In der Entwicklung der Menschheit gilt die Herrschaftsform der Demokratie als große Errungenschaft und bestmögliche Lösung für ein gelingendes Miteinander im Staat. Nach den Beschlüssen des "Synodalen Weges" soll sie auch in der katholischen Kirche Einzug halten und das Prinzip der Hierarchie ergänzen und ersetzen. Eine Begründung wird dafür nicht vorgetragen. Sie erscheint den Initiatoren offenbar überflüssig oder selbsterklärend. Eine Auseinandersetzung mit den jeweiligen Vor- und Nachteilen unterbleibt völlig.

In der katholischen Kirche gilt allerdings ein anderes Prinzip: die Hierarchie. Der Begriff leitet sich ab aus dem Griechischen und bedeutet "heiliger Ursprung". Damit ist gemeint, dass in der Kirche von Christus her alle Macht und Autorität ausgeht.

Wer herrscht, wer repräsentiert?

Demokratie bedeutet Herrschaft des Volkes, Herrschaft der Mehrheit. Ihre Erfinder – freie Männer – versammelten sich auf dem Marktplatz ihres Stadtstaates (Polis) und beschlossen dort unmittelbar selbst über alles, was die Polis anging. 

Diese Marktplatzdemokratie ist in den heutigen Staaten nicht mehr möglich. An ihre Stelle ist die repräsentative Demokratie getreten. Vom Volk auf Zeit gewählte Vertreter (Repräsentanten) entscheiden als Treuhänder für das Volk über die laufenden politischen Themen. Nach welchen Kriterien handeln sie? Das muss der Wähler wissen, denn er verleiht Macht durch Vertrauen. Demokratie funktioniert deshalb nicht ohne Parteien. Denn wer seine Stimme abgibt, braucht Vertrauensvorschuss für die Politik der nächsten vier Jahre. Für diesen Zeitraum haben die Wähler keinen Einfluss mehr. Grundlage für die Wahlentscheidung sind die aktiv handelnden Politiker, deren inhaltliche Positionierungen in ihren Programmen sowie die Erfahrungen mit bestehenden Traditionen. Dies sind die einzigen Faktoren, die Politik für die Wähler berechenbar machen – zumindest in einem gewissen Umfang.

Auch die Demokratie als Herrschaft der Mehrheit ist nicht automatisch gut. Deshalb gibt es Sicherungsinstrumente. Das wichtigste bilden die Grundrechte, die in der Verfassung verankert sind und in ihrem Wesensgehalt nicht angetastet werden dürfen. Sie bilden Abwehrrechte des einzelnen Bürgers gegenüber einem potenziell übergriffigen Staat. Das Bundesverfassungsgericht übt die Kontrolle aus.

Direkte Demokratie unerwünscht

Der "Synodale Weg" beruft sich zwar auf die Einführung des Demokratieprinzips, übersieht dabei aber wesentliche Strukturprobleme, die völlig ausgeklammert werden und deshalb unbeantwortet bleiben. Eine direkte Demokratie streben die Beschlüsse des "Synodalen Weges" nicht an. Das wäre eigentlich folgerichtig, denn dafür gibt es Ansätze in der Tradition der Kirche. So werden in den Ordensgemeinschaften seit den Anfängen durch Benedikt von Nursia die Oberen eines Konventes bereits seit rund 1500 Jahren direkt gewählt. Das macht auch Sinn, denn die Kandidaten und Wahlberechtigten kennen sich persönlich, sie leben und arbeiten seit Jahren gemeinsam am gleichen Ort. Die Kandidaten sind also allen nicht nur bekannt, sondern wirklich vertraut.

Bei einer Bischofswahl, bei der nach den Vorstellungen des "Synodalen Weges" das Kirchenvolk vorschlagen und entscheiden soll, ist die Situation anders. Welche Wahlberechtigten haben einen Überblick über mögliche Kandidaten innerhalb einer ganzen Diözese? Wieviele im manchmal millionenstarken Gottesvolk einer Diözese können die Eignung, Stärken und Schwächen möglicher Bewerber einschätzen? Selbst wenn sich innerkirchlich ähnliche Gruppen wie politische Parteien bilden würden, so würden die Einschätzungen über Bewerber dennoch nicht qualifizierter – trotz möglicher Wahlkämpfe. Aber möchten wir wirklich so etwas wie Parteien im kirchlichen Bereich?

Politiker stehen im Blickpunkt der Öffentlichkeit. Sie entscheiden über Gesetze, die für alle Bürger gelten, und über Finanzausgaben. Das ist objektivierbar und wird durch Medienberichte vermittelt. Es gibt Sachverständigen-Anhörungen und viele Spielregeln des parlamentarischen Verfahrens, mit dem Bundesrat außerdem eine zweite Kammer. Soll das alles auf den innerkirchlichen Bereich übertragbar sein? Wie gesagt: Der Synodale Weg versucht es erst gar nicht, darauf einzugehen; aus gutem Grund, wie hier ersichtlich wird.

An Jesus Christus ausgerichtet

Nun sind die Aufgaben, die ein Bischof hat, nicht mit dem Regierungshandeln in der Politik vergleichbar. Der Bischof ist ein Gesendeter, der das Evangelium Jesu verkündet. 

In der Kirche geht alle Macht von Christus aus. Er hat das Amt eingesetzt, ihm Vollmacht und Sendung, Ausrichtung und Zielsetzung gegeben. Mit der sakramentalen Natur des kirchlichen Amtes hängt innerlich sein Dienstcharakter zusammen. Weil die Amtsträger ganz von Christus abhängig sind, der Sendung und Vollmacht gibt, sind sie wahrhaft "Knecht Christi" (Röm 1,1) nach dem Vorbild Christi, der für uns freiwillig "Knechtsgestalt" angenommen hat (Phil 2,7). Weil das Wort und die Gnade, deren Diener sie sind, nicht von ihnen, sondern von Christus stammen, der sie ihnen für die anderen anvertraut hat, sollen sie sich freiwillig zu Sklaven aller machen (vgl. 1 Kor 9,19).

Der Katechismus stellt fest: "Diese Gegenwart Christi im Amtsträger ist nicht so zu verstehen, dass dieser gegen alle menschlichen Schwächen gefeit wäre: gegen Herrschsucht, Irrtümer, ja gegen Sünde. Die Kraft des Heiligen Geistes bürgt nicht für alle Taten der Amtsträger in gleichem Maße."

Gleichzeitig wird ein grundsätzlicher Unterschied deutlich: In der Hierarchie handeln die Verantwortlichen in freier Selbstbindung an das von Jesus verkündete Evangelium und dessen überlieferter Wahrheit; in der Demokratie handeln die Gewählten – strukturell – aus Motiven, um Zustimmung und Wohlgefallen beim Wahlvolk zu erlangen. 

Das hierarchische Element in der Kirche besteht darin, dass es Christus selbst ist, der in ihr handelt, wenn geweihte Amtsträger durch Gottes Gnade etwas tun und geben, was sie von sich aus nicht tun und geben könnten, d.h., wenn sie an Stelle Christi die Sakramente spenden und in seiner Vollmacht lehren. 

Von wegen Alternativlos

Das funktioniert natürlich nur, wenn diese von Christus berufenen und gesandten Menschen auch gläubig mit Christus verbunden leben und nach seinem Wort handeln. Herrschaftshandeln im säkularen Sinn hat Jesus strikt untersagt und seinen Aposteln (und deren Nachfolgern) streng den Dienstcharakter jedes kirchlichen Amtes aufgetragen. Trotz des Wagnisses, auf anfällige Menschen zu bauen, funktioniert Jesu Methode seit 2000 Jahren, in denen sich das Christentum erfolgreich aus kleinsten Anfängen zur größten Weltreligion entwickelte. 

Hierarchie im katholischen Sinn unterscheidet sich somit in ihrem Wesen von säkularen Herrschaftsstrukturen "hierarchischer" Art, also von Rangordnungen, die mit Macht ausgestattet sind. In modernen Gesellschaften sind sie weit häufiger verbreitet als demokratische: Kein Unternehmen – nicht mal ein Handwerksbetrieb –, auch keine Behörde kommt ohne Rangstrukturen aus. Das Demokratieprinzip bildet in größeren Einheiten die seltene Ausnahme; es funktioniert in Reinform nur in Landtagen und im Bundestag. Bereits in der kommunalen Selbstverwaltung gibt es eine Machtbalance zwischen Rat und Verwaltung. Ansonsten sind Unternehmen und Behörden nicht demokratisch, sondern in Rangfolgen strukturiert. So entstehen Verantwortungsbereiche, die klar Personen zuzuordnen sind. Erfolg und Misserfolg der handelnden Menschen sind offensichtlich. Bei demokratischen Abstimmungen liegt die Verantwortung bei einem Gremium, dessen Handeln nach außen schwierig zuzuordnen ist. 

Die Selbstverständlichkeit, mit der die Demokratie als einzig zeitgemäßes Prinzip dargestellt wird, ist völlig unangebracht: Bis Bekanntwerden des Missbrauchsskandals rangierte der Beruf des Pfarrers an zweiter Stelle in der Beliebtheitsskala, der Beruf des Politikers im untersten Bereich. Auch aktuell ist ein Pfarrer um ein Vielfaches beliebter als ein Politiker. Die Evidenz spricht also keineswegs für das angeblich alternativlos Zeitgemäße.

Das Konzil und die Macht

Einen zentralen Auftrag des Konzils hat die Kirche bis heute nur mangelhaft aufgenommen. Das kirchliche Lehramt hat in der dogmatischen Konstitution "Lumen Gentium" nicht nur das Bild des pilgernden Gottesvolkes betont. Sondern in dieses Dokument hat auch das Bild des mystischen Leibes Jesu Christi eine grundlegende Bedeutung, das bereits in mehreren Apostelbriefen (Röm, 1 Kor, Gal, Eph) teils intensiv beschrieben wird und das Zusammenspiel innerhalb der Kirche grundlegend bestimmen müsste. Es ist tragisch, wie unbekannt dieser Impuls des Konzils blieb und wie wenig praxisnah er bis heute durchdringt.

Was ist damit gemeint? Im ersten Korintherbrief beschreibt Paulus unterschiedliche Gnadengaben (Charismen), die Gottes Geist schenkt. Rivalität und jedes Konkurrenzdenken will er dabei ausschließen. Deshalb verweist Paulus auf den Ursprung aller Gaben: "Es gibt verschiedene Gnadengaben, aber nur den einen Geist. Es gibt verschiedene Dienste, aber nur den einen Herrn. Es gibt verschiedene Kräfte, die wirken, aber nur den einen Gott: Er bewirkt alles in allen. Jedem aber wird die Offenbarung des Geistes geschenkt, damit sie anderen nützt." 

Niemand soll sich im Volk Gottes über einen anderen stellen, bekräftigt Paulus: "Durch den einen Geist wurden wir in der Taufe alle in einen einzigen Leib aufgenommen, Juden und Griechen, Sklaven und Freie." Dann folgt das Bild des einen Leibes mit vielen Gliedern, die sich gegenseitig ergänzen und nur im Miteinander funktionieren: "Wenn der Fuß sagt: Ich bin keine Hand, ich gehöre nicht zum Leib!, so gehört er doch zum Leib. … 

So aber gibt es viele Glieder und doch nur einen Leib. Das Auge kann nicht zur Hand sagen: Ich bin nicht auf dich angewiesen. Der Kopf kann nicht zu den Füßen sagen: Ich brauche euch nicht." Das Haupt dieses Leibes sei Christus.

Apostolat der Laien

Das Konzil (LG 31) lobt den Reichtum dieser "wunderbaren Mannigfaltigkeit". Das Konzil gibt den Amtsträgern die Aufgabe, die "Dienstleistungen und Charismen (der Laien) so zu prüfen, dass alle in ihrer Weise zum gemeinsamen Werk einmütig zusammenarbeiten". 

Das Konzil betont dazu: "Den Laien ist der Weltcharakter in besonderer Weise eigen." Ihnen obliege die "Regelung der zeitlichen Dinge". Sie leben in der Welt, im Familien- und Gesellschaftsleben, wo sie "Sauerteig zur Heilung der Welt" sein könnten, "vor allem durch das Zeugnis ihres Lebens". Entscheidend: "Der Apostolat der Laien ist Teilnahme an der Heilssendung der Kirche selbst.… So ist jeder Laie kraft der ihm geschenkten Gaben zugleich Zeuge und lebendiges Werkzeug der Sendung der Kirche selbst." Die Laien sind "besonders dazu berufen, die Kirche an jenen Stellen und in den Verhältnissen anwesend und wirksam zu machen, wo die Kirche nur durch sie das Salz der Erde werden kann."

Und dann stellt das Konzil (LG 37) klar: "Die geweihten Hirten aber sollen die Würde und Verantwortung der Laien in der Kirche anerkennen und fördern … und ihnen Freiheit und Raum im Handeln lassen, ihnen auch Mut machen, aus eigener Initiative Werke in Angriff zu nehmen." Und sie sollen ihre Meinung einbringen, "was das Wohl der Kirche angeht". Die Laien haben "die geweihten Amtsträger zu Brüdern", betont das Konzil (LG  32).

Ein mystischer Leib

Das Konzil macht also ernst mit dem Bild des mystischen Leibes Jesu Christi, der von Christus als Haupt geordnet wird, aber in dem alle voneinander abhängig sind und die gleiche Bedeutung haben. Gläubige, die das Wesen dieses Miteinanders im "Leib Christi" kennen und praktizieren, wissen um die Schubkraft, die daraus entspringt. Da bildet die vom Konzil erwähnte "wunderbare Mannigfaltigkeit" eher eine Untertreibung. 

Das Konzil sagt dazu: "Aus diesem vertrauten Umgang zwischen Laien und Hirten kann man viel Gutes für die Kirche erwarten. In den Laien wird so der Sinn für eigene Verantwortung gestärkt, die Bereitwilligkeit gefördert. Die Kraft der Laien verbindet sich leichter mit dem Werk der Hirten. Sie können mit Hilfe der Erfahrung der Laien in geistlichen wie in weltlichen Dingen genauer und besser urteilen. So mag die ganze Kirche, durch alle ihre Glieder gestärkt, ihre Sendung für das Leben der Welt wirksamer erfüllen."

Das Modell des mystischen Leibes Jesu Christi funktioniert aber hierarchisch, nicht demokratisch.

Dritter Teil der Serie bei CNA Deutsch. Wie entstand das unveränderliche Glaubensgut der Kirche? Dieser Frage widmete  sich der erste Teil – und den zweiten Teil – Was kennzeichnet das Bischofsamt? – lesen Sie hier

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