Theologin des "Synodalen Weges": Katholische Sexualmoral nicht ursächlich für Missbrauch

Der Diskussionsprozess muss Sexualmoral in Kontinuität mit der Lehre der Kirche verhandeln, statt im Bruch dazu, so Westerhorstmann

Liebe in der Luft
Unsplash (CC0)

Die katholische Theologin Katharina Westerhorstmann hat in einem Beitrag die katholische Sexualmoral verteidigt und den "Synodalen Weg" aufgefordert, mit Blick auf die Sexualmoral einen "Ansatz der Kontinuität" statt des Bruchs zu wählen.

Die Lehre der Kirche kann nicht als Mitverursacherin der Missbrauchsfälle verantwortlich gemacht werden, schreibt die Theologin in einem Beitrag für die August-Ausgabe der "Herder-Korrespondenz".

Westerhorstmann nimmt auch am sogenannten "Synodalen Weg" teil. Dort ist sie unter anderem Teil des Synodalforums zur Sexualmoral, das den Titel trägt "Leben in gelingenden Beziehungen" – und zuletzt stark in der Kritik stand (CNA Deutsch hat berichtet).

Missbrauchsaufarbeitung als Anlass für "Synodalen Weg"?

Die Initiatoren des "Synodalen Wegs" haben anfangs betont, dass der Anlass für diesen "Weg der Umkehr und Erneuernung" in den Missbrauchsfällen innerhalb der Katholischen Kirche in Deutschland liege, erinnert Westerhorstmann. In der Diskussion werde jedoch "immer wieder (...) zu allgemein auf 'wissenschaftliche Erkenntnisse' oder die Humanwissenschaften" verwiesen.

Dass auch die Sexualwissenschaft und die Sexualmedizin häufig als Referenzquelle herangezogen werden, sieht die Wissenschaftlerin kritisch, da diese "wegen ihrer ambivalenten Geschichte gerade nicht zu den verlässlichen Partnern im Einsatz gegen Pädokriminalität und Missbrauch" gehörten.

Als Beispiel nennt Westerhorstmann das noch bis ins Jahr 2003 in Berlin durchgeführte "Kentler-Experiment". Bei diesem Projekt wurden Minderjährige aus schwierigen Verhältnissen bewusst zu verurteilten pädophilen Männern in die Obhut gegeben. Auch andere Beispiele hätten eine Kultur offenbart, die in konkreten Fällen aus der jüngeren Vergangenheit eine bewusste Sexualisierung von Kindern und Jugendlichen zum Ziel hatte, die oftmals auch zur sexuellen Ausbeutung der Schutzbefohlenen in - nicht nur kirchlichen - Schulen und Internaten führte. 

Die innerkirchliche Debatte versuche jedoch nicht, Pädophilie zu rechtfertigen, erklärt die Theologien, schränkt jedoch ein:

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"Doch der leider häufig wahrnehmbare Ansatz, die Missbrauchstaten einer zu strengen Sexualmoral anzulasten und somit der Liberalisierung in sexualethischen Fragen eine Schlüsselfunktion in der Missbrauchsaufarbeitung zuzuweisen, läuft Gefahr, in eine ähnliche Richtung zu entgleisen. Immer wieder werden missbrauchende Kleriker als Opfer einer radikalen Sexualmoral, des Zölibatversprechens oder der kirchlichen Haltung zu gelebter Homosexualität angesehen, oder Übergriffe sogar als ein Überspringen von Zuneigung dargestellt."

Die MHG-Studie zeige jedoch, so die Wissenschaftlerin, dass mehr als 80 Prozent der Taten nicht spontan erfolgten; gerade Serientäter wie der Gründer der "Legionäre Christi", Marcial Maciel, oder der mittlerweile des Priestertums enthobene Theodore McCarrick hätten gezeigt, dass sie "besonders rücksichtslos agierten und zudem keinerlei Einsicht geschweige den Reue zeigten".

(Wie CNA Deutsch kürzlich berichtete, soll McCarrick sogar einen regelrechten "Kindersex-Ring" betrieben haben.)

MHG-Studie: Instrumentalisierung des Missbrauchs?

Westerhorstmann kritisiert, dass die MHG-Studie außerdem den hohen Anteil an Tätern, die unter "defizitärer persönlicher und sexueller Entwicklung" litten, mit dem hohen Anteil Homosexueller in einen kausalen Zusammenhang bringe.

Dadurch entstehe der Eindruck, der Zölibat wie auch die Sexualmoral hätten eine Auseinandersetzung mit der eigenen Sexualität erschwert oder verhindert und so zu Übergriffen geführt. "Dies wird ausdrücklich als Vermutung angegeben und noch nicht durch Daten belegt", betont die Wissenschaftlerin.

Die Vermutung, die von den Autoren der viel kritisierten "MHG-Studie" geäußert würde, dürfe daher "nicht zum Anlass genommen werden, die kirchliche Sexuallehre in Richtung einer vollständigen Liberalisierung umschreiben zu wollen". Westerhorstmann schlägt deshalb vor, weitere Studien durchzuführen.

Bei der ersten Synodalversammlung in Frankfurt am Main hatte schon der Regensburger Bischof Rudolf Voderholzer weitere Vergleichsstudien angeregt (CNA Deutsch hat berichtet), sein Vorschlag wurde jedoch abgelehnt. Bei der Versammlung hatte Katharina Westerhorstmann in einem weiteren Wortbeitrag angemahnt, dass auch die sexuellen Übergriffe innerhalb der Priesterseminare noch ausführlicher untersucht werden müssen. Diese Forderung wiederholt sie in ihrem Beitrag für die "Herder-Korrespondenz":

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"Eine aktuelle Studie, die das McGrath Institute for Church Life der University of Notre Dame (USA) gemeinsam mit der Georgetown University durchgeführt hat, belegt, dass 6 Prozent der aktuellen (!) Seminaristen sexuelle Belästigung und Übergriffe - auch durch Vorgesetzte - innerhalb des Priester- Seminars erlebt haben. Die nachgewiesenen zahlreichen Übergriffe durch Priester der Gemeinschaft der Legionäre Christi zeigt einen Zusammenhang zwischen im Priesterseminar erlittenen Übergriffen und eigenen Missbrauchstaten."

Theologin: Leben gemäß Sexualmoral "möglich"

Westerhorstmann regt deshalb auch eine Überarbeitung der Priesterausbildung in deutschen Diözesen an. Gerade von vielen Priestern selbst werde die Vorbereitung auf die Ehelosigkeit als "unzureichend" empfunden. Der Zölibat dürfe nicht nur als "zu leistender Verzicht" missverstanden werden, sondern "als Verwirklichung einer liebenden Bindung an Gott".

Auch die falsche Vorstellung, ehelicher Geschlechtsverkehr sei von der Kirche lediglich "geduldet", sei noch zu weit verbreitet. "Lediglich die einseitige Betrachtung der Sexualität unter dem Gesichtspunkt der Lust wird in der kirchlichen Sexuallehre zu Recht weiter kritisch gesehen, was sich auch in der Ablehnung von Selbstbefriedigung ("Self-Sex") ausdrückt, da dieser Form der Sexualität die Beziehungsebene der liebenden realen Begegnung mit dem anderen fehlt", so Westerhorstmann.

Abschließend mahnt die Synodenteilnehmerin, dass der innerkirchliche Diskurs beim "Synodalen Weg" an Aufrichtigkeit gewinnen würde, wenn die Missbrauchsfälle nicht zum Vorwand der Liberalisierung instrumentalisiert würden. Westerhorstmann dazu wörtlich in der "Herder-Korrespondenz":

"Anstatt sich auf die Anerkennung von außerehelichen Geschlechtsbeziehungen, Selbstbefriedigung, homosexuellen Handlungen, künstlicher Empfängnisverhütung und die Kommunionszulassung zivil verheirateter Geschiedener zu konzentrieren, sollte man verstärkt Missbrauchsfälle mit Missbrauchsfällen vergleichen, wie es etwa die Unabhängige Kommission der Bundesregierung tut. Dass darüber hinaus spezifisch kirchliche Aspekte des Missbrauchs thematisiert werden müssen, steht außer Frage. Dazu gehört etwa die missbräuchliche Verwendung von Begriffen wie 'Liebe' und 'Gehorsam' sowie religiöser Narrative, Metaphern und Gegenstände zur Anbahnung des Missbrauchs."

Insgesamt sei bei der Beurteilung der Sexualmoral der Kirche "ein Ansatz der Kontinuität und nicht des Bruchs" gefragt. Eine gesund gelebte Sexualität nach kirchlichen Vorgaben oder der Verzicht auf "das Ausleben derselben" sei daher keineswegs "toxisch, sondern möglich", so Westerhorstmann.

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