Selten wurde in den letzten Jahrzehnten über die Rolle des Gewissens bei der Kommunionspendung so oft debattiert wie im Zusammenhang mit den umstrittenen Überlegungen des „Ökumenischen Arbeitskreises“.

Bischof Dr. Georg Bätzing, der Vorsitzende der deutschen Bischofskonferenz, hat die protestantisch fundierten, strikt subjektiven und vom Katechismus abweichenden „persönlichen Gewissensentscheidungen“ in der Pressekonferenz nach Abschluss der Online-Tagung der deutschen Bischöfe bekräftigt und in eigener Sache betont: „Ich verwehre einem Protestanten nicht die heilige Kommunion, wenn er darum bittet.“ Zugleich hat er die herrschende Praxis der Kommunionspendung im Bistum Limburg und andernorts bestätigt und verteidigt. Verkannt und vergessen wird im Übrigen oft, dass auch ein römisch-katholischer Christ nicht einfach einen verbindlichen Anspruch auf den Empfang der heiligen Kommunion hat, sondern in rechter Weise dafür disponiert sein muss. Zum Kommunionempfang lädt auch nicht ein Priester ein, der auch nicht befugt ist, nach eigenem Ermessen Sakramente zu spenden, sondern allein Gott. Das ist weder der Ökumene noch der Einheit der Kirche dienlich, im Gegenteil.

Ein ehrfürchtiger, nicht ein beliebiger Umgang mit Sakramenten ist geboten – und ein kirchlich geformter Begriff des Gewissens. Das kirchlich gebildete Gewissen aber ist nahezu in Vergessenheit geraten. Doch auch ein Philosoph Immanuel Kant, ein skeptischer, möglicherweise abtrünniger Protestant, hätte nach Maßgabe seines Gewissensbegriffs manche Statements der letzten Zeit missbilligt.

Motiviert etwa einen Priester eine subjektive Gewissensentscheidung dazu, einem Protestanten die Kommunion zu spenden? Bewegt einen evangelischen Christen seine persönliche Überzeugung, in einer heiligen Messe den Leib Christi zu empfangen? Halten Priester und Kommunikant beide für recht, was sie tun – aus Gewissensgründen? Kant stellt fest: „Ob eine Handlung überhaupt recht oder unrecht sei, darüber urteilt der Verstand, nicht das Gewissen.“ Der Handelnde müsse „gewiß sein, daß die Handlung nicht unrecht sei“. Die oben beschriebene Handlung steht im Widerspruch zu den Weisungen der Kirche, wie sie im Katechismus dargelegt sind. Kann etwas, dass im Widerspruch zum Katechismus steht, in der katholischen Kirche rechtmäßig sein? Oder irren sich dann die Gewissen der Akteure? Kant führt weiter aus, dass ein „irrendes Gewissen“ ein Unding sei. Niemandes Gewissen könne irren, sehr wohl aber Einzelne vermöge dies zu tun – „in dem objektiven Urteile, ob etwas Pflicht sei oder nicht“. Pflicht sei, das eigene „Gewissen zu kultivieren“, katholisch gesprochen: kirchlich zu bilden. Das Gewissen spreche, so Kant, unwillkürlich und unvermeidlich: „Jeder Mensch hat Gewissen und findet sich durch einen inneren Richter beobachtet, bedroht und überhaupt im Respekt (mit Furcht verbundener Achtung) gehalten, und dies über die Gesetze in ihm wachende Gewalt ist nicht etwas, was er sich selbst (willkürlich) macht, sondern es ist seinem Wesen einverleibt.“ Eine nach eigenen Kriterien erstellte Meinung bleibt eine falsche Meinung, auch wenn diese mit dem Begriff des Gewissens versehen wird. Kant formuliert weiter ernsthaft: „Das Gesetz in uns heißt Gewissen. Das Gewissen ist eigentlich die Applikation unserer Handlungen auf dieses Gesetz. Die Vorwürfe desselben werden ohne Effekt sein, wenn man es sich nicht als Repräsentanten Gottes denkt, der seinen erhabenen Stuhl über uns, aber auch in uns einen Richterstuhl aufgeschlagen hat.“ (vgl. Rudolf Eisler: Kant-Lexikon, Berlin 1930, 203 f.)

In den nunmehr immer wieder vorgetragenen Plädoyers für „persönliche Gewissenentscheidungen“, ihre vermeintliche Rechtmäßigkeit und ihren absoluten Geltungsanspruch, drückt sich ein säkularer Glaube an die Autonomie des Menschen (hierzu empfehlenswert: der instruktive Aufsatz auf CNA Deutsch von Pater Engelbert Recktenwald) aus, nicht aber der redliche Glaube eines Christen an den dreifaltigen Gott. 

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