"Kompetenzwirrwarr" in Rom – Bischof Jung kritisiert Umgang mit sexuellem Missbrauch

Die Statue des Heiligen Petrus blickt über den Petersplatz im Vatikan am 3. Juni 2016.
Die Statue des Heiligen Petrus blickt über den Petersplatz im Vatikan am 3. Juni 2016.
CNA/Martha Calderon (Bild digital bearbeitet).
Der Würzburger Bischof Franz Jung.
Der Würzburger Bischof Franz Jung.
Screenshot / YouTube
Pater Hans Zollner SJ, Präsident des Kinderschutzzentrums der Universität Gregoriana in Rom und Mitglied der Päpstlichen Kinderschutzkommission, bei einem Vortrag über sexuellen Missbrauch am 17. Februar 2020 in Würzburg.
Pater Hans Zollner SJ, Präsident des Kinderschutzzentrums der Universität Gregoriana in Rom und Mitglied der Päpstlichen Kinderschutzkommission, bei einem Vortrag über sexuellen Missbrauch am 17. Februar 2020 in Würzburg.
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In einem Podiumsgespräch hat der Würzburger Bischof Franz Jung die Methodik des Vatikan bei der Aufarbeitung von Missbrauchsvorfällen kritisiert. Die Beurteilung von gemeldeten Fällen sei "in vielen Fällen nicht transparent", so Jung. Gleichwohl gab er zu, die Bistümer seien 2010 von den Enthüllungen der Missbrauchsvorfälle regelrecht "überrollt" worden. Auch der Jesuitenpater Hans Zollner, Präsident des Kinderschutzzentrums der Universität Gregoriana in Rom und Mitglied der Päpstlichen Kinderschutzkommission, beteiligte sich an der Diskussion. Zollner sprach beim Thema Missbrauch von einem erlernten "Abwehrverhalten" der Kirche.

Im Gespräch, das von Rainer Dvorak, dem Leiter der Domschule Würzburg, moderiert wurde, kündigte Jung an, dass das Bistum Würzburg noch in diesem Jahr weitere Schritte zur Aufarbeitung sexualisierter Gewalt einleiten werde. Zum Gesprächsthema "Leid und Gerechtigkeit" war auch Pater Hans Zollner SJ ins Burkardushaus nach Würzburg gekommen und berichtete in einem Vortrag von seinen Erkenntnissen zum Thema "sexualisierte Gewalt in der Kirche".

Bischof Jung versprach unterdessen, dass die Treffen mit den Betroffenen weitergehen sollen. Bisher würden sie von den Beteiligten "konstruktiv wahrgenommen". Außerdem stellte er weitere Maßnahmen in Aussicht:

"Einzelne Bistümer haben bereits mit Projekten begonnen. Wir im Bistum Würzburg werden in diesem Jahr beginnen."

Konkret wurde Jung indes nicht. So hatte das Erzbistum Freiburg beispielsweise angekündigt, monatliche Entschädigungszahlungen an Betroffene zu entrichten. Der Würzburger Bischof dagegen möchte für seine Projekte noch einen "entsprechenden Beschluss der deutschen Bischofskonferenz" abwarten, der "zum Sommer hin" erfolgen soll. Der DBK sei es wichtig, so Jung, alle Schritte mit dem Missbrauchsbeauftragten der Bundesregierung, Johannes-Wilhelm Rörig abzustimmen.

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Jung behauptete zudem, dass "Kirchenvertreter Jahre gebraucht" hätten, um die Perspektive Betroffener stärker als früher in ihr Denken einzubeziehen. Die von den deutschen Bischöfen in Auftrag gegebene "MHG-Studie", die allerdings nicht unumstritten ist, habe die Betroffenen und ihr Leid massiv ins Bewusstsein gerückt.

Die Enthüllungen im Jahr 2010 hätten die Bistümer regelrecht "überrollt", so der Oberhirte. Damals sei man angezeigten Fällen nachgegangen und habe "Basisarbeit" geleistet, etwa durch das Erarbeiten von Präventionsordnungen. Dieses "Erstellen von Instrumentarien" habe so viel Energie gebunden, dass für weitergehende Fragen wie die "systemischen Ursachen des Missbrauchs" keine Energie vorhanden gewesen sei.

Große Erwartungen setzt Jung deshalb in den sogenannten "Synodalen Weg" (lesen Sie hierzu die Analyse eines Missbrauchsopfers).

"Mehr Verlässlichkeit" wünschte sich Bischof Jung außerdem von den zuständigen Behörden in Rom. Dort herrsche teilweise "Kompetenzwirrwarr". Die Einschätzung der gemeldeten Fälle sei "in vielen Fällen nicht transparent", beklagte Jung.

Ein Zuschauer des Podiumsgesprächs formulierte die Vermutung, dass die Überhöhung der priesterlichen Autorität und die damit einhergehende Distanz zwischen Priestern und Laien sexuellen Missbrauch begünstige. Bischof Jung wies diesen Vorwurf zurück:

"Diese Überhöhung nehme ich in unseren Breiten nicht so wahr."

Hans Zollner erklärte, dass sich viele Bischöfe in der Weltkirche "überfordert und allein" fühlten. Der Jesuit wies darauf hin, dass es seiner Erfahrung nach ein "in der Institution Kirche ein erlerntes Abwehrverhalten" gebe, "nämlich das Thema sexualisierte Gewalt aus dem alltäglichen Betrieb herauszuhalten". Seiner Meinung nach müsse man diese Thematik jedoch auch theologisch untersuchen.

Bischof Jung entgegnete, dass diese Abwehrreflexe nicht nur bei "geweihten Amtsträgern" vorkomme, sondern auch an der kirchlichen Basis. Gerade in den Pfarreien habe die Kirche oft Widerstand erfahren, wenn sie gegen mutmaßliche Missbrauchstäter vorgehen wollte. Dieser Widerstand kam laut Jung "von Leuten, die es nicht wahrhaben wollten". Auch Missbrauchsopfer stünden dabei häufig unter Druck, wie Pater Hans Zollner bestätigte:

"In vielen Weltgegenden können die Betroffenen sexuellen Missbrauchs nicht nach außen gehen und sagen, dass sie Betroffene sind – aus kulturellen Gründen. Sie würden ausgegrenzt und als Nestbeschmutzer beschimpft. Das ist die Realität in den meisten Ländern der Welt."

Die Kritik am römischen "Kompetenzwirrwarr" konnte Zollner indirekt bestätigen. Der Präsident des Kinderschutzzentrums der Universität Gregoriana in Rom zählte auf, dass im Vatikan acht von 15 Kardinalskongregationen für Kirchenobere zuständig seien. Wenn Amtsträger wegen Nichtbeachtung kirchlicher Vorschriften angezeigt würden, liege die Zuständigkeit demnach bei verschiedenen Behörden.

Dadurch könne Verantwortung leicht abgeschoben werden, was wiederum zu einem "massiven und andauernden Vertrauensverlust in die Kirche" führe. Zollner appellierte daran, dass die Kirche ein Vorbild in der Aufklärung der Missbrauchsfälle sein könne, da sich die Gesellschaft "vor dem Thema" ebenfalls wegducke.

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