigen Dienstag.

Der Erzbischof von Québec der auch Mitglied der Kommission für die Erarbeitung des Abschlussdokuments der Synode ist, sagte weiter:  

"In unseren Diskussionsgruppen haben wir gesagt, dass wir den Ordensleuten, Bewegungen und Verbänden eine bessere Ausbildung in Bezug auf das Thema Sexualität geben müssen."

Doch letztlich gehe es um einen Aufruf zur Umkehr, betonte Lacroix.

"Wir müssen einen Aufruf zur Bekehrung starten und bei uns selbst anfangen. Denn wenn wir nicht bei uns selbst anfangen, wären das nur leere Worte. 

Das bestätigte Kardinal Oswald Gracias aus Bombay. Der Vorsitzende der Indischen Bischofskonferenz betonte, dass die Kirche gar nicht "in der Defensive" sein wolle, was die Kirchenkrise und ihre Ursachen betrifft.

Gerade die Bereitschaft darüber zu sprechen mache dieses Thema zu einem der meistdiskutierten in der Bischofssynode, so der Kardinal, der auch im "K9"-Rat sitzt: "Wir wollen eine authentische Kirche und die Jugendlichen auch. Wir wollen ein authentischeres Leben der Mitglieder der Kirche und wir wollen in Ehrlichkeit leben. Das ist unser Ziel."

AC Wimmer ist Chefredakteur von CNA Deutsch. In Rom trugen Courtney GroganAndrea Gagliarducci und JD Flynn zur Berichterstattung bei.

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