München, 26 Juli, 2021 / 9:28 AM
Einmal hat er bereits seinen Rücktritt erklärt, und danach betont, seines Amtes nicht müde zu sein. Nun hat Kardinal Reinhard Marx von den Kanzeln der Kirchen im Erzbistum München und Freising erklären lassen, dass er einen zweiten Rücktrittsversuch nicht ausschließt. Gleichzeitig betont Marx, er sage "mit großer Bereitschaft wieder ein neues Ja" zu seinem Amt als Erzbischof.
Marx wirft mit seiner neuen Erklärung - wie bereits nach dem ersten Angebot auf einen Amtsverzicht - die Frage nach dem Cui Bono auf: Wem eine neuer Rücktrittsversuch nützen würde.
Er fühle sich als Westfahle in Oberbayern nicht nur "sehr wohl", sondern inzwischen sogar "dahoam", schreibt Marx in dem "Wort an die Gläubigen", das am gestrigen Sonntag auf seine Anordnung als "Hirtenwort" in den Pfarreien der Erzdiözese verlesen wurde.
Der Kardinal verstehe seine Rolle als Bischof "als einen Auftrag für die Menschen in diesem Erzbistum und als Dienst an der Einheit der Kirche", schreibt er darin.
Sollte er aber diesen Dienst "nicht mehr erfüllen können", so Marx weiter, dann wäre es für ihn "an der Zeit – nach Beratung mit den diözesanen Gremien und auch der Aufarbeitungskommission und dem Betroffenenbeirat – zum Wohl der Kirche zu entscheiden" und seinen Amtsverzicht erneut anzubieten.
In seinem ersten Rücktrittsversuch hatte Marx erklärt, für ihn sei "die Kirche" an einem "toten Punkt" angelangt. In seiner neuen Erklärung schreibt der Erzbischof, er stehe weiterhin unter Schock:
"Seit dem Jahr 2010 weicht aber für mich nicht der Schock, dass dies Schreckliche von Amtsträgern und Mitarbeitern der Kirche geschehen ist und wir Bischöfe das möglicherweise nicht immer intensiv genug gesehen haben oder sehen wollten."
Seine Entscheidung zum Amtsverzicht, zu dem er sich "nach reiflichem Überlegen entschieden" habe, "sollte ein Zeichen sein, dass ich für all das persönlich und als Amtsträger Mitverantwortung übernehmen muss, denn als Bischof stehe ich für die Kirche ein, auch für das, was in der Vergangenheit geschehen ist", schreibt der Kardinal.
Was konkret seine eigene Verantwortung betrifft, und wann er sein Amt "nicht mehr erfüllen können" wird: Darauf geht Marx in seiner öffentlichen Erklärung - hier der volle Wortlaut - nicht weiter ein.
Als einschneidend beschreibt der Münchner Erzbischof für sich "die Erkenntnis, dass im Raum der Kirche so viele Menschen Unheil und Leid erfahren haben und nach wie vor daran schwer tragen".
Es sei "unerlässlich und zugleich eine Herausforderung, dass wir den Opfern und Betroffenen zuhören und von ihnen lernen dürfen", schreibt der Kardinal und fährt fort: "Erst in jüngerer Zeit beginnen wir zu verstehen, dass und wie sehr sexueller Missbrauch und Gewalt auch Konsequenzen für das Leben von indirekt Betroffenen haben".
Nicht nur sexuelle Gewalt sei das Problem, so der Kardinal. "Auch in einem weiteren Sinne haben Menschen Unheil und Leid erfahren durch den Missbrauch der Botschaft Jesu, denn sie haben durch Unterdrückung, Einschüchterung und geistliche Arroganz das Evangelium oft nicht als befreiende und hoffnungsvolle Botschaft erfahren, sondern sind eher in eine Angst vor Gott geführt worden".
Die Ablehnung seines Rücktrittsversuchs durch Papst Franziskus habe ihn überrascht, schreibt der Erzbischof. "Aber für mich ist damit die Angelegenheit nicht einfach erledigt, so dass ich einfach weitermache als sei nichts geschehen".
Der Kardinal schreibt weiter, er "erlebe" bei Begegnungen und Gesprächen "mit Menschen im Erzbistum", dass diese Fragen und Sorgen haben, was "die Kirche und den Glauben, aber auch unser gesellschaftliches Miteinander angeht".
Tatsächlich war der Kardinal bereits vor dem ersten Rücktrittsversuch wegen seines eigenen Umgangs mit Missbrauch und Vorwürfen von "Gesprächsverweigerung, Verharmlosung und Einschüchterung" massiv unter Druck geraten: Dabei geht es Berichten zufolge um seine Rolle im Umgang mit mehreren Fällen sexueller Gewalt durch Priester, für die er als vorgesetzter Bischof auch kirchenrechtlich verantwortlich war.
Missbrauchsopfer und Experten haben von Marx eine ehrliche Aufklärung und Aufarbeitung gefordert. Wie CNA Deutsch berichtete, hatten Betroffene von Missbrauch mit massiver Kritik sogar erwirkt, dass Marx mit dem Bundesverdienstkreuz ausgezeichnet wurde: Der Kardinal verzichtete darauf, nachdem ein Missbrauchsopfer erklärte: Eine solche Ehrung würde "alles in Frage [stellen], wofür wir kämpfen und arbeiten".
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Der Trierer Betroffenenverband "MissBiT e.V." erklärte, dass eine Auszeichnung von Marx "problematisch" wäre. Betroffene hätten in dessen Amtszeit als Bischof von Trier negative Erfahrungen gemacht. Konkret werfen sie Marx "Gesprächsverweigerung, Verharmlosung, Einschüchterung" vor.
Mit seinem ersten Rücktrittsversuch, den Papst Franziskus ablehnte, polarisierte der prominente Prälat weiter, bis hin zum Vorwurf eines "Demutsmanövers". Der Betroffenensprecher Peter Bringmann-Henselder sagte: "Zunächst muss man sich fragen: Löst [Kardinal Marx] durch seinen Rücktritt die anstehenden Probleme? Eher nicht, er stiehlt sich aus der Verantwortung".
Kritik äußerte unter anderem der ehemalige Präfekt der Glaubenskongregation, Kardinal Gerhard Ludwig Müller. Er sei verwundert, so Müller in einem Interview mit dem Nachrichtenmagazin "Focus", "dass man die Entscheidung auf eine Theater-Bühne gezogen hat und das Gottes Volk zu einem Publikum umfunktioniert", das entweder Beifall klatschen oder "Buh" rufen solle: "Das widerspricht dem Sinn eines geistlichen Amtes für das Heil der Menschen," wird Müller im "Focus" zitiert.
Auch der Kriminologe Christian Pfeiffer vermisste Anfang Juli in der Diskussion um das abgelehnte Rücktrittsgesuch von Kardinal Reinhard Marx eine kritische Auseinandersetzung mit dessen Rolle im Missbrauchsskandal der katholischen Kirche. "Er verschweigt, dass er die Transparenz mit Füßen getreten hat, dass er der Vorkämpfer der Intransparenz war", sagte Pfeiffer am 4. Juli im Interview der Deutschen Presse-Agentur.
Wenn Marx sich nach seinem Rücktrittsgesuch "als Reformer und Kämpfer für Transparenz" gebe, wundere ihn das, schrieb der Kriminologe in einem Artikel für die Deutsche Richterzeitung,
Pfeiffer hatte 2011 vereinbart, eine große Studie zum Missbrauch in der katholischen Kirche durchzuführen. 2012 endete die Zusammenarbeit - laut Pfeiffer, weil die Kirche die Datenbasis für die Studie selbst erheben und den Wissenschaftlern den Zugang dazu verweigern wollte.
Unklar ist indessen auch, wie Papst Franziskus auf ein zweites Rücktrittsgesuch des einst einflußreichen Kardinals reagieren würde, sagen Vatikanisten.
sgsgd
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