"Europa zeigt mehr Interesse am Tierschutz als an religiösen Minderheiten"

Patriarch befürchtet weitere Abwanderung von Christen aus dem Nahen Osten

Patriarch Ignatius Joseph III. Younan von Antiochien, Oberhaupt der syrisch-katholischen Kirche.
Kirche in Not

Der syrisch-katholische Patriarch Ignatius Joseph III. Younan aus dem Libanon hat den europäischen Regierungen mangelnden Einsatz vorgeworfen, um die Auswanderung der Christen aus dem Nahen Osten zu stoppen. Europa zeige mehr Interesse am Tierschutz und der Unterordnung unter den säkularen Mainstream, als an den religiösen Minderheiten, beklagte Younan bei einem Besuch in der internationalen Zentrale des weltweiten katholischen Hilfswerks "Kirche in Not" (ACN) in Königstein im Taunus. "Der Westen tut nicht das, was er tun sollte, um die Minderheiten im Nahen Osten zu verteidigen, vor allem die Christen. Man muss sich nur einmal die Probleme im Libanon ansehen, um den Politikern zu sagen: ,Genug ist genug’. Vielleicht interessiert das die westlichen Regierungen nicht mehr. Sie haben andere Prioritäten."

Ausgewanderte Christen kehren nicht zurück

Die Erfahrungen aus Syrien, dem Irak oder der Türkei zeigten, dass die ausgewanderten Christen nicht zurückkehrten. "Wir können sie nicht zum Bleiben überreden. Sie fragen sich: ,Warum sollten wir zurückkehren, wenn wir unseren Kindern weder ein anständiges Leben noch Religionsfreiheit garantieren können?’" Dabei seien die Christen seit zwei Jahrtausenden Teil dieser Weltregion, betonte der Patriarch.

Aufgrund der Wirtschafts- und Politkrise im Libanon halte dort auch die Migrationswelle an: Younan erzählte von einem Geistlichen seiner Kirche, der eine Aufenthaltsgenehmigung beantragt habe. Auf der Behörde habe man ihm mitgeteilt, dass dort täglich 5000 neue Reisepässe ausgestellt würden. Etwa zwei Drittel davon seien für Christen, die ihre Auswanderung planen. "Wir haben große Angst, dass die Christen für immer aus dem Libanon und dem gesamten Nahen Osten verschwinden, wenn die Krise anhält", erklärte Younan.

55 Prozent der Libanesen leben in extremer Armut

Der Libanon befindet sich in einer schweren Wirtschaftskrise, die zu einer extrem hohen Inflation geführt hat. Rund 55 Prozent der Bevölkerung leben unterhalb der Armutsgrenze; die Zahl habe sich innerhalb eines Jahres nahezu verdoppelt, so die Wirtschafts- und Sozialkommission für Westasien (ESCWA). Ein Großteil der libanesischen Bevölkerung leidet unter den Folgen der Explosion im Hafen von Beirut im August 2020. Diese hat auch das christliche Viertel der Hauptstadt schwer getroffen.

"Kirche in Not" hat umfangreiche Nothilfen zur Verfügung gestellt und unterstützt den Wiederaufbau pastoraler Einrichtungen wie Kirchen, Gemeindezentren, Kindergärten und Hilfsstellen. Allein 2021 unterstützt das Hilfswerk über 100 Einzelprojekte im Libanon.

Patriarch Ignatius Joseph III. Younan von Antiochien stammt aus dem Norden Syriens und leitet seit 2009 die mit Rom unierte syrisch-katholische Kirche, der über eine Viertelmillion Gläubige im Nahen Osten angehören. Sitz des Patriarchen ist Beirut.

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