Dresden, 13 November, 2020 / 5:24 PM
Am heutigen Freitag ist in Dresden die zweitägige Online-Tagung "Gefährliche Seelenführer? Geistiger und geistlicher Missbrauch" zu Ende gegangen. Dabei sprachen neben Vertretern aus Medizin und Recht auch der Bischof von Dresden-Meißen, Heinrich Timmerevers sowie Bischof Felix Genn von Münster über die Gefahren des geistlichen Missbrauchs durch kirchliche Seelsorger.
Gastgeber der Veranstaltung, die aufgrund der Coronavirus-Pandemie per Videokonferenz stattfinden musste, war die Katholische Akademie Dresden-Meißen. Neben der Katholischen Akademie und der deutschen Bischofskonferenz beteiligte sich auch die Sächsische Landesärztekammer.
Durch den Austausch von Experten aus Medizin, Psychologie, Rechtswissenschaft und Theologie wollte man mit der Tagung nach Angaben der Bischofskonferenz "das pastorale Handeln der Kirche selbstkritisch hinterfragen". Durch die intensive Aufarbeitung soll "die Integrität und Verlässlichkeit der Seelsorge" nachhaltig gewährleistet werden.
Timmerevers: "Sind als Kirche schuldig geworden"
Der Dresdner Bischof Heinrich Timmerevers wies in seinem Eröffnungsstatement darauf hin, dass diese Tagung ein "Startpunkt" sein soll zu einer "Verbesserung" der kirchlichen Strukturen, die seiner Ansicht nach den geistlichen Missbrauch begünstigen. Besonders die kommende Vollversammlung der deutschen Bischofskonferenz wie auch der umstrittene sogenannte "Synodale Weg" sollen entsprechende Maßnahmen vorbereiten, so Timmerevers.
"Als Bischöfe tragen wir besondere Verantwortung, nicht nur wegen unserer Leitungsfunktion", sagte der Hirte und richtete ein Bekenntnis an die etwa 400 Teilnehmer der Online-Tagung: "Sie wissen, wie schwer wir uns mit Aufklärung tun", so Timmerevers wörtlich. Der Glaube an einen liebenden Gott sei "von den Täterinnen und Tätern innerhalb der Kirche pervertiert" worden, für die Aufklärung brauche man nun viel Mut. Der Bischof wörtlich: "Wir sind als Kirche schuldig geworden. Punkt."
Genn: Geistlicher Missbrauch oft Voraussetzung für sexuellen Missbrauch
Auch der Bischof von Münster, Felix Genn, betonte, dass geistlicher Missbrauch "gravierende Auswirkungen auf die emotionale und psychologische Befindlichkeit von Menschen" habe. Manchmal gehe "geistlicher Machtmissbrauch auch dem sexuellen Missbrauch voraus, bereitet ihn geistlich-manipulierend vor", so Genn, der in der deutschen Bischofskonferenz als Vorsitzender der Kommission für Geistliche Berufe und Kirchliche Dienste fungiert.
Beim geistlichen Missbrauch greife der Täter in die "geistliche Intimsphäre" des Opfers ein und erhebe sich häufig selbst zu einer Art "göttliche Position". Der Bischof definierte diese Art von Missbrauch so:
"Geistlicher Machtmissbrauch im Speziellen bedeutet die Instrumentalisierung des geistlichen Bereichs des Menschen mit geistlichen Mitteln, die Verzweckung der Gottesbeziehung einer Person durch den Täter zur Erfüllung der eigenen Bedürfnisse und Ziele."
Um Missbrauch künftig zu verhindern, müsse die Kirche Kurse für geistliche Begleitung und Leitung anbieten und häufiger Statuten überprüfen. Wichtig sei dabei vor allem "eine vertiefte Kenntnis des Phänomens und der Erarbeitung einer Kriteriologie".
Genn erwähnte gleich zu Beginn des Symposions die "Visitation einer bei uns approbierten Gemeinschaft". Wie CNA Deutsch am Freitag berichtet hat, untersuchen seit 2017 zwei von Bischof Genn beauftragten Visitatoren die Vorwürfe gegen die geistliche Gemeinschaft "Totus Tuus". Ehemalige Mitglieder werfen der Gemeinschaft geistlichen Missbrauch und "psychischen Druck" vor.
Bei der Abschlusspressekonferenz am Freitag erklärte Genn, er habe damals "sofort reagiert" und die Visitation beauftragt. "Wir hoffen, dass die Ergebnisse in diesem Jahr noch publiziert werden", so der Bischof von Münster.
Betroffene: Geistlicher Missbrauch zerstört Gottesbeziehung
Neben Experten aus Medizin und Rechtswissenschaft kamen bei der Tagung auch Betroffene zu Wort. Diese schilderten mit eindrücklichen Worten das psychische Leid, das sie durch Seelenführer in ihrer jeweligen geistlichen Gemeinschaft erlitten hatten.
Neben der zunehmenden Abkapselung von Familie und Freunden sowie das Gefühl des Ausgeliefertseins machte sich bei den meisten Betroffenen nach dieser Erfahrung häufig auch eine große, religiöse Leere breit. "Ich konnte danach nicht mehr beten", schilderte ein Referent seine Erfahrungen. Andere Leidensgenossen könnten bis heute keine Kirche mehr betreten – und seien natürlich nicht mehr bereit, Kirchensteuer zu zahlen.
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Dass die Kirche bei der Aufarbeitung von geistlichem Missbrauch Fehler gemacht hat: Darin waren sich die Referenten einig. Bei den Vorschlägen zur Missbrauchsprävention gab es verschiedene Ansätze, die teilweise auch auf eine Veränderung der Sakramentenpastoral der Kirche abzielten.
So wurde immer wieder der Vorschlag ins Spiel gebracht, dass künftig geweihte Priester mit der Weihe nicht mehr automatisch auch die Erlaubnis zum Beichthören (Beichtjurisdiktion) erhalten sollen, sondern erst nach einer "regelmäßigen Qualitätsprüfung". Auch die Professorin Myriam Wijlens (Erfurt) sprach sich für dieses Modell aus und behauptete: "Missbrauch wird nicht immer von einer einzigen Person ausgeführt, sondern von einem System."
"Müssen durch die Krise"
Rechtswissenschaftler wie Joachim Renzikowksi, der an der Martin-Luther-Universität Halle-Wittenberg eine Professur für Strafrecht und Rechtsphilosophie und Rechtstheorie unterhält, nahmen bei der Aufarbeitung vor allem die Kirche selbst in die Pflicht. Staatliches Recht könne sich nicht ins kirchliche Recht einmischen, weil das staatliche Recht die geistliche Dimension nicht erfassen könne, argumentierte Renzikowski.
Zugleich müsse die Kirche erst einmal selbst Verantwortung übernehmen, bekräftigte der Wissenschaftler und sagte wörtlich:
"Man darf sich als Institution nicht zurückziehen und sagen: ‚Der Staat soll jetzt mal machen und da aufräumen'."
Auch der Berliner Generalvikar Pater Manfred Kollig SSCC war unter den Referenten. Angesprochen auf die durch die Missbrauchs- und Vertuschungsfälle ausgelöste schwere Kirchenkrise in Deutschland mahnte der Geistliche an, dass "Krisenvermeidung" alleine nicht die Lösung sein könne. Die Kirche müsse sich stattdessen dieser schwierigen Situation stellen. "Wir müssen durch die Krise durch", so Kollig.
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